Die FDP fürchtet um ihre Existenz bei den kommenden Wahlen. Durch ihre Panik-getriebene und völlig unberechenbare Politik gefährdet sie inzwischen das Ansehen Deutschlands in Europa. Und befeuert so die Europa-feindliche Politik der Rechtspopulisten und Extremisten.
Ertrinkenden soll man sich selbst als ausgebildeter Lebensretter nur mit äußerster Vorsicht nähern. Das lernte ich schon vor vielen Jahren bei der DLRG – der Deutschen-Lebensrettungs-Gesellschaft. Denn Ertrinkende reagieren in ihrem Todeskampf unberechenbar. Die Vernunft setzt aus, die Verzweiflung und der Instinkt dominieren alles. Das Handeln der Ertrinkenden wird völlig irrational – und im Zweifelsfall reißen sie in ihrer Not andere Menschen mit in den Tod.
Genau dieses Verhalten kann man seit geraumer Zeit verstärkt im politischen Raum beobachten. Im Kampf ums Überleben posaunt die FDP laufend von „Freiheit“, die sie vorgeblich verteidigt, führt einen irrationalen Kreuzzug gegen angeblich zu strenge Umweltgesetze und die ausufernde Bürokratie. Auf offener Bühne streitet die FDP darüber immer und immer wieder mit den anderen Ampel-Parteien von SPD und Grünen – nur scheinbar im Kampf für die Freiheit, doch in Wirklichkeit im Kampf um das letzte halbe Prozent jener Wähler, die ihre eigenen Interessen schon immer über das Gemeinwohl gestellt haben. Dass die Liberalen mit ihrer Propaganda die Staatsverdrossenheit fördern und so den Verfassungsfeinden der AfD in die Hände spielen, nehmen sie billigend in Kauf. Es geht halt ums politische Überleben.
Geradezu als Musterbeispiel für diese destruktive, ja asoziale Politik der FDP mag ihr Verhalten auf europäischer Ebene dienen. Es geht um das Lieferketten-Gesetz. Diese Vorhaben wurde in der EU mehr als zwei Jahre lang mühsam und zäh verhandelt, es soll die Einhaltung von Umwelt-Standards und Menschenrechten bei der Produktion von Waren und Dienstleistungen weltweit gewährleisten. Doch in letzter Sekunde stellte sich die FDP nun in Brüssel quer – die Bundesregierung enthielt sich deshalb dort der Stimme – was inhaltlich einem „Nein“ gleichkommt. Das ist im Koalitionsvertrag so vereinbart: Stimmt einer der Ampel-Partner nicht zu, so ist die Enthaltung bei derartigen Vorhaben international zwingend.
In der Sache ist die FDP-Haltung moralisch zweifellos schäbig. Was sie zudem politisch brisant macht, ist die Tatsache, dass Deutschland im Vorfeld längst Zustimmung zum Lieferketten-Kompromiss signalisiert hatte. Die anderen EU-Partner – selbst die, die der FDP inhaltlich zustimmen – sind empört bis entsetzt über dieses Verhalten. Einmal gemachte Zusagen doch noch zu torpedieren – das kennt man in der EU eigentlich nur vom Ungarn Viktor Orban – einem rechtspopulistischen Quertreiber.
Es ist ja nicht das erste Mal, dass die FDP sich in Brüssel so rüpelhaft verhält und die EU-Partner düpiert. Die Liste der anti-europäischen Obstruktionen durch die FDP ist lang. Bekanntestes Beispiel: Im vorigen Jahr verhinderte FDP-Verkehrsminister Volker Wissing in letzter Sekund einen längst erarbeiteten EU-Kompromiss über das Aus für den Verbrennungsmotor. Schon damals war die Empörung groß, der angebliche Umwelt-Vorreiter Deutschland war international bis auf die Knochen blamiert, die Bundesregierung dem Gespött in den anderen Hauptstädten ausgesetzt. Was soll man von einem Kanzler Scholz halten, der angeblich Putin zähmen will, seinen querulantischen Kleinst-Partner FDP aber nicht in den Griff bekommt?
Um das ganze Dilemma aufzuzeigen, muss man sich die objektive Zwergenhaftigkeit der FDP vor Augen halten. Man rechne nach: Die gut 80 Millionen Deutschen stellen etwa 18 Prozent der EU-Bürger. In den jüngsten Wahlumfragen liegt die FDP bei knapp fünf Prozent. Das bedeutet, dass Christian Lindner und die Seinen weniger als ein Prozent der EU-Bürger repräsentieren – mag sich der FDP-Chef auch noch so gerne als Weltpolitiker fühlen und gerieren. Man kann sich den Zorn der EU-Partner über diesen Gernegroß vorstellen.
So ganz allmählich dämmert es wohl immer mehr Sozialdemokraten und Grünen, mit wem sie da am Kabinettstisch sitzt: Der FDP geht es in der verbleibenden Regierungszeit nicht mehr um vernünftige Politik, nicht mehr um sachgerechte Migrations-, Umwelt- oder Verkehrspolitik. Linder und Co geht es einzig ums politische Überleben: Je schlechter die Wahlergebnisse in diesem Jahr sein werden, umso egozentrischer wird die Partei agieren – ohne Rücksicht auf Verluste.
Die Panik vor dem politischen Untergang bestimmt zunehmend die FDP-Politik. Wahrlich keine guten Aussichten – nicht in Berlin und nicht in Brüssel.