Es ist, als hätten die Menschen hier in Essen und anderswo in der Republik nur auf ein Signal gewartet. Rund 6000 Demonstranten zogen am Montagabend nach einem kurzfristigen Aufruf mit Fahnen, Transparenten und selbstgemalten Pappschildern durch die Ruhrgebiets-Stadt, um bunt und lautstark gegen die AfD zu protestieren. Neben den „üblichen Verdächtigen“ – linken Gruppen, Sozialverbänden wie die AWO bis hin zur SPD – waren auch viele „ganz normale Bürger“ unter denen, die den braunen Spuk nicht länger tatenlos hinnehmen wollen. Der Punk in seiner abgewetzten Lederjacke neben der Dame mit Hornbrille und in teurem Wintermantel – vereint in ihrer Abscheu gegen die Rechtsextremisten. So sollte es sein. Und so war es.
Nicht immer kann man die Logik des Protestes und der Gefühls-Aufwallung rein rational erklären. Immer wieder hatte die AfD in den vergangenen Jahren mit furchtbaren rechtsextremen Aussagen für Aufsehen und Empörung gesorgt. Sei es der „Vogelschiss“, als den der damalige Partei- und Fraktionschef der AFD, Alexander Gauland, die Nazi-Diktatur abtat, sei es das „Denkmal der Schande“ wie der AfD-Faschist (als solchen darf und muss man ihn bezeichnen) Björn Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin verbal besudelte. Der mediale und politische Aufschrei war jeweils da – doch in der breiten Öffentlichkeit blieb er weitgehend wirkungslos.
Das scheint dieses Mal anders zu sein. Für viele Menschen im Land gilt jetzt offenbar: Genug ist genug! Der breite Aufstand der Anständigen, er hat – hoffentlich – begonnen. Spontan, kreativ und bunt – ganz an der Basis und ganz ohne die große Politik und die großen Verbände, die man im Kampf gegen rechts offenbar erst noch zum Jagen tragen muss. Wo bleibt – neben pflichtschuldigen Worten – deren Aufschrei?
Der Auslöser für diese Wut der Aufrechten: Nur wenige Tage ist es her, dass das Recherche-Team von „Correctiv“ ein Geheimtreffen aufdeckte, an dem im November neben bekennenden Neonazis auch AfD-Politiker teilnahmen. Dabei ging es um die „Remigration“, die nach der Machtübernahme der Rechtsextremisten brutal exekutiert werden soll: Millionen Menschen mit Migrationshintergrund – selbst solche mit deutschem Pass – sollten danach auch zwangsweise aus Deutschland deportiert werden. „Remigration“ – welch ein verharmlosender Begriff für knallharten Faschismus. Man muss kein studierter Historiker sein, um sofort an geschichtliche Parallelen zu denken: Bei der Wannsee-Konferenz in Berlin- keine zehn Kilometer von Potsdam entfernt – beschlossen und organisierten die Nazis 1942 den Holocaust an Millionen Juden – auch damals in einer Geheimkonferenz.
Dieser teuflische Plan der Neu-Nazis innerhalb und außerhalb der AfD traf nun viele Menschen ganz offensichtlich ins Mark. Vielen, so scheint es, wird erst jetzt deutlich, wie ernst die Lage wirklich ist. Und ihnen wird klar, dass man nicht weiter empört aber tatenlos zusehen darf, dass die Extremisten die Existenz der Demokratie bedrohen.
Wie sehr viele Menschen auf ein Signal zum „Aufstand der Anständigen“ gewartet haben, zeigte sich in Essen: Am Wochenende reichte ein Netz-Aufruf des Bündnisses „Essen stellt sich quer“ – eines Zusammenschlusses linker und bürgerlicher Gruppen -, um keine 48 Stunden später viele tausend Menschen auf die Straße zu bringen. Selbst die Veranstalter waren ob der Resonanz total überwältigt: Sie hatten 500 Teilnehmer angemeldet, mehr als zehn mal so viele kamen. Schulter an Schulter stand man zusammen – das machte sichtlich auch denen Spaß und Mut, die zum ersten Mal in ihrem Leben zu einer Demo gekommen waren.
