Man kennt das ja längst vom Bundeskanzler Olaf Scholz. Der SPD-Regierungschef ist nun mal kein Meister in Sachen Kommunikation. Was dazu führt, dass selbst seine Partei oft nicht weiß, was er will. Das war schon so, als er zu Beginn seiner Kanzlerschaft die Zeitenwende ausrief, kurz nachdem Wladimir Putin Russlands Soldaten die Ukraine überfallen ließ. Aus dem Hut schien er ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro hervorzuzaubern, um die jahrelang völlig vernachlässigte Bundeswehr wieder auf Vordermann zu bringen. Eine Riesen-Summe, die er erstmal seiner eigenen Partei verkaufen musste. Ähnlich seine Ankündigung, man werde den Wehr-Etat künftig auf zwei-Prozent des BSP und darüber anheben, was ebenfalls Mehr-Kosten für die Aufrüstung in Höhe von Zig-Milliarden Euro zur Folge haben wird. Man hätte erwarten können, dass sich der schweigsame Hamburger zumindest mit seinem Fraktionschef Rolf Mützenich abgestimmt hätte. Hatte er aber nicht. Der Kölner Sozialdemokrat blieb dennoch solidarisch, stellte sich hinter seinen Kanzler, der sich ungeachtet seiner Alleingänge weiter auf seine Fraktion und ihren Chef verlassen kann.
In der Taurus-Frage hielt sich Scholz wie gewohnt bedeckt. Während alle Welt darüber diskutierte, ob Deutschland der bedrängten Ukraine nicht doch diese Marsch-Flugkörper schicken soll, viele waren dafür, schwieg der Mann lange, der die Entscheidung treffen muss. Auch hier hätte ich vermutet, dass sich der Kanzler mit seinem in dieser Frage wichtigsten Mann, dem Verteidigungsminister Boris Pistorius, abstimmen würde. Nach allem, was bisher bekannt geworden ist, soll Scholz sich aber mit Pistorius nicht beraten oder gar abgestimmt haben. Man mag das nicht für klug halten, aber so ist nun mal unser aller Bundeskanzler. Er geht in die Konferenz der Deutschen Presse-Agentur und erklärt dort seine Beweggründe, die Taurus-Raketen nicht an die Ukraine zu liefern. Ich mag mir nicht vorstellen, ob das alles stichhaltig war und ist, was er dort gesagt hat. Mir scheint bis heute das Argument verständlich zu sein, Scholz sei gegen diese Raketen-Lieferung, weil er eine Ausweitung des Krieges verhindern wolle. Den 3. Weltkrieg nämlich. Deshalb betont er, es werde keine deutschen Soldaten in der Ukraine geben. Punkt. Was ist dagegen zu sagen? Das mit dem Völkerrecht erscheint mir nicht plausibel, zumal der Herrscher im Kreml sich einen Dreck darum schert.
Wunderwaffe Taurus oder nicht
Was mich überrascht bis irritiert hat bei der ganzen Frage, ist der Punkt, ob denn Taurus wirklich so bedeutend ist, kriegsentscheidend, dass wir diesen Streit führen? Rolf Mützenich, der ebenso kenntnisreiche, wie stets besonnen und überlegt handelnde Fraktionschef der stärksten Regierungspartei, jedenfalls wandte sich gegen die Meinung, mit Taurus allein ließe sich der Krieg entscheiden, was wohl heißen solle, gewinnen. Das scheint mir schlüssiger zu sein, muss aber einräumen, dass ich wie viele andere auch nicht zu den Wehr-Experten der Republik zähle. Zu der Experten-Kategorie gehört z. B. der Grünen-Politiker Hofreiter gewiss nicht, gleichwohl weicht er keinem Mikrofon aus, in das er seine tiefreichenden Militär-Erfahrungen und Expertisen hineinspricht. Man darf sich wundern, dass überhaupt so viele Politiker aus der Grünen-Partei längst keine Friedens-Aposteln mehr sind, sondern eher den stärksten Waffen das Wort reden.
Aber wenn dem so ist, dass die Ukraine vor allem Munition braucht und der Taurus nicht die Wunderwaffe ist, verstehe ich erst recht nicht das Schweigen des Allmächtigen in Berlin. Das kann er doch sagen, kann darauf verweisen, dass trotz aller Mängel Deutschland hinter den USA die meisten Waffen an Kiew geliefert hat und weiter liefern wird. Man hätte Macrons Vorpreschen auch damit erklären können, dass der französische Präsident nur davon ablenken will, dass Paris mit seiner Unterstützung der Ukraine am Ende der Tabelle rangiert. Ja, warum wird das nicht gesagt?
