Das also soll die heiße Phase des Bundestagswahlkampfes werden, in die Merkel und ihre Konkurrenten angeblich gerade hinein grätschen sollen. Wie soll das gehen, wenn die Kanzlerin aber damit glänzt, ostentativ auch nur den Anflug zu vermeiden, sie müsse um den Wahlerfolg kämpfen. Umfragen weisen für die Union vierzig Prozent Stimmenanteil aus, während die SPD irgendwo bei 24 Prozent dümpelt. Auch bei der Frage nach der Popularität der Kanzlerkandidaten hat die amtierende Kanzlerin Martin Schulz hinter sich gelassen. Macht sie mit Politikverweigerung also alles richtig?
So tingelt Frau Merkel durch Orte, die höchste Aufmerksamkeit erwarten lassen, ohne das Publikum mit einem Blick auf die Welt zu irritieren. Kein Wunder, dass sie sich beim Besuch der Messe für Computerspiele gern gezeigt hat, denn da wird Ablenkung sichergestellt. Politik und die Wirklichkeit draußen, auch bei schwerem Wetter, haben dabei nur geringe Chancen, dort aufgerufen zu werden oder durchzudringen.
Und die SPD? Bislang besteht der Eindruck, dass Martin Schulz offenbar der einzige sichtbare Wahlkämpfer seiner Partei ist, der aber ohne Mitstreiter durch die Lande zieht und dessen Themen kaum Verbündete in den eigenen Reihen ermuntern, ihm beizuspringen. Während Schulz gegen die Bosse der Automobilbranche wettert, wird im Kanzleramt in Abwesenheit der Kanzlerin der Dieselbetrug an den Verbrauchern von der Großen Koalition mit kleinster Münze behandelt. Ihr wird offenbar alles nachgesehen, auch wenn es darum geht, dass 800 000 Arbeitsplätze in der Branche durch das Versagen der Manager gefährdet sein könnten. Dass dies öffentlich als Bagatelle gehandelt wird, zeigt wie wenig Merkel die öffentliche Meinung fürchten muss.
Die Vertreter von VW, BMW, Mercedes hielten die Aufregung ebenfalls für gänzlich unangemessen. Der VW-Vorstandsvorsitzende Müller konnte jedenfalls nach dem Krisengipfel beim besten Willen „kein Versagen der Unternehmensführungen“ ausmachen. Unverfrorener geht es kaum. Jedenfalls ist klar, dass mit ein bisschen Fummelei im Software-Bereich des Diesel die Feinstaubverwüstung der Innenstädte nicht eingedämmt werden kann. Fahrverbote rücken näher.
Auch da ist Martin Schulz einsamer Rufer in der Wüste, wenn er die Autobosse aufruft, endlich zu handeln. Es ist nicht zu erwarten, dass der staunende Wähler auf SPD-Wahlplakaten die Warnung wird lesen können: Rettet das „Made-in-Germany“. Ebenso ist nicht zu erwarten, dass Audi den Slogan einmottet: „Fortschritt durch Technik“, womit vor allem auf den „sauberen Diesel“ aufmerksam gemacht wurde. Welch ungewollte Ironie ist da zu erkennen.
Nun reagiert der Verbraucher und die Nachfrage nach Fahrzeugen mit dieselgetriebenen Motoren bricht ein. Wie es heißt, liegen derzeit 300 000 fabrikneue Dieselfahrzeuge bei den Vertragswerksstätten auf Halde. Verluste in Milliardenhöhe stehen an. Das Gutachten des Umweltbundesamtes macht deutlich, dass die bisherigen Angebote der Industrie, die Elektronik der Dieselmotoren nachzurüsten, den Stickoxid-Ausstoß so gut wie nicht verringern werden.
Auch die notwendige Debatte über den Klimawandel, zu dem der Verkehr ja erheblich beiträgt, und die Verringerung klimaschädlicher Emissionen, fehlt bislang im Wahlkampf. Wie glaubwürdig ist es auch, dem US Präsidenten verantwortungsloses Handel vorzuwerfen, weil er Kohle verfeuern will, wenn zeitgleich in Deutschland die Braunkohle-Förderländer die Bundesregierung auffordern, gegen Brüssel zu klagen, sollten dort schärfere Höchstgrenzen für den klimaschädlichen Ausstoß von Braunkohlekraftwerken durchgesetzt werden? Der Protest-Brief der Herren Ministerpräsidenten aus Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg ist dem Kanzleramt bereits zugestellt. Die Bereitschaft des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten von Brandenburg scheint jedenfalls unterentwickelt, den Kampf des Kanzlerkandidaten Martin Schulz gegen den Klimawandel zu unterstützen.
Da kann es nicht wundern, wenn die Süddeutsche Zeitung konstatiert, die SPD sei im Wahlkampf thematisch bislang nicht klar erkennbar. Bei Umfragen wird aber deutlich, dass noch immer vierzig Prozent der Wahlberechtigten unentschieden sind, wo sie am Wahltag ihr Kreuz setzen. Es lohnt also, zu kämpfen und für die SPD deutlich zu machen, was sie von der Union unterscheidet, zumal der Chor in der Union zunimmt, der davor zu warnt zu glauben, die Wahl sei schon gelaufen.
Bildquelle: Wikipedia, Rudolf Simon, CC BY-SA 3.0
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