Russland will keinen Krieg. Das hat Präsident Wladimir Putin nach dem Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Moskau versichert. Und der deutsche Bundeskanzler hat in bester Willy-Brandt-Tradition von Zeichen der Hoffnung gesprochen. Von allen sei mutiges und verantwortungsbewusstes Handeln gefragt, betonte der Berliner SPD-Regierungschef in der russischen Metropole. Für seine Generation- Scholz ist Jahrgang 1958-sei Krieg in Europa undenkbar. Wörtlich fügte er hinzu: „Es ist unsere verdammte Pflicht und Aufgabe, als Staats- und Regierungschefs zu verhindern, dass es in Europa zu einer kriegerischen Eskalation kommt.“ Wer würde dem widersprechen!? Und sein mächtiger Gegenüber, Putin sprach in ähnlicher Diktion davon, dass Russland keinen Krieg wolle. Man brauche vertrauensbildende Maßnahmen.
Wir brauchen mehr Entspannung, weniger Drohungen und verbale wie militärische Abrüstung. Wir sollten auch im Westen weniger davon reden, dass ein Krieg bevorstünde, dass man Botschaftspersonal abzieht von den Vertretungen in Kiew, weil ein Krieg, so hat es US-Präsident Biden vor wenigen Tagen prognostiziert, am Mittwoch, also heute beginnen, die Russen in die Ukraine einmarschieren würden. Er berief sich auf Geheimdienste. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was sollen solche Vorhersagen. Wem ist damit gedient, wenn die Gefahr beschworen wird, wenn die Luft immer heißer geredet wird, als sie ist. „Dialog und Interessenausgleich mit Russland ist wichtiger“, betont Friedbert Pflüger, der ehemalige enge Mitarbeiter des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Pflüger schätzt die Entspannungspolitik von Willy Brandt sehr, dessen Bemühungen um einen Ausgleich mit dem Osten. Reden mit Putin, mit Lawrow, damit man den anderen besser versteht, seine Motive und seine Denkweise kennenlernt, Verständnis bekommt für seine Wünsche und vielleicht Nöte.
Ohne Frieden ist alles nichts
Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts, hatte Pflüger vor kurzem in einem Beitrag des Blog-der-Republik Brandt zitiert. Und dessen weiteren Kernsatz erwähnt: Solange geredet wird, wird nicht geschossen. Also müssen wir miteinander reden, in Moskau mit Putin, ihn nach Berlin einladen, um den Dialog fortzusetzen. Ich will den russischen Präsidenten nicht unterschätzen, wehre mich aber auch gegen diese Art von Dämonisierung, wie sie in westlichen Medien stattfindet. Als wäre Putin des Teufels. Man erinnert sich an eine ähnliche Sprache, sie sie unter Ronald Reagan in den 80er Jahren üblich war, als der US-Präsident vom Reich des Bösen sprach und damit die UdSSR meinte. Die Emotionen, so hat es Pflüger gerade in einem offenen Brief an Wolfgang Ischinger, den Chef der Münchner Sicherheitskonferenz gemahnt, „schaukeln sich hoch, nur wenige, darunter zum Glück Olaf Scholz und Emmanuel Macron bleiben gelassen und halten Kurs in der Tradition der guten alten Harmel-Doktrin der Nato: Eindämmung und Entspannung“. (Veröffentlicht ist der Brief in Cicero)
Ja, man hatte in der letzten Zeit den Eindruck, dass „viele in Deutschland die Lehren der Weltkriege und das Leid der Bombennächte zu verdrängen scheinen.“ Zuviel werde gedroht, die Atmosphäe unnötig aufgeheizt mit Ultimaten, Aufrüstrung, Forderungen nach Waffenlieferungen, mit Aufmärschen von Militär an Grenzen, es werde so getan, als stünde der Krieg bevor. Wer an die Lage vor 1914 denkt, weiß durch Schilderungen in Büchern vielleicht noch, wie es dann plötzlich mit Musik in den Krieg ging, von dem man glaubte, es wäre ein Spaziergang, der in wenigen Tagen beendet sei. Frankreich war damals der Todfeind. Und dann wurde daraus ein Weltkrieg. Verdun, das Schlachtfeld steht dafür, ich habe es besichtigt mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und Frankreichs Präsident Mitterrand. Es regnete in Strömen, die letzten Veteranen standen da, kleine, alt gewordene Männer, hager, glücklich, dass sie das Inferno überlebt hatten. Das war 1984.
