Nachstehenden Text unserer Autorin Marianne Bäumler aus dem Jahr 2021 veröffentlichen wir noch einmal aktuell aus traurigem Anlass, da Hannelore Hoger am 21. Dezember im Alter von 82 Jahren gestorben ist.
Ihr Kinodebüt gab Hannelore Hoger als Trapezkünstlerin Leni Teichert in Alexander Kluges „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“. Es war das Jahr 1968. Leni Teicherts „Reformzirkus“ scheiterte an der autoritären Kultur des Nachkriegsdeutschland, wo mehr Dressur als Fantasie gefragt war.
Schon damals beeindruckte ihr traurig-trotziger Blick, ihre widerspenstige Eigenwilligkeit, die in späteren Rollen wie der „Bella Block“ zuweilen zu einer markanten Ruppigkeit wird, die dann wiederum mit einem sanft wissenden Blick kontrastiert. Hannelore Hoger ist eine Charakterschauspielerin. Sie ist unverwechselbar, ihre Figuren sind intelligent, selbständig, unabhängig, ausgestattet mit einer Art weitwinkliger Wahrnehmungsfähigkeit und robuster Energie.
Das Bühnenmilieu kennt sie seit ihrer Kindheit. Sie wurde am 20. August 1941 in Hamburg als Tochter einer Schneiderin und eines Schauspielers und Inspizienten des Ohnsorg-Theaters geboren. Sie studierte an der staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Hamburg. Kurt Hübner gibt der 20-Jährigen ihr erstes Theaterengagement in Ulm. Es folgen Bühnenstationen in Bremen (1965-67), Stuttgart (1968-72), Bochum(1972-80) und Hamburg (1980-85). Besonders im Wagnis der Improvisation, das die Inszenierungen der 68er prägte, zeigte sich Hogers unverwechselbares Talent. 1972 spielt sie das „Lämmchen“ in Peter Zadeks legendärer Fallada-Bühnenfassung von „Kleiner Mann – was nun.“ In Erinnerung blieb auch ihre beeindruckende Darstellung der Jüdin Lea in der fünfteiligen Fernsehproduktion „Die Bertinis“ (1986). 1990 folgt in der Regie von Karin Brandauer der Film „Marleneken“, wo auch ihre Tochter Nina, 1961 geboren, mitwirkte. Auch in den kleineren Rollen – etwa als aufdringliche Klatschreporterin in Helmut Dietls „Rossini“ – gelingt es ihr, ihren Figuren Kontur und Tiefe zu geben.
1994 trat Hannelore Hoger zum ersten Mal als ZDF-Kommissarin Bella Block auf. Hier löst sie Fälle mit einem Engagement, das an die Grenzen geht. Hier spielt sie ihre Begabung aus, Verlegenheit sichtbar zu machen. In Fällen, wo sie als Bella Block nicht weiterweiß, zeigt sie ein Zögern, das im Fernsehen Seltenheitswert beanspruchen darf. Das Unschlüssige, Verzagte und ebenso das Empörtsein über die gesellschaftlichen Verhältnisse macht die Bella Block aus. Dann läuft Hoger zur Bestform auf, zumal wenn sie verstanden wird von Drehbuchautorinnen wie Beate Langmaack, inspiriert von Regisseuren wie Kai Wessel. In der Folge „Die Frau des Teppichlegers“ gibt es Dialoge zwischen Bella und ihrem Assistenten, die von zunächst schlecht gelaunten Chefinnen-Allüren über äußerst behutsame Fragen gegenüber depressiven Verdächtigen, ratlosen Resignationsmomenten angesichts einer Vergewaltigung am helllichten Tag im Shoppingcenter wechseln und dann übergehen zu entschlossener Tatkraft, den Gewalttäter zu finden – eine Vielfalt an widersprüchlichen Regungen, die Hannelore Hoger einzigartig ausspielt. „Ich glaube nicht an Helden, sondern an Menschen, die sich irren können“, sagt sie. „Würde sie alles richtig machen, wäre »Bella Block« ein Cowboyfilm. Meiner Meinung nach liegt der Erfolg der Reihe in der Normalität der Figur.“
Dass sie seit den 80er Jahren auch inszeniert und dabei beachtliche Regieerfolge mit Stücken von Kroetz, Bernhard, Beckett oder Wedekind hat, ist weniger bekannt. Neben dem Grimme-Preis erhielt sie für „Bella Block“ auch den Robert-Geisendörfer-Preis 2002, der Medienpreis der evangelischen Kirche. Der Kasseler Altbischof Christian Zippert sagte ihr: „Sie fesseln durch Ihre intellektuelle Gestaltungskraft, Sie wecken Gefühle, ohne selbst ins Gefühlige zu gleiten, Sie sind brillant, ohne Ihre Brillanz zur Schau zu stellen.“ Weitere Preise folgten. 2012 noch einmal den Grimme-Preis, 2013: den Ehrenpreis des Hessischen Ministerpräsidenten für besondere Leistungen im Film- und TV-Bereich und im letzten Jahr den Otto-Mühlschlegel der Robert-Bosch-Stiftung. Die Auszeichnung würdigt nach Angaben der Stiftung Hogers Lebensleistung als Schauspielerin und ihr soziales Engagement für ältere Menschen.
Anmerkung: Diese Hymne schrieb unsere Autorin im Jahr 2006 im Kölner Stadtanzeiger, zum 65. Geburtstag dieser wunderbaren Menschendarstellerin. Der Text wurde um einige wesentliche Lebensstationen erweitert.
Bildquelle: Blaues Sofa from Berlin, Deutschland, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons
Treffend und vielschichtig beschrieben: ein großer Mensch!
Arnulf Rating