Jedem Anfang, so lautet der berühmte Vers von Hermann Hesse, wohnt ein Zauber inne. Bei der Ampel in Berlin aber hat es sich sehr schnell ausgezaubert. Ihr ist ganz früh vieles kläglich schief gegangen.
Jüngstes Beispiel: Das Satyr-Spiel der Regierungskoalition um eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona. Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich immer wieder selbst seiner Führungsstärke rühmt, will sie. Frühere Aussagen des Regierungschefs konnte man durchaus so verstehen, als werde Scholz diese Impfpflicht bis Anfang März durchsetzen. Begeisterung beim Bürger, denn auch eine eindeutige Mehrheit der Deutschen will die Impfpflicht. Jetzt aber taktiert, laviert und drückt sich das Regierungsbündnis, schiebt die Verantwortung anderen zu, will die Initiative nicht ergreifen. Die Interessen und Präferenzen bei SPD, Grünen und FDP liegen einfach zu weit auseinander.
Macher Scholz ist bei dem zentralen Thema, das die Deutschen bewegt wie kein Zweites, zum Nichtmacher geworden. Der Bundestag solle gefälligst das Tempo vorgeben, lässt er mitteilen. Die Regierung geht auf Tauchstation, als sei es ihr oder der Koalition verboten, eigene Initiativen ins Parlament einzubringen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach verspricht zwar, sein Haus werde beim Erarbeiten fraktionsübergreifender Gruppenanträge zur allgemeinen Impfpflicht gerne mitarbeiten. Aber wieder möchte man fragen: Warum entwirft das Gesundheitsministerium nicht komplett so einen Gesetzentwurf zur Impfpflicht, der dann zur Diskussion und Abstimmung gestellt werden könnte ?
Hilflos, zumindest rührend, wie SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in seiner neuen Rolle als Ausputzer rumschwurbelt, um das blamable Handlungsdefizit der SPD-geführten Regierung ins Positive zu drehen. Kanzler Scholz habe die allgemeine Impfpflicht niemals angekündigt; er habe seinerzeit nur gesagt, er halte es für „wünschenswert“, dass sie im März komme. Außerdem sei es eine „souveräne und reife Entscheidung“ des Kanzlers, das Thema Impfpflicht dem Parlament zu überlassen. Netter – oder soll man sagen: komischer kann man die Flucht aus der Verantwortung nicht umschreiben. Und Kühnert setzt noch einen drauf: Dass Olaf Scholz persönlich die allgemeine Impfpflicht wolle, sei doch schließlich Führung genug.
Und dann noch so eine Ausrede aus der SPD: Für die Omikron-Welle käme eine allgemeine Impfpflicht so oder so zu spät. Sie könne allenfalls gegen die nächste Corona-Mutante wirken – im Herbst oder Winter dieses Jahres. Da möchte man dann wiederum fragen: Warum hielt Olaf Scholz den März als Termin überhaupt für „wünschenswert“ ?
Die Bilanz der Ampel nach den ersten Monaten auch sonst kläglich: Ganz früh erklärte sie das Ende der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, nur weil die FDP zur Pflege ihres Images als „Freiheitspartei“ es unbedingt so wollte. Der Politik waren damit wichtige Instrumente im Kampf gegen Corona genommen.
Die Koalition, die vor allem beim Klimaschutz ganz groß rauskommen will, konnte sich nicht mal auf ein Tempolimit auf Autobahnen einigen. Das würde nichts kosten, der Positiv-Effekt für Klima und Verkehrssicherheit wäre messbar. Aber auch hier stellte sich die FDP quer im Interesse ihrer Klientel gut verdienender Besitzer PS-strotzender Karossen.
Ausgerechnet jetzt, da in Berlin mit den Grünen eine ausgemachte Umweltpartei mitregiert, will die EU-Kommission die Atomkraft als nachhaltige und umweltfreundliche Energieform einstufen. Investitionen in die Kernenergie würden besonders attraktiv. Von der Ampel keine massive Gegenwehr, kein geharnischter Protest, kein politisches Donnerwetter. Man begnügt sich mit mürrischer Resignation und nennt den Brüsseler Vorstoß lediglich „falsch“.
In der Außenpolitik der Ampel unüberhörbare Kakophonie: Die Grünen hatten im Wahlkampf einen Baustopp der Gaspipeline Nord Stream 2 verlangt. Jetzt stellen sie mit Annalena Baerbock die Außenministerin. Und Robert Habeck machte klar, dass bei einem russischen Einmarsch in die Ukraine kein russisches Erdgas durch diese Pipeline nach Deutschland fließen dürfe. Die SPD hingegen ist da weniger zimperlich: Die Außenpolitik werde im Kanzleramt gesteuert, der sozialdemokratische Regierungschef Scholz nennt die Röhre ein „privatwirtschaftliches Vorhaben“, und SPD-Generalsekretär Kühnert fordert, man müsse mit der Gasleitung seinen „politischen Frieden“ machen. Fazit: Ein SPD-Kanzler, der verspricht und nicht liefert, Grüne, die unterwürfig Zumutungen schlucken, und eine FDP, die sich in der klassischen Bremser-Rolle gefällt: Kaum Auf, mehr Bruch.