Bei anderen Politikern, die sich in dieser Frage immer wieder in die erste Reihe vordrängen, darf man deren eigene Ambitionen nicht unterbewerten. Dass sich die forsche FDP-Bundestagsabgeordnete Strack-Zimmermann quasi täglich zu Wort meldet, um den Kanzler davon zu überzeugen, er müsse den Taurus unbedingt und am liebsten noch gestern Richtung Ukraine liefern, hat gewiss nicht nur damit zu tun, die ukrainische Armee kriegstüchtiger zu machen. Frau Strack-Zimmermann kandidiert für die Wahlen zum Europa-Parlament und trommelt für sich und ihre FDP, die ja keine besondere Rolle weder in der deutschen noch der europäischen Politik spielt. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung kommen die Liberalen kaum vor. Deshalb meldet sich die Freidemokratin aus Düsseldorf pausenlos.
Wenn Trump die Wahl gewinnt
Scholz scheint sich zu lange auf die USA verlassen zu haben, darauf, dass das alles so bleiben und Trump schon nicht gewinnen werde. Was nun wirklich heute niemand garantieren kann, dass dieser Polit-Polterer und Populist, der Spalter, nicht Präsident der größten Macht der Welt wird. Mit allen Risiken, die damit für Deutschland und die NATO verbunden sein werden. Aber weil das Rennen offen ist, sind dem amtierenden Präsidenten Biden die Hände gebunden. Er spielt auf Halten. Was, wenn Washington ausfällt als Helfer der Ukraine? Was, wenn ein Präsident Trump die NATO auseinandertreibt? Müssen wir dann noch mehr zahlen, noch mehr Waffen liefern? Und wenn Europa kriegsmüde wird?
Dass die Debatte von der Union dazu genutzt wird, den Kanzler anzugreifen, ihn gar zum Sicherheitsrisiko für Europa zu machen, zeigt einmal mehr auf, auf welches Niveau die Union teilweise gesunken ist. Die AfD lässt grüßen. Die werden jubeln ob dieser Attacke, Herr Kiesewetter. Dann brauchen die neuen Braunen diese Schmutzarbeit nicht mehr selber zu leisten. Dass Scholz die Aussage von Frankreichs Präsident Macron zurückgewiesen hat, notfalls auch Truppen der Nato ins ukrainisch-russische Kriegsgebiet zu entsenden, kann ich nur begrüßen. Alles andere wäre ein großer Schritt Richtung 3. Weltkrieg. Auch die übrigen EU-Staaten haben Macrons Aussagen ein klares Nein beschieden. Kiesewetter und all die anderen, auch Markus Söder und Dobrindt, sind offenbar längst im Wahlkampf-Modus. Sie haben immer noch nicht bemerkt, dass der eigentliche Feind rechts steht, rechts neben der CSU. Und das ist die AfD, eine Partei der Rechtspopulisten und Faschisten, die einer Remigration das Wort redet, was einer Deportation von Millionen von Deutschen mit Migrationshintergrund gleichkäme. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Aber Kiesewetter und Co machen einfach so weiter, immer feste druff auf Scholz, die SPD, Söders Hauptgegner sind weiter die Grünen, die er bei jeder Gelegenheit beschimpft.
Die Spionage-Affäre um ein abgehörtes Gespräch zu Taurus, das der Unterrichtung des Ministers dienen sollte, wirft Fragen auf. Überraschend für mich ist dabei aber vor allem, dass Pistorius so spät-das Gespräch fand am 19. Februar statt- über das militärische Für und Wider eines Taurus-Einsatzes informiert werden sollte. Dass spioniert wird und zwar von allen, steht fest. Dass hier jemand nicht aufgepasst hat, könnte man als fahrlässig einstufen. Es gibt doch gesicherte Räume, technische Möglichkeiten, den Feind nicht mithören und mitschneiden zu lassen. Warum hat man die nicht genutzt? Wie hoch ist denn der Schaden? Oder geht es allein um eine Image-Frage? Motto: ausgerechnet der Russe, der verhasste Putin! Das hätte nie passieren dürfen. Der Kreml mag sich die Hände reiben, Schadenfreude und was immer sonst noch haben. In Deutschland wird das Thema von der Opposition und von Medien, die auf Waffen stehen, gegen Scholz genutzt. Der kann es nicht. Hat schon Merz bei anderer Gelegenheit gesagt. Und Söder hat daraus seinen Wahlkampfschlager gemacht: Die Ampel muss weg. Neuwahlen müssen her. Ein Schwarzer als Kanzler. Alle Seiten, Scholz und Merz und Söder sollten darauf achten, dass sie sich gegenseitig brauchen werden. Nicht nur, aber auch und besonders im Kampf gegen die Feinde der Demokratie, gegen die AfD. aber auch bei manchen Steuerplänen. Bei möglichen Sondervermögen für die Bundeswehr.