Fast körperlich spüren die Menschen, dass es dieses Mal wirklich um vieles geht. Noch nie nach dem Zweiten Weltkrieg war die Demokratie in der Bundesrepublik so sehr von rechts bedroht wie jetzt. Und da wollen viele nicht länger im Ohrensessel sitzen und konsterniert zuschauen, wie die Rechtsextremisten das Land erobern. Sie wollen nicht länger die tatenlos schweigende Mehrheit sein. Sie wollen das Gefühl loswerden, hilflos der hasserfüllten Social Media-Welt ausgeliefert zu sein. Sie wollen aus der Defensive kommen. Die Menschen nicht nur hier in Essen wissen: Natürlich werden Demonstrationen wie in den vergangenen Tagen – in Essen, Duisburg, Düsseldorf, Berlin, Potsdam und anderswo – die AfD nicht sofort in die Knie zwingen. Sie können aber jedem Teilnehmer in eisiger Kälte das wärmende Gefühl vermitteln: Ich kämpfe nicht allein. Und sie können AfD-Wähler und -Sympathisanten aus der dummdreisten Selbstzufriedenheit reißen, für eine Mehrheit zu sprechen.
Was nun wichtig ist: Diese Proteste gegen die Extremisten dürfen nur ein Anfang sein. Der „Aufstand der Anständigen“, er hat erst begonnen. Niemand darf mehr scheinbar unbeteiligt von der Außenlinie aus zuschauen. Niemand darf sich zu fein sein, auch bei „Sauwetter“ gegen die Nazis auf die Straße zu gehen, im Kollegen- oder Familienkreis denen lautstark zu widersprechen, die ihre rassistischen und menschenverachtenden Sprüche klopfen. Genau für diese Anstrengungen können solche erste Demonstrationen die Kraft und das Zusammengehörigkeitsgefühl liefern. Und die stärkende Gewissheit, zu den Anständigen im Land zu gehören.
Denn eines stimmt ja nicht. „Ganz Essen hasst die AfD, ganz Deutschland hasst die AfD“, skandierten die Menschen dort euphorisch immer und immer wieder. Doch das ist – leider – falsch. „Ganz Essen“ oder „ganz Deutschland“ hasst die AFD eben nicht – so sehr man das bedauern mag. Überall – auch im Westen – hat diese Nazi-Partei viel zu viele Anhänger.
Die Anständigen, sie brauchen nun einen langen Atem. Der Kampf wird hart und zäh – doch der Einsatz lohnt sich. Es geht um nicht weniger als um die Zukunft dieser Republik, die es zu verteidigen gilt.
Es ist unsere Republik. Wir haben nur diese eine. Man kann es nicht oft und laut genug sagen.
Das wurde auch wirklich Zeit. Die Nazis planen schon „Endlösungen“ und feixen in den Parlamenten und sehen sich schon kurz vor dem Ziel der Machtübernahme. Alle AfD-Wähler sollten wissen, dass sie Nazis an die Macht wählen. Skrupellose Menschenfeinde, Demokratiefeinde und machtbesessene Psychopathen. Wobei ich davon ausgehe, dass es genau das ist, was die wollen!
Bei den Protesten habe ich die Bauern vermisst. Keine Trecker, keine wütende Bauern, die doch angeblich so wichtig sind für unser Land! Dabei waren die doch alle noch unterwegs zu ihren Sternfahrten, Blockaden und Wutbürger-Kundgebungen. Da wäre doch Solidarität ein Leichtes gewesen. Man lerne: Denen, die da lautstark protestierten, geht es nur um Agrardiesel, das eigene Geldsäckel und den Sturz der Regierung. Die Demokratie ist denen egal. Sollte sich Herr Lindner auch merken, bevor eh sich das nächste Mal da zu Füßen wirft.
Die hart arbeitenden Bauern waren übrigens in der letzten Woche zu Hause und haben gearbeitet.
Genau so sehe ich das auch. Danke.