Die Deutschen sind in ihrer großen Mehrheit zufrieden. Na ja, nicht ganz, denn oft genug folgt hinter dem Ja ein Aber, was aber nicht bedeutet, dass sie es gern hören, wenn man ihnen die Lage als schlecht beschreiben würde. Auf diese 80 Prozent der Bürger- der kluge und viel zu früh gestorbene Peter Glotz sprach einst von einer Zwei-Drittel-Gesellschaft- trifft einer wie der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, der sich seit Wochen abrackert, der wirklich kämpft in Ost und West und Nord und Süd und feststellen muss, dass sich seine Umfragewerte nicht verbessern. „Scheiße“ seien diese Werte, so haben ihn Journalisten zitiert, die ihn auf seiner Wahlkampfreise durch die Republik begleitet haben. 24 vh, vielleicht 25 vh würden der SPD ihre Stimme geben, während die Union von Kanzlerin Angela Merkel bei knapp 40 vh liegt. Wenn sich nichts Sensationelles ereignet, wird sich die langjährige Regierungschefin ihren künftigen Koalitionspartner nach dem 24. September aussuchen können.
Schulz fehlt ein Thema, das knallt
Die Deutschen sind zufrieden in ihrem Unbehagen, analysiert Heinz Bude, Professor für Soziologie an der Uni Kassel, für die NZZ(Neue Zürcher Zeitung)die Stimmung in Deutschland und den Merkel-Trend. Heute noch zufrieden, aber das Unbehagen beschleicht die Deutschen, weil sie sich sorgen wegen der Zukunft ihrer Kinder. Dieses Unbehagen wird aber dem SPD-Kandidaten nicht viel nutzen, weil die Wählerinnen und Wähler in ihrer Mehrheit auf jemanden setzen, der ihnen das Gefühl vermittelt: Es bleibt im wesentlichen so, wie es ist. Merkel fährt auf Sicht, ihr Programm ist fast eine Kopie des alten Konrad Adenauer: Keine Experimente. Das hat die Kanzlerin gelernt, als sie noch in der Opposition war und ihre Leute ihr einen Reform-Wahlkampf einredeten, der sie fast die Karriere gekostet hätte. Die Reform, von der sie heute noch profitiert, hat ihr Amtsvorgänger Gerhard Schröder(SPD) mit der Agenda 2010 gemacht, eine Reform, die die SPD nahezu gespalten und mit der die Nachfolger Schröders, die Gabriels und Schulz und wie sie alle heißen, ihre Probleme haben.
Schulz bräuchte ein Thema, so hat es am Morgen SZ-Redakteur Heribert Prantl im WDR gesagt, um nicht zu sagen, gefordert, ein Thema, das knallt. Aber das hat der SPD-Mann nicht. Mehr soziale Gerechtigkeit, das ist seine Überschrift, die nicht schlecht ist, aber die kein Aufreger ist, die niemanden auf die Palme und die Merkel und die Union nicht um den Schlaf bringt. Das jüngste Beispiel: Schulz will eine Pflicht für E-Autos. Ja, das ist ganz nett, aber heute beschäftigt die Menschen mehr, wie sie mit ihrem alten Diesel zu Recht kommen und wie ihnen da die Manager von Daimler, VW , BMW, Porsche und Audi helfen.
Merkel wanderte in Südtirol
Während Merkel die Oper in Bayreuth besuchte und in Südtirol wanderte- gerade ist sie zurück in Berlin- hat sich der Martin Schulz abgerackert, aber er dringt nicht durch. Ein anderes Beispiel: die Karikatur im Bonner „General-Anzeiger“ von Klaus Stuttmann. „Sorry, der Platz ist belegt“ lässt der Zeichner die Kanzlerin im Badeanzug dem hinter ihr stehenden Martin Schulz sagen. Der Platz auf der Liege trägt natürlich die Nummer 1. So geht das die ganze Zeit. Und wenn er in die FAZ schaut, findet er eine Umfrage von Forsa, exklusiv für die FAZ gemacht. Fazit: Die SPD könne im günstigsten Fall auf rund 30 vh kommen. Sechs Wochen vor der Wahl hätten sich 60 vh der Wahlberechtigten entschieden. Der Grund für das miserable Ergebnis: Der SPD würde nur geringe politische Kompetenz zugesprochen, lediglich beim Thema Gerechtigkeit schneide sie ordentlich ab, während die CDU bei der Sicherheit, der Wirtschaft und der Integration punkte.
