„Der Spezl aus Münsterhausen“ überschreibt die „Süddeutsche Zeitung“ ihre Wochenendreportage über den Fall des stellvertretenden Vorsitzenden der Unions-Fraktion, Georg Nüßlein(CSU). Münsterhausen liegt im schwäbischen Teil von Bayern. Beim Wort Spezl fiel mit sofort die alte Amigo-Affäre der CSU ein, über die der damalige Ministerpräsident Max Streibt gestürzt war. Die Journalisten, die diese Affäre, diesen Skandal aufdeckten, erhielten dafür den renommierten Wächter-Preis der deutschen Tagesspresse, neben den SZ-Redakteuren Michael Stiller, Christiane Schlötzer-Scotland, Klaus Ott, Hans Holzhaider auch der Münchner-Landtagskorrespondent der „Augsburger Allgemeine“, Fridolin Engelfried. Man hatte ihnen, wie das so ist bei Skandalen, Material von Insidern zugesteckt. Ich erinnere mich deshalb ziemlich genau an diese Geschichte, weil ich damals 1993 Parlamentskorrespondent in Bonn für die „Augsburger Allgemeine“ war und von Engelfried informiert worden war.
Amigo, das ist eigentlich nicht Teil der bayerischen Umgangssprache, aber mit diesem Wort wurde der Bestechungs- und Korruptionsskandal um den bayerischen Regierungsschef beschrieben, den die Kollegen aus München ans Tageslicht brachten. Auch andere CSU-Politiker waren darin verwickelt. Amigo-Affäre, die Verquickung von Politik und Wirtschaft, nennt das Wikipedia. Streibl wurde Anfang 1993 vorgeworfen, in seiner Zeit als bayerischer Finanzminister (1977-1988) Zuwendungen von Industrieunternehmen erhalten zu haben. Wenn man so will soll er sich für den Flugzeugbauer Grob- Luft- und Raumfahrt- beim Bundesverteidigungsministerium eingesetzt haben, damit dieser den Zuschlag für einen Auftrag für das Eloka-System LAPAS erhalte. Im Gegenzug soll Streibl von seinem Freund Grob finanzierte Urlaube in Brasilien und Kenia und Parteispenden erhalten haben. Streibl musste vor dem Landtag zugeben, zweimal auf Kosten Grobs Urlaub in der Ferne gemacht zu haben. Ferner soll Streibl sich für seinen Freund Grob beim Forschungsministerium und der Landesanstalt für Aufbaufinanzierung verwandt haben, dabei ging es um Fördermittel für Grob.
Streibl: Saludos Amigos
Streibl wies zunächst alle Vorwürfe als „Schmutz- und Hetzkampagne“ zurück. Das gipfelte in seiner Aschermittwochs-Rede in Passau in seiner Anrede an das geneigte zumeist CSU-freundliche Publikum mit den Worten: „Saludos Amigos“. Freunde zu haben, stellte der die Frage, „ist das eine Schande bei uns in der CSU?“ Streibl hoffte mit solchen Attacken davon zu kommen. Dass die SPD einen Untersuchungsausschuss forderte, setzte ihm nicht zu. Die CSU fühlte sich in ihrer absoluten Mehrheit sicher und unangreifbar. Bayern, das war CSU-Land, wo man hinschaute, hatten die Schwarzen das Sagen. Mia san mia, ist auch ein Teil dieser CSU-Haltung, die man später auch bei Uli Hoeneß wahrnahm. Mia, die Bayern, die CSU. Nur hatte Streibl sich verkalkuliert, die SPD setzte mit Hilfe einer Verfassungsklage einen U-Aussschuß durch. Am Ende gelang es Streibl und der CSU nicht mehr, die Sache ins Lächerliche zu ziehen. Die Stimmung im Lande änderte sich, die CSU bangte um ihre Vormachtstellung und ließ Streibl fallen. Der sah keine andere Möglichkeit mehr, als am 27. Mai 1993 von seinen Ämtern zurückzutreten, wobei er zunächst seine Kritiker angriff: „Das ist nicht die Stunde der Wahrheitssuche, sondern die Stunde anonymer Verleumder.“ Den Rücktritt tat er nicht aus Reue. Wörtlich sagte Streibl: „Heute lege ich mein Amt in ihre Hände zurück. Diesen Schritt tue ich nicht, weil ich dem Freistaat Bayern in irgendeiner Weise geschadet hätte.“ Starker Tobak.
Zu der Zeit hatte der Machtkampf um seine Nachfolge längst Fahrt aufgenommen , Edmund Stoiber gegen Theo Waigel. Den Stoiber gewann. Ein SPD-Abgeordneter erinnerte sich später an das Gerücht, dass Stoiber-Anhänger verbreiteten und angeblich Waigel beim Erzbischof anschwärzten wegen seiner ungeklärten familiären Verhältnisse. Dieses Gerücht machte damals auch in Bonn die Runde, wir wussten von der Freundschaft Theo Waigels mit Irene Epple, aber für die Bonner Presse war das kein Thema. Waigel und Epple sind seit vielen Jahren verheiratet. Stoiber hat mehrfach dementiert, dass er mit den Gerüchten etwas zu tun gehabt habe, Waigel hat ihm das nicht abgenommen- bis heute.
