Deutschland-einig Vaterland. So lautete die vierte Zeile aus der ersten Strophe der DDR-Nationalhymne. Demonstranten riefen den Spruch nach der Wende, nach dem Fall der Mauer, auf Transparenten war die Zeile als Parole zu lesen. Der Ruf soll zuerst auf der Leipziger Montagsdemo am 13. November 1989 zu hören gewesen sein. Bei der ersten Wahl zur freien Volkskammer hatten sich alle Parteien des Slogans bedient. Es ist müßig darüber zu streiten, wann der Satz das erste Mal geäußert wurde. Es könnte auch Helmut Kohl gewesen sein, der bei seiner berühmten Rede vor der Ruine der Frauenkirche in Dresden am 19. Dezember 1989 feststellte: “ …mein Ziel bleibt, wenn die geschichtliche Stunde es zulässt, die Einheit unseres Landes.“ Deutschland-einig Vaterland? Heute, fast 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, streiten wir wieder mal darüber, wie einig sich Deutschland denn wirklich ist, gemeint Deutschland West und Deutschland Ost.
3. Oktober 2018. Reden wir über die Wiedervereinigung- ein Begriff, der nicht so ganz stimmt. Denn die Ostgebiete waren weg, verloren nach dem Krieg von Nazi-Deutschland, sie sind Teile von Polen geworden, die Oder-Neiße-Linie als Polens Westgrenze anerkannt. Bleibt also die Vereinigung von der BRD und der DDR, Deutschland West und Deutschland Ost. Dazu heißt es in der Präambel des Grundgesetzes, verändert durch den Einigungsvertrag: „Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern…Brandenburg, ..Mecklenburg-Vorpommern, ..Sachsen,.. Sachsen-Anhalt.. und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“
Wer die Zeit damals miterlebt hat, in Bonn, Berlin und nach der Öffnung der Mauer im Osten, kam aus dem Staunen nicht heraus. Plötzlich war alles anders, war die als unüberwindbar geltende Mauer mitten durch Berlin verschwunden, dieser häßliche Schandfleck, der eine Stadt teilte, der Familien auseinandergerissen hatte, waren die Kontrollen und Schikanen an der Grenze zur DDR weg, weil die Grenze weg war, der Eiserne Vorhang auf der Müllhalde der Geschichte gelandet. verrostet. Ost-Berlin, Hauptstadt der DDR, glich einer einzigen Baustelle, als wären die Goldgräber unterwegs. Überall wurde gebuddelt, abgerissen, umgebaut, angebaut, neugebaut. Es war die Zeit des schnellen Geldverdienens, der Käufer aus dem Westen, die mit dicker Brieftasche alles aufkauften, von dem sie sich die schnelle Mark, die schnelle Million versprachen. Nicht wenige wurden reich dabei, aber viele verloren auch vieles.
Sie wollten Reise-,Presse-, Meinungsfreiheit
Die deutsche Einheit war für uns im Westen ein Traum, von dem wir ausgingen, dass er sich in unserem Leben nie erfüllen werde. Und im Osten, in Ostberlin, Dresden, Leipzig, Erfurt, Weimar, Rostock, Chemnitz? Sie hofften zunächst auf Reisefreiheit, Presse- und Meinungsfreiheit, sie wollten die verhasste Stasi abschaffen, sie erträumten sich Wohlstand, ein schönes West-Auto, eine andere, bessere, sanierte Wohnung, an was man so denkt, wenn man nicht hat, was aber auf der anderen Seite Deutschlands oft genug Standard war. Mit dem Fall der Mauer änderte sich das Leben für Tausende und Abertausende Bürger in der ehemaligen DDR. Sie mussten miterleben, wie ihre Firmen, die ihnen Arbeit und Brot gegeben hatten, eine sichere, wenn auch zuweilen bescheidene Versorgung, abgewickelt wurden von der Treuhand, plattgemacht. Millionen standen ohne Arbeit da. Das hat am Selbstverständnis der Menschen aus Dresden und Rostock gezehrt, hat sie verletzt. Plötzlich hatten sie das Gefühl, als wären sie Deutsche zweiter Klasse. Dabei hatten sie nach dem Krieg und dem Zusammenbruch nur das Pech, auf der falschen Seite des Eisernen Vorhangs gelebt zu haben. Die Anerkennung ihrer Lebensleistung war etwas Selbstverständliches, was ihnen aber oft nicht gewährt wurde.
