Eklat bei Gabriels Israel-Reise. Premier Netanyahu lässt Termin mit dem deutschen Außenminister platzen, weil der SPD-Politiker an einem Treffen Menschenrechtsgruppen in Israel festhält, die das militärische Vorgehen in den Palästinensergebieten ebenso heftig kritisieren wie die israelische Siedlungspolitik. Überschriften wie diese finden sich nicht nur in der „Süddeutschen Zeitung“, sondern in fast allen deutschen Medien. Dazu kursgefasst die Meinung Sigmar Gabriels, der zwar die Absage des Treffens mit Netanyahu bedauert, aber darin auch keine Beschädigung des deutsch-israelischen Verhältnisses sieht und im übrigen betont: „Unter Freunden muss man auch etwas aushalten können“. Heißt: Sich die Meinung sagen können. Und es gehört zu einem Politiker wie Gabriel, dass er sich nicht vorschreiben lassen will, mit wem er redet bei Besuchen im Ausland, eben auch mit Regierungskritikern. Nur so, kann man ihn auch weiter interpretieren, könne er anschließend offen auch mit Vertretern der Regierung über Probleme reden.
Dass Gabriel Treffen unmittelbar vor dem Holocaust-Gedenktag stattfand, mag den einen oder anderen stören. Am Gedenktag selber sind deutsche Politiker in Israel und schon gar nicht am Mahnmal Yad Vashem gern gesehen. Die wenigen Holocaust-Überlebenden wollen das nicht, was man verstehen kann. Sechs Millionen Juden wurden von den Nazis zumeist in den eigens dafür gebauten Konzentrationslagern in vielen Teilen Europas umgebracht, erschlagen, erschossen, vergast, man hat sie verhungern lassen. Sechs Millionen Menschen, weil sie Juden waren. Jeder Israel-Besucher sieht sich mit diesem Massenmord, diesem Zivilisationsbruch der Deutschen konfrontiert. Auch einer wie Sigmar Gabriel, der schon mehrfach in Israel zu Besuch war, schon als junger Mann war er da. Und ein jeder weiß, auch Netanyahu, wie nahe das Thema einem wie Gabriel geht, der seit Leben lang darunter gelitten hat, dass sein Vater bis zum Tod ein überzeugter Nazi war und versuchte, den Sohn auf diesen schlimmen Weg zu ziehen, was ihm nicht gelang. Eine ergreifende Geschichte aus dem Leben des Sozialdemokraten, die Gabriel erst vor ein paar Jahren erzählte.
Ex-Botschafter Stein hilft Gabriel
Simon Stein, Israels Botschafter in Deutschland Anfang 2001, nahm Gabriel für seine Haltung quasi in Schutz. Es sei „Gang und Gäbe“ gewesen, dass sich ausländische Besucher auch mit kritischen Vertretern der Zivilgesellschaft getroffen hätten. Stein nannte die Entscheidung Netanjahus sehr bedauerlich und unglücklich. Israels Staatspräsident Reuven Rivlin betonte im Gespräch mit seinem deutschen Gast: Israel sei eine Demokratie ; deshalb dürfe hier jeder seine Meinung sagen.
Wenn man in die kleine Historie von Besuchen deutscher Politiker in Israel schaut, stösst man hin und wieder auf Probleme und Meinungsverschiedenheiten. Mal störte sich Israel an der Haltung der Deutschen zur Zwei-Staaten-Lösung, also Israel und Palästina, eine Meinung, die auch Gabriel vertritt, mal war man in Jerusalem mindestens irritiert, wenn nicht erzürnt über Meldungen, Bonn wolle den Saudis Waffen liefern. Überhaupt die Haltung der Deutschen zu den Arabern bereitete den Israelis oft genug Kopfzerbrechen, auch wenn sie wissen mussten, dass selbst solche Kontakte dazu dienen sollten, den Friedensprozess irgendwie in Gang zu bringen. Und nie stand die Garantie der Bundesrepublik zur Existenzsicherung Israels in Frage, sie ist Teil der Staatsräson Deutschlands. Aber die Dinge sind nun mal sensibel.
Golda Meir und Willy Brandt
Selbst zwischen dem Bundeskanzler Willy Brandt und der damaligen israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir knirschte es, wie man in den Erinnerungen Brandts nachlesen kann. Weil Golda Meir den Versuch der EWG, in einen israelisch-arabischen Dialog einzutreten, misstraute und sich lieber auf die Amerikaner verließ, fuhr sie auf einer Konferenz der Sozialistischen Internationale(SI) in Helsinki 1971 die Parteiführer an: „Was geht das die Sechs an?“ Und kurz danach fügte sie fast resignierend hinzu: „Israel hat keine Freunde mehr, doch es wird notfalls bis zum letzten Mann kämpfen.“
Ein Jahr, schreibt Willy Brandt dann, sei sie milder gestimmt gewesen und im Juni 1973 „wusste sie zu schätzen, dass ich als erster Bundeskanzler ihr Land besuchte.“ (Konrad Adenauer hat Israel erst besucht, als er nicht mehr im Amt war.) Und bei einem Essen im Hotel David(das erste Haus in Jerusalem) habe Golda Meir betont: „Jawohl, wir sind zum Kompromiss bereit in allem und jedem, mit der einzigen Ausnahme unserer Existenz und unserer Lebensrechte in diesem Land und in diesem Gebiet.“ Das war wenige Monate vor Ausbruch des Jom- Kippur-Krieges. Und nach dem Krieg habe Golda Meir die Sorge geäußert, in den Kehlen der europäischen Sozialdemokraten habe man Öl gespürt. Wörtlich: „Israels Problem ist es, dass es letzten Endes immer allein steht.“ Brandt hat dies ziemlich getroffen, weil es nicht wahr war, wie er schreibt. Und in Peter Merseburgers ausgreifender Biographie „Willy Brandt“ findet sich eine Passage, wonach Brandt dem bedrängten Israel ein elektronisches Gerät habe auf geheimen Wegen zukommen lassen, was die israelische Luftwaffen dringend gebraucht habe, die USA nicht hätten se schnell liefern können, aber die Bundeswehr habe das Gerät gehabt und geliefert. „Kriegsentscheidend“ sei das gewesen. Klaus Harpprecht habe diese Geschichte Jahrzehnte später in der Hamburger „Zeit“ geschrieben.
