„Ausgerechnet Schnellinger“, kommentierte Fernseh-Kommentator Ernst Huberty den Ausgleichstreffer des rechten deutschen Verteidigers im Spiel Deutschland gegen Italien in der letzten Minute. Es war das WM-Halbfinale 1970, vor 102444 Zuschauern im Aztekenstadion in Mexiko-Stadt. Und ausgerechnet der beim AC Mailand spielende Ex-Kölner Fußballer Schnellinger hatte den Ausgleich erzielt, indem er in eine Flanke des Frankfurter Rechtsaußen Grabowsky reingrätschte. Es ging in die Verlängerung, am Ende gewann Italien mit 4:3 Toren. Bundestrainer war übrigens Helmut Schön.
Das Spiel ging als Jahrhundertspiel in die Fußballgeschichte ein. Eine Gedenktafel im Aztekenstadion weist noch heute auf dieses dramatische Spiel des Vize-Weltmeisters von 1966, Deutschland, gegen den amtierenden Europameister Italien hin, das angeblich beste Fußballspiel aller Zeiten. Die älteren Semester werden sich vielleicht noch daran erinnern. Gerd Müller, der Bayern-Bomber, brachte Deutschland in der Verlängerung mit 2:1 in Führung, derselbe Müller schaffte nach der vorübergehenden Führung der Italiener mit 3:2 den erneuten Ausgleich in der 110. Minute. Deutschlands Stopper Willy Schulz konnte am Ende den italienischen Spielmacher Gianni Rivera nicht mehr halten, der den Endstand mit 4:3 besorgte. Sepp Maier im Tor war ohne Chance. Uwe Seeler schlich später traurig vom Platz, die Hamburger Fußball-Legende blieb zeit seines Lebens ohne einen WM-Titel.
Beckenbauer mit einer Schlinge um den Arm
Deutschland spielte die letzte halbe Stunde mit einem angeschlagenen Franz Beckenbauer, der bei einem rüden Foul der Italiener auf die Schulter gefallen war und sich diese gebrochen hatte. Er musste mit einer Binde am rechten Arm weitermachen, das Auswechselkontingent war erschöpft.
Deutschland gegen Italien. Natürlich haben die Italiener Respekt vor Deutschland. Für die in Bonn lebende VHS-Dozentin Caterina Dräger-Massai ist das das vorgezogene Endspiel. Und egal, wer gewinnt, sie wird ein wenig traurig sein. Caterina ist eine deutsche Staatsbürgerin, die aus Florenz kommt, lange in Rom gelebt hat, und über München schließlich am Rhein gelandet ist. Natürlich schlagen zwei Herzen in ihrer Brust. Man legt ja das Italienische nicht einfach ab, wenn man in Deutschland lebt.
Für Deutsche oft La bella Italia
Spannung, Respekt, Hochachtung. Für Deutsche war Italien immer „La bella Italia“, Sommer, Sonne, Strand, Wein, Spaghetti und dann diese Sprache mit dieser Musik, einfach zum Träumen. Und viele deutsche Fußballer erfüllten sich diesen Traum. Karl-Heinz Schnellinger, einer der besten Verteidiger seiner Zeit, spielte zunächst beim AC Mantova, dann in Rom und schließlich beim AC Milan. Er war nicht der erste Kicker, der den Weg über die Alpen wagte. Horst Szymaniak, der aus dem Ruhrgebietsstädtchen Erkenschwick stammte und dort bei der Spielvereinigung gespielt hatte, ehe er über Wuppertal in den Süden Italiens weiterzog, nach Catania. Horst Buhtz ist zu erwähnen, ein Spielmacher mit hohen Qualitäten, gehört in diese Reihe, er ging schon 1952 nach Italien, wo er für den AC Turin spielte und im Vergleich zu den bescheidenen Prämien in den deutschen Oberligen rund 150000 DM verdiente. Die Italiener riefen ihn „Il Tedesco“, den Deutschen. Später zog es Karl-Heinz Rummenigge zu Inter Mailand. Und dann die späteren deutschen Weltmeister: Klinsmann, Kohler, Reuter, Matthäus, Völler, Möller, Hässler, die in Rom, Turin oder Mailand ihr Geld verdienten.