Geschäfte mit der Not der Menschen
Die Affäre Nüßlein und die Affäre Streibl mögen zwei Paar Schuhe sein, aber die Dimension der heutigen Geschichte ist noch nicht bekannt. Mich hat stutzig gemacht, dass Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus und der Sprecher der CSU-Landesgruppe in Berlin, Alexander Dobrindt öffentlich ihr völliges Unverständnis über Geschäfte von Abgeordneten bei der Maskenbeschaffung geäußert haben. Gemeint zunächst die beiden Fälle, einmal Nüßlein von der CSU und Nikolaus Löbel von der CDU. In einem Fall geht es um 660000 Euro, im anderen um 250000, Provisionen, Geschäfte mit der Notlage der Leute, bewiesen ist das nicht. Aber es stinkt gewaltig. Beide Politiker haben ihre politische Zukunft hinter sich, egal, wielange sie noch ihre Mandate behalten. Aber ist das schon alles oder was kommt da noch? Weitere Fälle irgendwo im Land, in Kommunen?
Im Zusammenhang mit den Masken-Geschäften Nüßlein sind die Namen von weiteren CSU-Leuten genannt worden, was nichts bedeutet und nichts beweist. Da ist einmal Alfred Sauter, ein alter Bekannter in der Politik. Laut SZ-Bericht hat er für die Textilfirma, die Nüßlein die Provision für die Vermittlung der Masken gezahlt haben soll, die Verträge mit Bayerns Gesundheitsministerium entworfen, das neben Bundesgesundheitsministerium und Bundesinnenministerium bei der Firma kaufte. Sauter sitzt für die CSU im Landtag, er ist Anwalt. Sauter betont laut SZ, er habe nicht als Abgeordneter gehandelt, sondern als Anwalt, der laut Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bezahlt werde. Also nichts Anstößiges. Der nächste Name heißt Monika Hohlmeier. Und da horcht man auf, sie ist die Tochter des großen Franz-Josef Strauß, für viele, wie die SZ schreibt, der „Inbegriff der alten Amigo-Partei.“ Frau Hohlmeier, früher mal Kultusministerin in Bayern, ist heute Europa-Abgeordnete. Sie berichtet von einem Anruf von Andrea Tandler aus dem Frühjahr 2020, als in ganz Europa Masken-Mangel herrschte. Andrea Tandler habe für eine Schweizer Firma nachgefragt, ob Bedarf an Masken bestehe. Dann habe sie die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml(CSU) angeschrieben und Jens Spahn, den Bundesminister ebenso. „Das war es dann aber schon,“ zitiert die Zeitung Frau Hohlmeier. „Ich habe kein Geld gekriegt, keines verlangt, mir wurde keines angeboten.“ Ja, bei den ganzen Namen muss man ja stutzig werden. Tandler, Georg Tandler, einer der Strauß-Schüler, der 1991 als Finanzminister über die Steueraffäre des Bäderkönigs Zwick stürzte. Zwick, der alte Strauß Spezl. Die Tochter von Tandler hat kein politisches Mandat. Also alles legal, in Ordnung?
Das Thema ist für die CSU ungemütlich. Mitten im Wahljahr kommt das dem ehrgeizigen Söder in die Quere. Der oberste Pandemiebekämpfer, immer vorneweg, der Mahner, der staatstragend auftritt, belehrend, der Politiker, der die Last von Corona für seine Bürger schultert, und dann so eine Affäre um Masken, mit denen man doch Menschen vor der Seuche helfen will und sich nicht die Taschen füllen sollte. Mitten im Wahlkampf sind sie in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz. Themen mit Filz sind ein gefundenes Fressen für die jeweilige Opposition, für die CDU aber bringen solche Affären nur die Erinnerung an leidvolle Filz- und Amigo-Affären zu Tage. Auch wenn Söder schweigt, das Problem ist da. Die SPD fordert Aufklärung, volle Aufklärung.
Und wer weiß, was noch kommt? Man sage nie Nie. Ich erinnere mich noch an den Spenden-Skandal um den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl(CDU). Als der SPD-Politiker Peter Struck die Vorwürfe gegen Kohl im Reichstag ansprach, musste er sich empörte Zwischenrufe von CDU-Kollegen anhören. Unerhört, schallte es da durchs Plenum, als wäre Struck der Böse. Wochen später musste derselbe Kohl in der ZDF-Sendung „Was nun, Herr Kohl“, einräumen, dass er Spenden erhalten hatte. Die Namen der Spender nannte er nicht, weil er den Spendern sein Wort gegeben hatte. Kohl handelte wider das Gesetz, das vorschreibt, die Namen zu nennen. Und einige seiner einstigen Parteifreunde gingen deswegen auf Distanz zu ihrem früheren Chef.
Warten wir also ab, ob noch was kommt.
Bildquelle: Pixabay, Bild Steve Buissinne, Pixabay License