1. Das Gesetz: Kleine Koalitionspartner verlieren an Wählerzustimmung
Die Situation ist für die FDP verzweifelt. Erneut, wie unter Westerwelle, macht sie in Regierungsverantwortung auf Bundesebene die Erfahrung, Landtags-Wahlen in Reihe zu verlieren. Mit dieser Tendenz ist nun auch Parteichef Lindner konfrontiert, der dieser Herausforderung noch in den Koalitionsverhandlungen im November 2017 mit Aplomb ausgewichen war. Da die FDP selbst in Oppositionszeiten wenig Abstand zur 5%-Grenze hat, ist die Tendenz, die sich in Landtagswahlen zeigt, eine Gefährdung ihrer Existenz. Dagegen muss sie etwas tun.
Man meinte, ein Rezept dagegen zu haben. Das war in den Ampel-Verhandlungen ausbedungen worden, hat sich aber nicht als hinreichend wirksam erwiesen. Da war als neue Kultur verabredet worden, dass die „Kabinettsdisziplin“ insofern eingeschränkt wird: Partner, auch Regierungsvertreter, sollten sich strittig einlassen dürfen – „parteiliche Profilschärfung“ auch innerhalb einer Koalition war das Stichwort. Die Partner der Ampel-Regierung machen davon rege Gebrauch.
Die Medien aber haben es nicht genommen. Sie verharren auf ihrem absatzträchtigen Standard-Narrativ, sie denunzieren solche Profilschärfungen als „Streit“ innerhalb der Koalition. Das ging bis zu der bizarren Darstellung, als real zu verkaufen, was in Wahrheit lediglich die inszenierte Lösung des Konflikts war: Der zur Laufzeitverlängerung von drei Kernkraftwerken qua einem Machtwort des Kanzlers, gestützt auf dessen Richtlinienkompetenz. Das Träumen von einem König ist eben nicht nur von den bunten Blättern auszunutzen. Der Kanzler aber hat keine Macht gegenüber seinen Koalitionspartnern, seine Richtlinienkompetenz verleiht ihm nur Macht im Kabinett. Seine Machtarmut zeigt sich auch daran, dass der in der Weisung vom 17. Oktober 2022 enthaltene Satz
„Es wird ein ambitioniertes Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz vorgelegt.“
bis heute nicht vollzogen worden ist.
Gegen die Kannibalisierung des kleinsten Koalitionspartners hat das richtige Rezept noch gefunden zu werden. Die FDP hat es nicht. Es müsste, so das Bürgerinteresse, ein positives und zugleich ein reales sein. In ihrer Not aber wiederholt die FDP nun in Serie, was sie mit der Thematisierung einer Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke erstmals versucht hat: Sie bläst Nebenthemen, die in der Sache längst entscheiden sind, zu strittigen Positionen auf, die angeblich wesentlich sind – sie macht gleichsam Politik mit Zombie-Themen. Sie geht auf Abwehr, zerstört Entscheidungen für positive Entwicklungen, die längst gefallen sind. Auf EU-Ebene macht sie gegenwärtig mehr: Sie zerstört das labile sog. „Trilog“-Mitentscheidungssystem, welches nur bei Verlass auf informelle Absprachen gelingen kann. Das erinnert über alles gesehen schon an Nero. Warum wird die FDP-Spitze nicht positiv?
2. Das Problem: Die Rolle der Medien
Gelingen kann die Politik mit Zombie-Themen nur solange und soweit, wie die Medien mitspielen; sofern sie das Irreale als real erscheinen zu lassen; solange, wie sie den Zombie-Charakter dieser Thematisierungen nicht als solchen benennen sondern als seriös einnehmbare Positionen darstellen. Der Kommentar zur Heizungsthematik in meiner Regionalzeitung beispielsweise lautete
„Die Union zeiht Habeck der Bevormundung und warnt vor Kosten für Verbraucher. Die regierungsbeteiligte FDP spricht von einer Verschrottungsorgie. Und recht haben alle.“
Da stellt ein Journalist das Denken ein. Das Problem: Um die Sprachspiele der FDP in ihrer Existenznot für sich und dann auch andere als unseriös darzustellen, müssten die Medienvertreter in der Sache urteilsfähig sein. Es geht weitgehend um Physik. Da aber haben die politischen Journalisten den Griffel schon immer abgegeben.
Sie machen es auch heute wie schon beim Klimathema: Da gab es die etablierten Klimawissenschaftler und diejenigen, die widersprachen – der Journalismus enthielt sich des eigenen Urteils. So ging das über mehr als 30 Jahre. Die Trolle in den MINT-freien Teilen der Redaktionen, insbesondere von „Die Welt“, FAZ und NZZ, trieben ihr Unwesen, obwohl es die Kollegen aus dem jeweiligen Wissenschaftsressorts besser wussten. Die hätte man fragen können, doch die wurden nicht gefragt, weil es das Kontroversen-Konzept des jeweiligen Feuilletons gestört hätte.
Zudem gibt es vom Springer-Konzern das Produkt „Bild“, bei dem der Ehemann einer Springer-Journalistin natürlich freien Zugang hat. Und es gibt das Phänomen, dass „Bild“ von den öffentlich-rechtlichen Anstalten als Leitmedium anerkannt wird.
Deshalb, dieser medialen Konstellation wegen, müssen die bedauernswerten Medienkonsumenten sich dasselbe Berichterstattungsmuster nun zu Öl- und Gas-Heizungen sowie PKW-Antrieben zumuten lassen. Wie schade für das begrenzte Aufmerksamkeitsbudget – dabei gäbe es so viel Spannendes in der Welt, über das man berichten könnte.