Ja selbst beim Thema Integration liegt Merkel vorn, trotz oder wegen ihrer umstrittenen Flüchtlingspolitik, trotz oder wegen des „Wir schaffen das“, trotz oder wegen des Ausklammerns des ganzen Problems aus dem Wahlkampf, weil sie den Streit mit Horst Seehofer auf die Zeit nach dem 24. September einvernehmlich mit dem CSU-Chef vertagt hat. Dabei sind die Probleme nicht gelöst, weder mit den Flüchtlingen im Lande geschweige denn mit denen, die unterwegs sind, auf unsicheren Schiffen in der Adria oder im Mittelmeer. Gar nicht zu reden davon, dass in Afrika Millionen auf gepackten Koffern sitzen und nur auf eine Gelegenheit warten, sich auf den riskanten Fluchtweg Richtung Europa zu bewegen. Überhaupt Europa: Italien fühlt sich alleingelassen mit Tausenden von Flüchtlingen, die niemand übernehmen will, der Rest von Europa, an der Spitze Polen, Ungarn und andere schottet sich ab. Brüssel bietet Rom Geld, als wenn es darum ginge. Hier droht neues Ungemach, wenn wir Italien nicht helfen, könnten die Italiener eines nicht zu fernen Tages genug haben von einem Europa, wo jeder nur an sich denkt und Solidarität eine fremde Sprache geworden ist.
Politik der ruhigen Hand
In einer Welt, in der es zunehmend Verrückte in Regierungsämtern gibt, man denke nur an Trump, an den Nordkoreaner Kim Jong Un, an die Nationalisten in Polen unter Führung eines gewissen Kaczynski, hält sich die Mehrheit eher am Bewährten fest. „Sie kennen mich“, hat Merkel schon oft die Wählerinnen und Wähler angesprochen. Was auch heißt: wir riskieren nichts, wir bewahren den Status quo. Wir regieren auf Sicht, mit ruhiger Hand. Mit wem auch immer. Die große Koalition kam ihr zugute, es nützt der SPD nichts, wenn sie darauf verweist, dass die Kanzlerin ihr die Themen geklaut habe.
Man ist zufrieden in Deutschland, „die Wirtschaft brummt“, hat es Heinz Bude für die Neue Zürcher Zeitung-NZZ- geschrieben, „die Jobmaschine läuft, es wird wieder mehr verdient“. Hierzu passt eine neue Umfrage im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung: 60 vh der Bürger in der EU wollen mehr europäische Zusammenarbeit. Brexit hin oder her, aufkommenden Nationalismen in Polen und Ungarn und anderswo zum trotz. Und in Deutschland ist die EU-Anhängerschaft noch größer. 80 vh der Deutschen wünschen eine noch engere europäische Zusammenarbeit.
Dass die Welt so schön und harmonisch nicht ist, zeigt die Titelgeschichte des schon erwähnen Bonner Blattes: „Schlepper wirft Migranten ins Meer. Flüchtlingsdrama am Horn von Afrika.“ Bei dem Vorfall sollen bis zu 180 Menschen ins Meer gestorben worden sein, mindestens fünf Menschen starben, 50 gelten als vermisst. Und darunter findet sich der nächste Aufreger: „Nordkorea will Raketen Richtung Guam starten.“ An Themen und Problemen ist weiß Gott kein Mangel. Ob es unbedingt knallen muss, lass ich mal offen. Aber der Wahlkampf hat gerade erst begonnen. Die Friedhofsruhe könnte sich als trügerisch erweisen.
Bildquelle: Wikipedia, Armin Linnartz, CC BY-SA 3.0