Und nicht zu vergessen Miro Klose, der gerade seinen Dienst in Rom quittiert hat. Dagegen kann man die wenigen Italiener, die nach Deutschland kamen, um in Dortmund oder bei den Bayern zu spielen, an einer Hand aufzählen, der bekannteste war sicher Luca Toni, der Torjäger. Und natürlich gehört in diese Reihe der frühere Italien-Star, Giovani Trappatoni, als Aktiver ein Klasse-Verteidiger, als Trainer bei den Bayern aber ohne den großen Erfolg. Am bekanntesten ist seine Wut-Rede über einige Spieler der Bayern, denen er mangelnden Einsatz vorwarf. Hier ein paar Auszüge daraus: „Drei Spieler waren wie Flasche leer.. Was erlauben Strunz… Ich habe fertig.“
La bella Italia – auch für die Politik
Deutschland und Italien, das besondere Verhältnis. Die Deutschen zog es früh an die Strände der Adria, nach Sizilien, Sardinien, an die Riviera. Auch Konrad Adenauer, den ersten Bundeskanzler, zog es ab 1957 jedes Jahr zweimal nach Cadenabbia am Comer See, wo er sich beim Boccia-Spiel vom Regierungsstress in Bonn erholte. Die Toskana wurde eines der beliebtesten Urlaubsziele, dort ließ sich mancher deutsche Politiker nieder, darunter der ehemalige Grünen- und spätere SPD-Politiker und Bundesinnenminister Otto Schily. Nicht zu vergessen die Toskana-Fraktion der SPD vor vielen Jahren, damit war jene Gruppe gemeint, die es wegen des Weins und der Landschaft in diese feine Gegend zog und gern so lebte, wie man dort lebte. La bella Italia, wir haben es genossen, den Urlaub in Bibione mit den kleinen blonden Töchtern, die von den italienischen Kellnern stets mit Vorliebe behandelt wurden.
Kein Trauma? Kein deutscher Sieg in einem Pflichtspiel
Zurück zum Fußball. Bundestrainer Jogi Löw hat betont, die deutsche Mannschaft habe kein Italien-Trauma. Aber indem er das betont, scheint es zumindest in den Hinterköpfen der Spieler, Trainer und Betreuer zu sein. Die Angst vor Italien, belegt in Zahlen: 33mal trafen deutsche und italienische Fußballer aufeinander, nur achtmal gewann Deutschland, 15mal behielten die Italiener die Oberhand, zehnmal trennte man sich unentschieden. Noch trostloser sieht es aus, wenn man die wirklich wichtigen Spiele um Titel vergleicht. Bei Welt- und Europameisterschaften konnte Deutschland kein einziges Spiel gegen Italien gewinnen, viermal verlor man, viermal ging die Sache unentschieden aus. Kein Trauma? In bester oder schlechter Erinnerung für deutsche Fans ist die Partie gegen Italien 2006 in Dortmund. Vor 65000 Zuschauern siegte Italien mit 2:0 Toren, wie man sagt, nach großem Kampf in der Verlängerung, aber man verlor gegen die Tifosi.
Man könnte natürlich darauf verweisen, dass die Deutschen die Italiener im Frühjahr in einem Freundschaftsspiel mit 4:1 klar besiegten, aber Vorsicht: die Italiener waren mit ihrer B-Elf angetreten. Eher sollte man das Spiel bei der Europameisterschaft 2012 in Warschau als Beispiel nehmen. Da wurde der Spieler Mario Balotelli, der Muskelprotz mit der Hochfrisur, zum Alptraum für Lahm und Co. Man verlor 2:1, auch weil Bundestrainer Löw sich bei der Aufstellung verzockt hatte.
Schande von Gijon und Battistons Zähne
Oder gehen wir etwas weiter zurück. Bei der WM 1982 in Spanien verlor die deutsche Mannschaft gegen Italien mit 3:1. Es war die WM, die mehr wegen der Schande von Gijon in Erinnerung blieb. Deutschland und Österreich trennten sich 1:0, beide Teams kamen eine Runde weiter, das Spiel glich einem Nichtangriffspakt. Berüchtigt das rüde Vorgehen des deutschen Torwarts Toni Schumacher gegen den französischen Angreifer Patrick Battiston, der bei der Attacke durch Schumacher eine Gehirnerschütterung und eine Wirbelverletzung erlitt und zwei Zähne verlor.