3. Das absurde Prinzip: Klientel-Politik ohne Interesse von Klienten
Für wen vertritt die FDP ihre Zombie-Positionen?
- Die FDP macht zum Thema „Verbrenner“ eine lobbyierende Politik, für die es kein Kfz-herstellendes Unternehmen gibt, welches das angestrebte Ergebnis will – das ist ein äußerst bizarrer Politik-Ansatz.
- Beim Thema „Heizungen“ wird sie anscheinend von Wirtschaftsverbänden unterstützt. Liest man deren Statements aber genau, so kann von Unterstützung in der Sache keine Rede sein – die These von der Überforderung des Immobilieneigentümers besagt im Klartext: Staat, bitte mehr Geld für die Umrüstung!
Die Koalitionspartner haben im Koalitionsvertrag, mit einer späteren Nachbesserung zum Datum, verabredet:
„Zum 1. Januar 2024 soll jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden“
Technisch kann eine Erdgas- oder Öl-Heizung das nicht bringen. D.h. mit dieser Formulierung im Ampel-Koalitionsvertrag ist das Ende der fossil befeuerten Heizungen im Konsens beschlossen worden. Das Verbot des Einbaus von neuen Heizungen solcher Art ab Januar 2024 dient eher dem Schutz von Dummköpfen unter Investoren.
Zudem wird die maximale Nutzungsdauer einer Öl- und Gasheizung auf 30 Jahre beschränkt – entsprechend den Amortisationszeiten, die beim Kernenergieausstieg den Betreibern von AKW zugebilligt wurde.
Der FDP geht es um Freiheit, sie polemisiert gegen den Zwang am Ende, wenn man eine Heizung abschalten muss, also 2035 bis 2045. Man stelle sich die Situation präzise vor:
Das wird dann eine Situation sein, in der die Gasverteil-Infrastrukturen immer weniger Nutzer bzw. deutlich geringere Nutzungsmengen haben werden. Darauf werden die Versorger reagieren.
Reaktion 1: Sie nutzen die jetzige Regulierung der Umlage von Gemeinkosten und legen die gleichgebliebenen Transport-Kosten auf die drastisch gesunkenen Mengen um: Mit Gas zu heizen, wird für die letzten Mohikaner immer teurer. Die FDP kämpft somit um deren Recht, als Letzter zu Mondpreisen noch mit Gas sich versorgen lassen zu dürfen.
Reaktion 2: Der Regulierer macht dem Spiel ein Ende und sagt: Ab 2035 ist das Kostenumlage-Prinzip zu Ende: Sorgt für günstigere Lösungen für die Phase des Abschieds der letzten Gaskunden! Und die Gasversorger reagieren entsprechend. Kommt es dann zu dezentralen Erdgastanks?
4. Nero als Vorbild?
Die Situation scheint dramatisch zu sein – die FDP neigt zu einer Nero-artigen Selbstvernichtungsorgie, in der sie die Sachen, die es dringend zu gestalten gilt, mit untergehen lässt.
Die drängende Frage ist: Weshalb greift die FDP mit ihren Ressorts nicht reale Probleme auf, z.B. zum Digitalen oder zur Bildungspolitik? Auf beiden Feldern liegt in Deutschland so vieles im Argen, dass man nicht lange suchen muss, um für positive Politikansätze fündig zu werden. Lindner könnte sogar entscheiden, sich als Haushaltsminister zu profilieren, indem er die zunehmende Knappheit der Finanzmittel nutzt, als eiserner Priorisierungsminister Profil zu gewinnen. Die Antwort auf die Klimaherausforderung heißt eben: Gegenwärtig viel investieren! Und die Antwort auf multiple Krisen heißt ebenfalls: Mehr investieren, hier in Sicherheit.
Warum greift die strategische Zentrale um Christian Lindner nicht auf diese realen Optionen zu?
Die Antwort kann nur vermutet werden. Sie lautet: Der Kreis von Politik- und Medienberatern um Lindner traut es den Medien in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit nicht zu, dass sie für eine FDP mit einer solch realen und positiven Strategie Aufmerksamkeit zu erringen vermögen. Sie meinen, auf die Medien in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit trommeln zu müssen, um Resonanz zu erhalten – daher der Zwang zur Scheinpolitik. Das ist das Drama. Medien wie Medienpolitik schweigen dazu.
Das stimmt doch einfach nicht. Die FDP vertritt hier keine „Zombie-Themen, die keiner will“, sondern Themen, die für den Wirtschaftsstandort Deutschland wichtig sind und die von der deutschen Industrie mit einiger Vehemenz vertreten werden. Zum Thema eFuels stehen zahlreiche Verbände ebenso wie Autohersteller wie BMW und Porsche auf Seiten der FDP, zum Thema Heizungen beinahe alle Akteure in Wirtschaft und Verbänden außerhalb der reinen Wärmepumpen-Lobby (die in Deutschland aber nur mittelstark ist, weil überproportional viele Teile und Produkte am Ende des Tages aus China kommen). Die Partei vertritt hier genau die Interessen und Klientel, für die sie auch schon immer angetreten ist und gewählt wurde. Was sollte sie auch sonst tun. Abgesehen davon scheren die Grünen mindestens genauso häufig und laut aus einer halbwegs partnerschaftlichen internen Abstimmung aus – nicht zuletzt hat gerade erst dieser Tage der Kanzler Habeck zurückgepfiffen.