Es fehlt die Diplomatie
Was mir in der Debatte zu kurz kommt, ist die Diplomatie. Ungeachtet der Tatsache, dass Putin den Krieg gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat, muss doch überlegt werden, wie man diesen Krieg beenden kann. Jeden Tag werden Soldaten auf beiden Seiten getötet. Das muss doch aufhören. Warum gibt es keine Gesprächskanäle mehr zwischen Europäern und Russen im Kreml? Putin ist ein Kriegstreiber, ja, ein Diktator. Aber in Zeiten des kalten Krieges waren die Breschnews auch keine Friedensengel. Und doch haben Willy Brandt, Walter Scheel, Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher immer wieder mit den Russen, die damals noch Sowjets waren, geredet. Über Frieden. Frieden. Frieden. Rüstungskontrolle. Man darf daran erinnern, dass einer wie Genscher wenige Wochen vor seinem Tod die westlichen Politiker aufgefordert hat, auf Putin zuzugehen und ihm die Hand zu reichen. Lächerlich? Nein, ein solches Zeichen wäre ein Signal der Stärke. Der Klügere gibt nach. Die SPD ist von ihrer Geschichte her eine Friedenspartei. Das muss sie bleiben. Diplomatie heißt ja nicht nur mit der Friedenstaube rumzulaufen oder mit brennenden Kerzen auf Panzer zuzugehen. Zur Diplomatie gehört militärische Stärke, damit die andere Seite nicht auf dumme Gedanken kommt. Diese Balance war immer wichtig. Und sie bleibt es.
„Bellizistisches Maulheldentum“, so hat es Rüdiger Lüdeking, 38 Jahre Mitarbeiter im Auswärtigen Dienst, darunter bei der UNO und der OSZE in Wien, in einem Gastbeitrag für die SZ geschrieben, „sind eher geeignet, die Kriegsgefahren für die europäischen Nato-Staaten zu erhöhen.“ Bereitschaft zum Dialog, zum Zuhören, damit man die Sorgen der anderen Seite versteht. Die beste Sicherheit ist immer die Sicherheit des anderen. Schon vergessen diesen Satz aus der Entspannungspolitik? Die Nato-Osterweiterung, auf die Rüdiger Lüdeking in seinem SZ-Gastbeitrag hinweist, widersprach den Interessen Russlands. Man hat diese überhaupt nicht bedacht, die Nato hat einfach rote Linien überschritten. Das muss man im Kopf haben, wenn man mit Russland wieder reden will. Reden muss. Putin ist dort Präsident, wir sollten keiner Politik des Regime-Changing anhängen. Mit ihm müssen wir reden. Trotz allem.
Scholz hat zu Beginn des Krieges den guten Satz gesagt: Russland darf den Krieg nicht gewinnen. Das wäre schon viel, käme es so. Die Ukraine, da muss man kein Prophet sein, kann den Krieg gegen die Atom-und Weltmacht Russland nicht gewinnen. Also muss man sehen, dass die Ukraine als Staat überlebt. Ohne Kompromisse wird es nicht gehen, sie werden schmerzhaft sein, die Krim kann, wird dazu gehören. Aber ohne wird es keinen Waffenstillstand geben, vom Frieden nicht zu reden. Die Ukraine wird dies wollen müssen, keine Frage. Und Russland wird mit Amerika auf Augenhöhe mitreden wollen. Vielleicht auch China, Indien, Frankreich und Deutschland im Rahmen der EU. Gehen wir aufeinander zu, mag sein am Anfang einige wenige nur, wie es Genscher geraten hatte, „um herauszufinden, wie wir nicht zu einem Kräfteverschleiß kommen im Gegeneinander, sondern wie wir weiterkommen. Starke Worte haben uns noch nie weitergeführt.“
Der Frieden ist der Ernstfall, weil er Leben bedeutet und nicht länger Töten und Zerstörung.
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