Kohl und Mitterrand Hand in Hand- und gedachten der Millionen Gefallenen auf dem französischen Nationalfriedhof. Verdun, ein historischer Ort in Europa. Hier wurde 843 das Reich Karls des Großen aufgeteilt, was manche als den Anfang des deutsch-französischen Gegensatzes betrachten. Hier lieferten sich Deutsche und Franzosen 1916 eine der erbittertsten Schlachten des Ersten Weltkrieges. Geschätzt kamen allein hier eine halbe Million Menschen ums Leben. Wer heute von der deutsch-französischen Freundschaft spricht, darf nicht die Ziele der deutschen Generäle vergessen, die damals die französische Armee „ausbluten“ wollte. „Wer nicht in Verdun war, war nicht im Krieg“, so die Veteranen. Im sogenannten „Beinhaus“ Donaumont liegen die sterblichen Überreste von 130000 unbekannten Kriegstoten.
Krieg nicht herbeireden
Friedbert Pflüger, Jahrgang 1955, erinnert daran, an diese Katastrophe, in die einst die Europäer schlafwandelnd hineinschlitterten. „Das darf nicht wieder passieren. Alle müssen abrüsten, auch verbal, einen Krieg nicht herbeireden, sich im Ton mäßigen“, damit nicht später gesagt werde, ein Funke habe ausgereicht und Europa in Flammen gesetzt. Dialog, Entspannung, Wandel durch Handel, Wandel durch Annäherung, erinnert der CDU-Politiker Pflüger an die Politik von Willy Brandt. Den Dialog mit Putin zu suchen, um ihn besser zu verstehen, heiße nicht, Deutschlands Einbindung in die westliche Allianz aufzugeben. Gerade weil Moskau es „uns sehr schwer macht, müssen wir es weiter versuchen“, schreibt Pflüger in seinem offenen Brief, in dem er die Absage der Russen an der Sicherheitskonferenz bedauerte.
„Keine Waffen an die Ukraine„, wiederholte Pflüger einen Satz, den er schon vor einiger Zeit im Blog-der-Republik geäußert und damit dem Botschafter der Ukraine widersrochen hatte. Pflüger lehrt heute in Bonn an der Universität. Er lehnt derlei Waffen ab, weil sie die Gefahr böten, den Konflikt weiter anzuheizen und die andere Seite, nämlich Moskau, zu provozieren. Niemand im Westen wolle mit eigenen Soldaten die Ukraine verteidigen, aber man schicke Waffen, die den Krieg nicht verhindern, wohl aber das Leid der Menschen vergrößern, heißt es weiter in dem offenen Brief. Pflüger erinnert an einen Besuch von Bundespräsident Richard von Weizsäcker auf dem Piskarskowje-Friedhof 1987 im damaligen Leningrad (Geburtsort von W. Putin), an dem er als Pressesprecher des Präsidenten teilgenommen hatte. Der Überfall von Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion kostete 27 Millionen Menschen in der Sowjetunion das Leben. Eine halbe Million Soldaten, Frauen, Kinder, Greise sind auf dem erwähnten Friedhof in Leningrad begraben, Opfer der Vernichtungs-Strategie Hitlers, der drei Jahre die Stadt Leningrad eingekesselt hatte, um die Menschen dort verhungern oder erfrieren zu lassen.
Ich habe diesen Friedhof später besucht, als die Stadt St. Petersburg hieß und zwar am Tag der Befreiung: am 9. Mai. Tausende von Bürgern, Familien mit Kindern, einstige Soldaten in Uniformen mit allen Auszeichnungen an ihren Revers. Wir, eine Gruppe Bonner Journalisten, waren ergriffen von diesem Besuch. Pflüger schildert noch, wie Weizsäcker, begleitet von den Außenministern Genscher und Schewardnadse zu den Klängen der Leningrader Sinfonie von Schostakowitsch durch die Reihen der Gräber geschritten seien. Nie wieder! Darf das passieren. Das ist die Botschaft, die von Gesprächen deutscher und russischer Politiker ausgehen muss. Pflüger plädiert im übrigen für eine Neutralität der Ukraine-wie Finnland- statt der Nato-Mitgliedschaft und für eine zweite KSZE mit Klima-Projekten. Damit die Spirale von Misstrauen und Hass zwischen der Ukraine und Russland abgebaut werde und durch gemeinsame Zukunftsprojekte „neues Vertrauen“ entstehe. Das ist es, was wir brauchen, Vertrauen, Verständnis, nicht so sehr Abschreckung und noch mehr Aufrüstung.