Begin beschimpfte Helmut Schmidt
Helmut Schmidt, Brandts Nachfolger, hatte 1975 eine Einladung nach Israel, doch er hatte sie ignoriert, so steht es in den Erinnerungen von Helmut Kohl. Das wiederum habe Menachem Begin verärgert, den damaligen Ministerpräsidenten. Er habe Schmidts Haltung als persönlichen Affront empfunden. Und als Schmidt 1981 vom Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat sprach, reagierte Begin sehr polemisch. Helmut Schmidt habe als Offizier im Zweiten Weltkrieg „nie seinen Treueid auf seinen Führer Adolf Hitler gebrochen.“ Eine Unverschämtheit, eine Beleidigung.
Unvergessen der Besuch des Kanzlers Helmut Kohl im Januar 1984. Schon im Vorfeld der Reise gab es heftige Diskussionen in Israel wegen möglicher Waffenlieferungen Deutschlands an die Saudis. Zudem erzürnten sich nicht wenige Israelis über Äußerungen Kohls, die der CDU-Kanzler im Jahr zuvor über die Mitglieder der Waffen-SS gemacht hatte. Kohl hatte u.a. erklärt, es dürften nicht alle Mitglieder der Waffen-SS unterschiedslos beurteilt werden. Gerade die Heranwachsenden hätten während des Krieges zwar ihren Dienst dort geleistet, hätten sich später aber als aufrechte Bürger eines demokratischen Staates erwiesen.
Kohl verstand sich, wie er in den Erinnerungen schreibt, als erster Kanzler der Nachkriegsgeneration, weil er nicht mehr als Soldat im Krieg teilgenommen hatte. Und Kohl hatte bei seiner Reise durch arabische Länder auf die israelischen Rechte hingewiesen und sich dafür eingesetzt, nun tat er Ähnliches in Israel und unterstrich dort die arabischen Rechte. Das gefällt und gefiel nicht jedem.
Nazis raus, riefen sie uns zu
Ich erinnere mich noch an den Besuch in Israel, den ich als Korrespondent der WAZ in Bonn neben vielen anderen Kollegen begleiten durfte. Mit dem Ruf „Nazis raus“ wurden die Deutschen von israelischen Demonstranten vor der Gedenkstätte Yad Vashem empfangen. Die meisten der jugendlichen Demonstranten waren als KZ-Häftlinge verkleidet. Eine gespenstische Atmosphäre vor dieser Stätte, in der der sechs Millionen toten Juden gedacht wird, von den Nazis getötet, weil sie Juden waren. Oder wie es in der Trauerklage hieß, die mehr als zu Herzen ging: „Gott, gedenke der Seelen unserer Brüder, sechs Millionen der Kinder Israels, Opfer des Holocaust, die getötet wurden, ermordet, erdrosselt und lebendig begraben. Herr, gedenke deiner Gemeinde.“ Und wir, auch die Journalisten standen dabei, wortlos, wir versuchten, den Klos im Halt loszuwerden. Und dann hallte noch der Ruf der Protestler nach: „Nazis raus!“
Kohl schildert in seinen Erinnerungen die Gespräche mit dem israelischen Ministerpräsidenten Schamir, dessen Familienangehörige die Nazi-Verfolgung in Polen nicht überlebt hatten. Bei seiner Rede anlässlich des Banketts im Jerusalemer Hilton betonte Kohl ausdrücklich die deutsche Verantwortung vor der Geschichte. „Vor Ihnen, Herr Ministerpräsident, verneige ich mich in Schmerz über das Leid, das von deutscher Hand über das jüdische Volk gebracht wurde.“ Der Kanzler erklärt dann noch mehrfach eine Äußerung, die er auch schon in Deutschland getan hatte und die ihm Kritiker vorgehalten hatten: Die Gnade der späten Geburt, Kohl ist Jahrgang 1930. Gemeint: „Der Zufall des Geburtsdatums bewahrte uns davor, zwischen Anpassung oder Mitmachen einerseits und Märtyrertum andererseits wählen zu müssen.“ Damit sei zugleich gesagt, dass „wir Jüngeren kein Recht zur moralischen Überheblichkeit gegenüber einer Generation haben, der die Gnade der späten Geburt nicht zuteil wurde“.
Ja, da hat Gabriel Recht, unter Freunden muss man was aushalten können.
Quellen: Willy Brandt. Erinnerungen. Helmut Kohl: Erinnerungen. Peter Merseburger: Willy Brandt. Visionär und Realist.
Bildquelle: Wikipedia, Zachi Evenor CC BY-SA 3.0