„Opposition ist Scheiße“ ist ein die Ewigkeit überdauerndes Zitat von Franz Müntefering, nach dem sich die SPD seither richtet, egal wie schwach die Ergebnisse bei Wahlen auch waren. Gestärkt hat die Sozialdemokratie diese Haltung allerdings nicht.
Für die Grünen gilt dieser Spruch Münteferings nicht. Im Gegenteil. Die Erleichterung in manchem Teil der Partei ist deutlich spürbar. Die Zumutungen schon in der Ampel waren für viele in der Ökopartei deutlich über der Schmerzgrenze. Und eine mögliche Koalition mit der Merz’schen CDU war insgeheim für manche Führungsgrüne eine grauenvolle Vorstellung. Zu deutlich ist der Eindruck entstanden, die Grünen wären in der Ampel diejenigen gewesen, die die Regierung um fast jeden Preis zusammenhalten wollten, auch durch Preisgabe einiger Positionen. Es soll immer wieder vorgekommen sein, dass parteiintern für verschiedene Punkte Stopplinien definiert waren, die von Habeck und den anderen grünen Kabinettskollegen dennoch gerissen wurden.
Als die FDP 2022 anfing, Opposition in der Regierung zu spielen und die Regierungspolitik immer weniger grün war und wesentliche Inhalte nicht mehr umgesetzt werden konnten, haben Habeck, Baerbock und Co. es zugelassen. Völlig aus dem Ruder lief dann die Diskussion über das Heizungsgesetz. Der Leak des Referentenentwurfs an die BILD-Zeitung aus Regierungskreisen (Jürgen Trittin behauptet in seinen Memoiren, aus dem Kanzleramt, andere vermuten den ehemaligen Finanzminister) war der Meilenstein, der Habeck in die Defensive brachte, aus der er nicht mehr herauskam. Die Wucht der bis zu 320 Negativartikel in BILD und Co. färbte letztlich auf die ganze Regierung ab, der Eindruck, es nicht zu können, verfestigte sich. Dass auch Olaf Scholz nicht gegensteuerte, spricht Bände über das nicht vorhandene Miteinander in der Regierung.
Darum ist das Aufatmen in manchem Kreis- und Landesverband, wie bei Teilen der Parteispitze, kaum zu überhören. Die Stoßgebete, nicht erneut in die Verantwortung gezwungen zu werden, wurden erhört. Die Wählerinnen und Wähler haben es ermöglicht, dass die Partei die sehr unterschiedlichen Erfahrungen in der Ampel aufarbeiten kann.
Ja, Robert Habeck hat sich gewünscht, weiter zu regieren, Annalena Baerbock hat dies mitgetragen. Der Wahlkampf, diesmal auf ihn zugeschnitten, sollte dies deutlich machen. Hinter vorgehaltener Hand erfährt man allerdings, dass viele Grüne die Kampagne genauso schrecklich fanden wie schon die letzte zum Europawahlkampf. Zuversicht als Hauptkampagnenthema zu machen, wenn die Welt aus den Fugen gerät, ist ein bisschen wie das Pfeifen im Wald. „Ein Mensch. Ein Wort“ ist das genaue Gegenteil von Robert Habeck, der sehr wortreich die Lage und die notwendigen Maßnahmen erklärt. Auffällig auch, dass auf Bündnis 90/Die Grünen verzichtet wurde und fast verschämt klein „gruen.de“ oben links in der Ecke der Plakate stand.
Als gute Leistung kann man allerdings bewerten, dass das Murren intern blieb. Die vielen neuen Mitglieder gaben auch den altgedienten Parteigängern neuen Schwung, sich für Habeck und die Partei ins Zeug zu schmeißen. Funktioniert hat alles, wo Habeck selbst auftrat, vom Küchentischgespräch über Influencer-Besuche bis zu den übervollen Hallen, in denen er frei die Weltlage und die notwendigen Maßnahmen erklärte. Übrigens, er prognostizierte exakt die Lage, die sich jetzt darstellt: US-Zölle, ein Europa unter Druck, ein Trump, der die Ukraine zur Ware macht und mit Putin verhandelt wird. Insofern ist es durchaus bedauerlich, dass Habeck nicht mehr verantwortlich mitmischen wird, wenn es darum geht, Europa zusammenzuhalten. Dass er sich privat zurückzieht, versuchen gerade Hunderttausende zu verhindern, die eine entsprechende Petition unterschrieben haben.
Es geht aber kein Weg daran vorbei, die 11,61 Prozent der Stimmen waren deutlich unter den Prognosen und wohl auch den Erwartungen, zumindest beim Spitzenkandidaten. Dass es das zweitbeste Wahlergebnis der Grünen auf Ebene der Bundestagswahlen war, wird dabei vergessen. Und von den beteiligten Parteien der toxischen Ampelkoalition haben die Grünen die geringsten Verluste. Eigentlich alles noch ganz verträglich, wäre da nicht die Wählerwanderung, denn 700.000 sind zur Linkspartei abgewandert und haben so verhindert, dass Schwarz-Grün eine weitere Option für eine neue Bundesregierung wäre. Aus der Historie der Befragungen ist zu erkennen, dass es die klare Haltung der Linken nach dem Merz’schen AfD-Manöver war, die den Zuspruch auslöste, während Habeck appellierte, die Union solle den Unsinn lassen. Statt zu sagen: „Wenn ihr das macht, kommen wir als Koalitionspartner nicht mehr in Frage“, wurde das Appellieren so verstanden, dass Regieren als wichtiger bewertet wird als die Haltung gegen rechts.
Wer all das Revue passieren lässt, muss erkennen, dass die Grünen dringend eine Aufarbeitung benötigen, um Fehler nicht zu wiederholen. Auch wenn die Erkenntnis, dass dringend klima- und weltpolitisch gehandelt werden muss, immer in den Vordergrund drängt, muss sich die Ökopartei neu sortieren. Gerade weil Robert Habeck gerade von Hunderttausenden aufgefordert wird, sich nicht aus der Politik zu verabschieden, müssen die vergangenen drei Jahre aufgearbeitet werden. 2029, wenn die kommende Regierung dieses Ziel erreicht, wird aller Voraussicht nach noch entscheidender für eine freie, ökologische, vielfältige europäische Welt. Sich darauf vorzubereiten, eine deutlichere Alternative bieten zu können, ist jetzt Aufgabe der Partei. Scheitern als Chance zu begreifen, könnte eine neue Stärke hervorbringen.
Bildquelle: Pixabay