Wer den Wandel drüben erlebt hat, konnte sehen, wie kein Stein mehr auf dem anderen blieb. Für die Deutschen im Osten änderte sich alles außer der Uhrzeit und der Jahreszeit, wie es der Publizist Peter Bender, ein Kenner der Ostpolitik, bezeichnet hat. Für die Deutschen im Westen dagegen änderten sich nur die Postleitzahlen-mehr noch: einige verdienten sich eine goldene Nase, während die Brüder und Schwestern leer ausgingen. Vollendung der Einheit? Es war der Beitritt der DDR zur BRD, zum Geltungsbereich des Grundgesetzes, es war die Erweiterung der Bundesrepublik um den Osten, die reichen Verwandten im Westen nahmen die armen Verwandten aus dem Osten auf, als wäre es ein Gnadenakt. Was sie hatten in der DDR, wurde für alt und überholt erklärt, wurde abgerissen, erledigt. Der Kapitalismus hatte über den Kommunismus gesiegt, also konnte das System aussortiert werden. So haben es viele Bürgerinnen und Bürger auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erlebt, es war auch ein Stück Demütigung.
Als SED-Mitglieder in die SPD wollten
Ich sprach später mit einstigen SED-Mitlgiedern, die zur Elite der DDR gehört hatten und sich als solche auch fühlten. Und die geglaubt hatten, man werde sie am Umbau des Landes beteiligen, mitwirken lassen, man werde sie um ihre Meinung fragen. Nichts davon geschah. Auch der Gedanke zum Beispiel von Willy Brandt geäußert, man solle überlegen, alle Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesrepublik über das veränderte Grundgesetz abstimmen zu lassen, wurde vom Tisch gefegt. Begründung: Es handele sich um einen Beitritt der kleinen DDR zur ungleich größeren BRD. Man frage Wolfgang Schäuble, der war damals aktiv am Geschehen beteiligt.
Der Umgang mit der Vergangenheit der Menschen aus der DDR war hart, ja brutal. Es gab Gespräche von SED-Leuten mit Mitgliedern der SPD, Fragen, ob man sich vorstellen könne, sie in die SPD aufzunehmen. Die Folge war ein Unvereinbarkeitsbeschluß der Partei. Ich erinnere mich noch gut, als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl in Diskussionen, wie man mit der Vergangenheit der DDR-Büger umgehen solle, Verständnis äußerte: Er wisse nicht, wie er sich verhalten hätte, wenn er drüben hätte leben müssen. Das wäre es gewesen, wenn man Verständnis gehabt hätte für manche Entscheidung von Bürgern aus Rostock oder Dresden, die in die SED eingetreten waren, damit ihre Kinder aus Gymnasium gehen oder studieren konnten. Ja, das hat es gegeben.
Wir im Westen haben sehr schnell verdrängt, wie das war mit den Nazis. Dabei waren Millionen in der NSDAP, aber plötzlich, quasi einen Tag nach Kriegsende, konnten sich viele nicht mehr daran erinnern. Überhaupt wurde das alles verdrängt im Westen, der Kampf gegen den Kommunismus rückte in den Vordergrund, die Bundesrepublik mit der Bundeswehr wurde als Bollwerk gegen die Rote Armee betrachtet, gegen den Russen, den Iwan, der angeblich nur auf eine Schwäche des Westens wartete, um vorzurücken und alles einzunehmen. Die ganzen alten Nazis waren plötzlich Demokraten, wie schön. Ein Heer von Juristen wechselte nur das braune Hemd und machte dann in der BRD weiter. Beispiel gefällig: der Fall Globke.
