Es ist nur wenige Monate her, da die Brüsseler EU-Zentrale sich anschickte, die Abgasnormen für die europäische Automobilindustrie weiter umweltschonend zu verschärfen. Ebenso ist in Erinnerung, dass die Kanzlerin und der Vizekanzler, aufgeschreckt von der Autolobby, eilends dafür sorgten, dass die Abgasreduzierung weniger streng ausfiel als ursprünglich von Brüssel gefordert. Sie hatten Erfolg. Brüssel knickte ein und bescherte den Autobauern ein Gefühl dafür, wie groß ihr Einfluss auf Berlin ist. Ein weiterer Schritt in Richtung der von der Kanzlerin ausgerufenen „marktkonformen Demokratie“.
Wohin das führt, zeigt der VW-Skandal. Wie sich herausstellt, hatte Volkswagen in den USA mehr als einen Hinweis darauf, dass die US-Umweltbehörde den merkwürdigen Unterschieden zwischen angeblichem und tatsächlichem Abgasausstoß seiner Dieselfahrzeuge auf der Spur war. VW hatte im Frühjahr gut eine halbe Million Fahrzeugen in den USA zurückgerufen, ohne größere Veränderungen an der für die geschönten Messungen verantwortliche Software vorzunehmen. Die Verantwortlichen waren offenbar überzeugt, den dahinter liegenden Betrug aussitzen zu können.
Nun ist das Desaster vollkommen, und Ferdinand Piech hat mit dem Abgang von Martin Winterkorn einen späten Triumph. Allerdings einer, der begleitet ist vom Absturz der VW-Aktie ins Bodenlose. Der neue Vorstandsvorsitzende ist nicht zu beneiden. Ob auch Arbeitsplätze in Gefahr geraten können, ist ebenfalls noch nicht absehbar. Das kann dazu führen, dass der Jahresumsatz in Höhe von rund 20 Milliarden Euro kaum dem Verlust entspräche, der den Konzern als Ergebnis seiner kriminellen Energie ereilen könnte.
Kriminell im globalen Ausmaß
Kriminell im offenbar durchaus globalen Ausmaß. Denn das Misstrauen gegenüber dem VW-Dieselmotor, dem die manipulative Software galt, ist überall zu spüren, bis nach Australien. Dazu das Eingeständnis, dass elf Millionen Fahrzeuge damit ausgeliefert wurden. Das Prozessgeschehen wird auf den Konzern wie ein Tsunami zurollen. Hinter diesem Skandal wird zugleich eine Haltung spürbar, der jede Verantwortungsbereitschaft für ökologische Folgen fehlt. Bis zu 35-mal höher als erlaubt waren die Emissionen der VW-Diesel, die in der Werbung in den Staaten als „Clean Diesel“ den Konsumenten untergejubelt wurden. Warum das schlimm ist, beschreibt „Die Zeit“ in ihrer Titelgeschichte mit der Überschrift: „Es stinkt und stinkt und stinkt“ wie folgt: „In der Hitze des Kolbeninneren entzündet sich nicht nur der Kraftstoff, sondern es verbrennt auch der in der Luft enthaltene Stickstoff. So entsteht Stickoxid, NOx. Dieses Gas riecht leicht stechend und ist giftig.“
Deshalb gibt es Grenzen für den Stickoxid-Ausstoß von Dieselmotoren. VW-Diesel vergiften also die Atemluft vor allem dort, wo es Massenverkehre gibt. Dazu kommen die Abgase der Premium-Fahrzeuge, ob als Diesel oder Benziner, die strenger zu fassen von der Bundesregierung ja torpediert wurde. Gleichzeitig bleibt die Frage, warum die vorgeschriebenen Tests zur Messung der Grenzwerte unter Labor- und nicht unter realen Bedingungen stattfinden.
Der VW-Skandal wird dazu beitragen, auch die Konkurrenz genauer zu betrachten. Es kann aber dazu führen, den Einfluss der global agierenden Wirtschaftsriesen einzugrenzen. Dazu gehören auch die Lebensmittelindustrie und so ziemlich alle Multis, die sich der nationalen Kontrolle entziehen und zusammen mit den Umsatzriesen in der digitalen Welt ihre Milliardengewinne mit Hilfe von Kohorten von Steueranwälten so verschieben, dass es ihnen gelingt, oftmals vergleichweise weniger Steuern zu zahlen als der Bäckerbetrieb nebenan.
Dies ist nur der Anfang
Der VW-Skandal wird Weiterungen haben. Wir sollten uns darauf vorbereiten, dass dies nur der Anfang ist, der ähnliche Skandale auch in anderen Wirtschaftszweigen offenbaren wird. Es ist noch nicht lange her, dass wir erfuhren, wie die Banken weltweit ihre vergifteten Finanzprodukte feilboten und die Weltwirtschaft erschütterten. Davon haben sich bis heute viele Volkswirtschaften nicht erholt. Es wäre daher zu hoffen, dass diese Erfahrung auf das Handelsabkommen zwischen USA und EU (TTIP) durchschlägt und dazu beiträgt, der Bedenkenlosigkeit,ausschließlich an Rendite orientiertem Wirtschaften der Multis,einen Riegel vorzuschieben. Davon allerdings ist bislang in den Verhandlungen nichts zu spüren.
Der neue Konzernlenker bei VW hat mit seinem Hinweis auf die auch politische Verantwortung der Wirtschaftsführer einen Ton angeschlagen, der Aufmerksamkeit verdient. Ihm ging es dabei um Mitverantwortung im Kampf gegen Rechtsextremismus. Aber der entsteht auch dadurch, dass die sogenannten Wirtschaftseliten in ihrem Handeln vielfach jede moralische Verantwortung vermissen lassen.
Bildquelle: Wikipedia, Mariordo Mario Roberto Duran Ortiz, CC BY-SA 3.0
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