Die Nazi-Vergangenheit Deutschlands liegt Jahrzehnte zurück, das braune Schreckens-Regime, das den Untergang des deutschen Reiches zur Folge hatte mit Millionen Toten weltweit, endete zwar 1945. Verarbeitet ist sie nicht die Zeit, in der aus dem Land der Dichter und Denker das der Richter und Henker wurde. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte kürzlich, von einem Schlußstrich könne keine Rede sein. Man nehme nur den Prozess gegen eine 96jährige ehemalige KZ-Sekretärin namens Irmgard F., die sich vor dem Landgericht Itzehoe verantworten muss. Man kommt ins Grübeln über das, was Recht ist in Deutschland, wenn man zur etwa gleichen Zeit den Bericht liest über die NS-Vergangenheit der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Vergleiche hinken, ich weiß, aber eine Sekretärin hält man heute vor, über 75 Jahre danach, wegen ihres Schriftverkehrs den Mord-Betrieb des einstigen KZ Stutthof am Laufen gehalten zu haben, während der Bericht über die Bundesanwaltschaft aussagt, dass es einen „bewussten Bruch mit der NS-Vergangenheit “ dort nie gegeben habe. Dass der einstige Chef der Bundesanwaltschaft Wolfgang Fränkel während der Nazi-Zeit an Dutzenden fragwürdiger Todesurteile mitgewirkt habe. So habe Fränkel einen Hühnerdieb, der zum Tode veruteilt worden war, als „völlig unwürdiges Mitglied der Volksgemeinschaft“ bezeichnet. Fränkel wurde nach nur neun Monaten in den Ruhestand versetzt.
Nein, mich hat der Bericht über die NS-Vergangenheit der Bundesanwaltschaft nicht gewundert. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn es andersrum gewesen wäre. Man muss dazu nur an den Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ erinnern oder das Buch von Prof. Ingo Müller „Furchtbare Juristen“ lesen. Dort ist ein Großteil der unbewältigten Vergangenheit der deutschen Justiz-so der Untertitel des Werkes- niedergeschrieben. Wobei dem Autor, der selber Jura-Professor war und in Bonn und Hamburg gelehrt hat, zuzustimmen ist, dass Justiz keineswegs „den Klang eines Peitschenknalls haben muss“, weil es auch in Deutschland einmal als „Synonym für Recht und Gerechtigkeit galt“. Ja, es gab Zeiten, schreibt Müller, „in denen große Teile der Richterschaft sich bemühten, diesen Anspruch einzulösen.“
Furchtbare Juristen
Aber es gab eben auch den Fall des Hans Karl Filbinger, Marinerichter a.D., den der Autor Rolf Hochhuth einst einen „furchtbaren Juristen“ genannt hatte wegen einiger Urteile aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Und dieser Filbinger, der später zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg aufstieg und einer der mächtigen CDU-Fürsten der Republik wurde, verklagte Hochhuth. Vergeblich, der Autor wurde freigesprochen, Filbinger musste zurücktreten. Während dieses Verfahrens fiel jene berühmt-berüchtigte Äußerung Filbingers, daran erinnert Müller in seinem Buch, „dass heute doch nicht Unrecht sein könne, was damals Recht war.“ Dieser „Ausdruck der Unbelehrbarkeit, das Beharren auf der Rechtmäßigkeit der unmenschlichen Justiz des Dritten Reiches, zeigte erst die ganze Furchtbarkeit jenes Juristen und vieler Berufskollegen seiner Generation, denn der Marinerichter a.D.Filbinger war kein Einzelfall.“ Schreibt Prof. Ingo Müller in dem schon angeführten Buch.
Aber kommen wir zurück zur Bundesanwaltschaft und dem Bericht über deren NS-Vergangenheit, der vorgestellt wurde von dem Juristen Christoph Safferling und dem Historiker Friedrich Kießling. Viele der späteren Bundesanwälte seien früh Mitglied der NSDAP geworden, was allein sicher kein Grund sein muss, sie zu verurteilen oder zu kritisieren. Aber auffallend ist schon der große Anteil alter Nazis in der Karlsruher Behörde. Bis 1957, lese ich, seien 75 Prozent der höheren Beamten Ex-Nazis gewesen, auch zehn von elf Bundesanwälten hätten der Hitler-Partei angehört. (Wie eben auch Kanzler und Bundespräsidenten)Und dann kommt erschwerend hinzu, dass sie in jenen brauen Jahren Hitlers ergebene Juristen gewesen seien, wie jener erwähnte Fränkel. Und keiner von ihnen sei später für diese furchtbaren Urteile wie gegen den Hühnerdieb oder gegen kleine Einbrecher zur Rechenschaft gezogen worden. Weil der Kalte Krieg im Zentrum des Staatsschutzes gestanden habe und der Schutz vor kommunistischem Umsturz und Unterwanderung durch den uns bedrohenden Osten.