Westdeutsche sind die besseren Deutschen
Oder der Fall der Wannseekonferenz, als Mittäter an den Verbrechen der Nazis zu Wohltätern wurden. Das kann man im Haus der Wannseekonferenz besichtigen, an der Adolf Eichmann teilnahm, der 1962 in Israel hingerichtet wurde. Die Konferenz, 1942 abgehalten, wurde geleitet von Reinhard Heydrich, dem Chef des Reichs-Sicherheitshauptamtes. Da saßen neben dem Todes-Richter Roland Freisler 15 höhere Beamte um einen großen Tisch und berieten, wie Eichmann geschildert hat, bei einem Glas Cognac die Endlösung der Judenfrage. Es ging um 11 Millionen Juden, aufgelistet nach Ländern, sie waren erfasst und sollten vernichtet werden. Fröhliche Zustimmung habe es gegeben, so das Protokoll. Mit am Tisch saß Dr. Gerhard Klopfer, Staatssekretär und Stellvertreter des Hitler-Stellvertreters Martin Bormann. Er behauptete später, er sei immer davon ausgegangen, dass Juden nur umgesiedelt werden sollten. Gerhard Klopfer wurde als „minder belastet“ eingestuft und kam mit einer kleinen Geldstrafe und dreijähriger Bewährungsfrist davon. Klopfer lebte in Baden-Württemberg als Anwalt, war angesehen bei den Mitbürgern, weil er stets freundlich war, gute Manieren an den Tag legte und bei Begrüßungen den Hut zog. „Stets anständig“ habe er sich verhalten. Erst nach seinem Tod 1987 empörte sich die Öffentlichkeit, wurde Klopfers Nazi-Zeit zum Thema. Die Todesanzeige der Familie-„nach einem erfüllten Leben zum Wohle aller, die in seinem Einflussbereich waren“- machte den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, „fassungslos“. So wurde ein Mittätet zum Wohltäter, wie die Medien den Fall kommentierten. Denn Herr Klopfer hatte in seinem ehemaligen Einflussbereich, der Nazi-Parteikanzlei, als Staatssekretär mit hohem SS-Rang, der schon 1933 Mitglied der NSDAP geworden war, dem Todesurteil von Millionen Juden zumindest nicht widersprochen. Übrigens stellten sich andere Beamte wie Klopfer einfach dumm. Und so kam das Urteil über den Juristen Klopfer zustande, „ihm sei ein Beitrag zum Holocaust nicht nachzuweisen. Es klingt wie Hohn. Nein, die Westdeutschen sind nicht die besseren Deutschen. Lassen wir das mit der Überheblichkeit.
Wolfgang Thierse, gebürtiger Breslauer, der heute in Berlin Prenzlauer Berg wohnt, also im Osten der Stadt, hat in einem Gastbeitrag der „Süddeutschen Zeitung“ aus Anlass des Tags der deutschen Einheit am 3. Oktober dazu aufgefordert: „Wir müssen an der Demokratie arbeiten. “ Es bedürfe der emotionalen Arbeit und der Verständigung, damit die Einheit, die nicht vollendet sei, gelingen könne. Vieles ist erreicht, ja doch, aber von der Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in Ost und West sind wir weit entfernt. Dies alles sei kein Grund für Wut und Empörung, meint Thierse, der ehemalige Bundestagspräsident, wenn wir den Blick auf Fortschritte auch in der sozialen Sicherheit, der menschlichen Annäherung und der Lebenszufriedenheit richteten und unsere unterschiedlichen Biografien anerkennten. Dies hat vor vielen Jahren der einstige Bundespräsident Johannes Rau, ein Menschenfischer, angeregt: West- und Ostdeutsche sollten sich ihr Leben erzählen, damit sie sich besser verstehen lernten.
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