Wer Trost oder Aufmunterung sucht, findet sie bei der WM 1990 in Italien. Da schaffte die Squadra Azzurra den Weg ins Endspiel nicht und musste tatenlos mitansehen, wie Deutschland das Finale gegen Argentinien mit 1:0 gewann. Das Tor schoss Andy Brehme. Oder man greift zu den Spielen deutscher Vereinsmannschaften gegen italienische Spitzenklubs. 1983 besiegte er HSV mit Felix Magath, Uli Stein und Horst Hrubesch die „alte Tante“ Juventus Turin mit 1:0 und gewann den Europacup der Landesmeister. Trainer des HSV war Ernst Happel, in der Mannschaft des Gegners hütete der legendäre Dino Zoff das Tor und im Mittelfeld zog der Franzose Michel Platini die Fäden. Trainiert wurden die Turiner von Trappatoni. 1997 gewann Schalke 04 das UEFA-Cup-Endspiel gegen Inter Mailand mit 4:1 durch Elfmeterschießen. Und zwar im Giuseppe-Meazza-Stadion in Mailand. Im Tor stand Jens Lehmann, der Belgier Marc Wilmots spielte im Sturm, heute trainiert er die belgische Nationalmannschaft. Im selben Jahr besiegte der BVB Juventus Turin im Endspiel der Champions-League in München. Die Borussia spielte u.a. mit Sammer, Kohler, Riedle, Möller, Chapuisat. Bei Juventus Turin konnte selbst der Ball-Zauberer Zinedine Zidane die Niederlage nicht verhindern.
2011 kegelte Schalke Inter aus dem Pokal
Oder nochmal das Beispiel Schalke: 2011 warfen die Königsblauen Inter Mailand aus dem Champions-League-Wettbewerb, als sie in Mailand mit 5:2 sensationell gewannen. Inter war immerhin der amtierende Champions-League-Gewinner. In der Schalker Mannschaft spielte der einstige Real-Star Raul und im Tor stand Manuel Neuer. Oder nehmen wir den FC Bayern, der in diesem Frühjahr in der Champions-League gegen Juventus Turin schon 0:2 zurücklag, dann den Ausgleich schaffte und schließlich das Spiel in der Verlängerung mit 4:2 gewann.
Thomas Müller, der im laufenden Wettbewerb noch kein Tor geschossen hat, gab sich vor dem Spiel optimistisch. Mit dem Viertelfinale werde es für die Deutschen nicht vorbei sein. Dachte er da an die vermeintlich bessere und jüngere Mannschaft mit Neuer, Boateng, Hummels, Kroos, Draxler, Schweinsteiger, Özil, Kimmich? Er wird hoffentlich nicht das Vorurteil gegenüber der Italien-Mannschaft im Kopf haben, die vor dem Turnier abschätzig als eine Art Rentner-Band eingestuft worden war, weil sie die älteste Elf sei. Zumindest das haben die Italiener um ihren Torwart-Senior Buffon, immer noch einem der besten seiner Zunft in der Welt, den Kritikern gezeigt. Auch wenn ihr Trainer Conte meinte: Vor einem Spiel gegen die Deutschen erschauere man.
Die schönste Nebensache der Welt
Ich verlass mich auf den Tipp eines guten Freundes und Fußball-Kenners aus München. Der Mann muss es wissen, er hat sich festgelegt: „Dieses Mal sind die Italiener fällig“. Aber wie gesagt, jedes Spiel dauert mindestens 90 Minuten, der nächste Gegner ist immer der schwerste und der Ball ist rund. Hat Sepp Herberger gesagt oder doch Otto Rehhagel?
Letzter Satz dazu: Fußball ist die schönste Nebensache der Welt.
Ach, so, wo ich das Spiel am Samstag schaue? Vielleicht gehe ich zu meinem Italiener an der Ecke, der hat den Fernseher schon ins Lokal gestellt. Bei Pasta, Pizza oder einem Carpaccio, mit einem Pino Grigio oder einem roten Sizilianer kann man das Spiel genießen. Und den Grappa gibt der Italiener aus, egal, wer gewinnt.
Bildquelle: pixabay, user pixel2013, CC0 Public Domain