Friede mit den Tätern
Diese alten Nazis (Man könnte hier auch Globke erwähnen, den Konrad Adenauer das Kanzleramt leiten ließ, derselbe Adenauer, der sich ein paar Jahre vor den Nazis im Kloster Maria Laach versteckt gehalten hatte) wurden in der Bundesrepublik auch deshalb nicht juristisch belangt, es wurde ihnen deshalb nicht der Prozess gemacht, weil eben die frühere NS-Justiz sich rüberretten konnte in die neue deutsche Demokratie und diese Justiz streifte sich schnell ein sauberes Hemd über. Sie durften einfach weitermachen als Juristen. Deshalb wurde kein Mitglied der Bundesanwaltschaft für seine Tätigkeit in der Nazi-Zeit belangt. Ähnliches kennen wir von Berichten über die Verstrickung des Auswärtigen Amtes in der Nazi-Zeit, oder des Justiz-Ministeriums. Oder, oder. Es gibt so viele Bereiche. „Die Integration der Täter in die neue Demokratie“, beschreibt Müller die Entwicklung, habe deren biographische Vergangenheitslasten beschweigen lassen. Der Friede mit den Tätern geschah auf dem Rücken der Opfer.
„Sie waren Mörder“, hieß vor Tagen der Titel eines lesenswerten Leitartikels in der SZ. All jene, die den Holocaust einst mitorganisieren halfen. In rund 7000 Konzentrations- und Vernichtungslagern sowie Ghettos. Ein Massenverbrechen in vielen Teilen Europas begangen von Deutschen an Juden, weil sie Juden waren, und andere Deutschen schauten tatenlos zu oder weg, Verbrechen an Russen, Polen, Franzosen und und und. Viele der Mittäter Hitlers kamen unbehelligt davon, Mengele, dieser furchtbare Arzt entkam nach Südamerika, Eichmann, der Organisator des Schreckens, der die Wannseekonferenz einst in Berlin leitete, um dort zu notieren, dass es in Europa elf Millionen Juden gebe, derer die Nazis habhaft werden wollten, um sie zu töten, zu vergasen, zu erschießen. Später in Israel kam dieser schreckliche Deutsche vor Gericht und wollte sich als kleines Licht herausreden, er habe nur ausgeführt, was die Hitlers und Himmlers angeordnet hätten. Er wurde hingerichtet. Viele, die mitgemacht, Juden festgenommen, sie in Viehwaggons gepfercht, sie unmenschlich behandelt hatten, indem sie sie verprügelten, bespuckten, ihre Kinder in Gaskammern warfen oder in Elektrozäune, sie waren Mörder und die wenigsten wurden verurteilt.
„Wir, die Deutschen, haben uns nach Kriegsende 1945 um das große Erschrecken gedrückt“. So beginnt Niklas Frank sein Buch „Auf in die Diktatur, über die Auferstehung meines Nazi-Vaters in der deutschen Gesellschaft“. Mit „allen Zellen unseres Hirns“, urteilt der Journalist und Sohn des berüchtigten Hans Frank, Hitlers Generalgouverneur im besetzten
Polen damals, „mit allen Fasern unseres Herzens. Wir belegten unser Gewissen mit einem Erinnerungsverbot und töteten unser Mitgefühl. Wir blieben ein Volk ohne Moral. Dabei waren wir durch die von uns verübten oder feige geduldeten Verbrechen in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und 1945 zu einem auserlesenen Volk geworden: Wir wissen, dass mangelnde Zivilcourage bis in die Gaskammern von Auschwitz führen kann.“
Kein Vogelschiss
Die Nazi-Jahre waren kein Vogelschiss in der deutschen Geschichte, wie AfD-Mann Gauland die Massenverbrechen Deutscher in den zwölf Hitler-Jahren kleinreden wollte. Es war ein Menschheitsverbrechen, an das zu erinnern, damit es nie wieder geschehe, ist unsere Pflicht. Daran haben viele Zehntausende mitgewirkt, zugeschaut, Millionen haben dem Regime gedient, applaudiert, sich weggeduckt, wollten später nichts gewusst haben von den Verbrechen, nicht dabei gewesein, kein Mitglied der NSDAP gewesen sein. Dabei waren Millionen in der Partei, die sogar ein Aufnahmestopp verhängen musste wegen des allzu großen Anrangs. Prof. Müller zitiert in seinem Buch über die furchtbaren Juristen Fritz Bauer, den mutigen Ankläger im Frankfurter Auschwitz Prozess: „Deutschland würde aufatmen, und die gesamte Welt, und die Hinterbliebenen derer, die in Auschwitz gefallen sind, und die Luft würde gereinigt, wenn endlich einmal ein menschliches Wort fiele.“
Der „Spiegel“ würdigte das Buch von Prof. Müller einst mit den Worten: ..ein aufregendes Buch… eine beschämende Lektüre“ mit einer auch „niederdrückenden Bilanz“(Die Zeit). Es gab, das wird die Ehre der Zunft der Richter nicht retten, zwei prominente Richter des Dritten Reiches, die wegen Widerstands hingerichtet wurden. So Müller. Der Generalstabsrichter Dr. Karl Sack, in Flossenbürg ermordet. Und Reichsgerichtsrat Dr. Hans von Dohnanyi, umgebracht in Sachsenhausen am 8. April 1945. Beide verloren ihr Leben wegen ihrer Teilnahme an der Verschwörung gegen Hitler. Müller würdigt ihre „aufrechte Haltung und ihren Widerstand“. Wenige Beispiele, die die deutsche Katastrophe und das Menschheitsverbrechen aber nicht mildern können. Man darf das nie vergessen und muss daran erinnern, gerade weil es immer weniger Augenzeugen gibt.