Wenn eine Zeitung ihren Kurs verändert, ist das ein längerer Prozess, eine Entwicklung, die irgendwann anfängt, für den Leser kaum zu merken. Geplant oder Zufall? Letzteres würde ich ausschließen, ich habe selber Jahrzehnte für Zeitungen geschrieben. Vor Monaten geschah das: „Ausgerechnet die SZ“, überschrieb ich am 21. Oktober 2020 eine Geschichte in unserem Blog-der-Republik und machte damit der Empörung einiger Leser der „Süddeutschen Zeitung“, aber auch in anderen Medien Luft über die unflätige Berichterstattung im Feuilleton des angesehenen Münchner Blattes über Igor Levit, den weltberühmen Pianisten aus einer russisch-jüdischen Familie. Der Artikel „Igor Levit ist müde“ war nicht nur in meinen Augen eine Verunglimpfung des Künstlers, den der SZ-Autor Helmut Mauró in Zusammenhang brachte mit dem Begriff der „Opferanspruchsideologie“. Mauró versuchte den Pianisten als Künstler kleinzuschreiben und ihn wegen seiner Twitter-Aktivitäten zu rügen, weil er dort täglich die „rechten Feinde beschwört.“ Levit wird mit Mord bedroht, Leibwächter geleiten ihn auf die Bühne der Elbphilharmonie. Und dann diese üblen Attacken. Levit selber empfand sie als „antisemitisch.“ Die SZ-Chefredaktion entschuldigte sich. Immerhin.
Und doch war nicht nur meine Empörung groß. Ausgerechnet die SZ, die Zeitung, die ich wegen ihres liberalen, wenn Sie wollen wegen ihres leicht linksliberalen Kurses abonniert habe, Und ich fragte mich schon damals, was sich verändert hatte in dieser Redaktion, weil ich auch im politischen Teil der Zeitung einen zaghaften Ruck nach Rechts wahrgenommen hatte. Heute, einige Monate später, muss ich feststellen, dass es diesen Ruck nach meinem Urteil und nach der Einschätzung anderer politisch interessierter Zeitgenossen gibt, der zusammenhängen mag mit dem Ausscheiden von Heribert Prantl und dem Rückzug von Kurt Kister als Chefredakteur der Zeitung. Mag sein, beweisen kann ich das nicht, aber vermuten darf ich das. Denn es drängt sich seit Monaten der Eindruck auf, dass, wie es Wolfgang Lieb beobachtet hat, „jeder Vorschlag, jeder Gedanke, der vom Meinungsspektrum der Kanzlerin bzw. der CDU/CSU abweicht, niedergemacht wird.“ Lieb führt als Beleg die Debatte über die Bewaffnung von Drohnen an oder auch nur das Nachfragen der SPD nach der Strategie beim Ordern der überlebensnotwendigen Impfstoffe gegen das Corona-Virus. Wolfgang Lieb gehört zu den Autoren des Blog-der-Republik, er war früher u.a. Regierungssprecher von NRW-Ministerpräsident Johannes Rau. Und Lieb konstatiert vor allem bei der „Süddeutschen Zeitung“ seit geraumer Zeit „einen Rechtsschwenk“.Und für sich stellt er zudem fest: „Es lohnt sich kaum noch, sie neben der FAZ zu lesen“. Jedenfalls meine ich, dass wir in Deutschland keine zweite „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ brauchen, ein konservatives Blatt reicht mir.
Grabenkämpfe in der Union
Wer genauer die deutschen Medien betrachtet, wird merken, wie unterschiedlich Grabenkämpfe in der Union und Streit in der SPD medial aufgegriffen werden. Ein Beispiel, das Norbert Bicher, langjähriger Parlamentskorrespondent der „Westfälischen Rundschau“ und Sprecher des früheren Fraktionschefs der SPD-Fraktion und des Bundesverteidigungsministers Peter Struck, im Januar für den Blog-der-Republik aufgegriffen und in einen politischen Zusammenhang gestellt hatte, ist der Fall von Jens Spahn, seines Zeichens Bundesgesundheitsminister und Teampartner von Armin Laschet im Vorfeld der Wahl zum CDU-Bundesvorsitzenden. Hinter den Kulissen, schilderte Norbert Bicher, habe Spahn mit Unterstützung des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier ausgelotet, ob er und wie er Laschet aus dem Boot werfen könne. Oder ihn wenigstens zwingen könne, ihm wenn schon nicht den CDU-Vorsitz, so doch die Kanzlerkandidatur zu überlassen. So berichteten „Bild“ und die Nachrichtenagenturen, es ist also keine Erfindung von Norbert Bicher. Die Folge: „Eisiges Schweigen dazu bei den Leitartiklern der Republik“, bemerkt Bicher und ergänzt: „Was für sie bei der SPD ein Skandalon gewesen wäre, ist den großen Denkern der Leitmedien keine Zeile wert.“ Die SZ verpackte diesen CDU-internen Skandal mit wenigen Sätzen in einen Bericht über die Kritik an Spahns Vorgehen bei der Impfstrategie. Überschrift: „SPD schießt sich auf Spahn ein.“ Selbst im innerparteilichen Grabenkrieg der CDU, so das Urteil von Bicher, „lässt sich noch eine Kurve finden, die Sozialdemokraten anzuschießen.“ Guter,kritischer Journalismus? fragt sich Norbert Bicher. Und er wünscht „gute Reise beim Rechtsschwenk Marsch!“ Auf solche Lektüre könne man verzichten.
Ein anderes Beispiel aus dem weiten Feld der Sicherheitspolitik, die für viele Medien beinahe gleichgesetzt wird mit Militärpolitik, mit Milliarden Euro für neue Waffensysteme, die aber vergisst, dass sie auch Friedenspolitik bedeutet, Entspannung, sich in die Lage des anderen zu versetzen. Wenn der andere mir vertraut und glaubt, stärkt das meine und seine Sicherheit. So ähnlich hat es Willy Brandt gesagt, für den Entspannung und Friedenspolitik immer auch im Zentrum seiner Überlegungen zur Außen- und Sicherheitspolitik gehörten. Solange geredet wird, wird nicht geschossen, pflegte der Friedensnobelpreisträger zu sagen. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung über die Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen flog Brandt 1981 nach Moskau und sprach mit dem dortigen KP-Chef Breschnew. Man möge sich fragen, was denn der Gradmesser für politische Verantwortung sein soll? Bewaffnete Drohnen und/oder die unbedingte Einhaltung einer vor Jahr und Tag geäußerten Absicht der Nato, den Verteidigungsbeitrag der Mitglieder auf zwei Prozent des Brutto-Sozialprodukts zu erhöhen. Was Deutschland viele zusätzliche Milliarden Euro kosten würde. Wofür eigentlich? Müssten wir nicht zuerst darüber reden, was wir eigentlich brauchen, an Personal und Rüstung? Ist es nicht ratsam, manche Milliarde eher als Hilfsgelder für Menschen in Hungergebieten zu verwenden, um die weltweite Armut einzudämmen? Oder diese Gelder in die Gesundheitspolitik zu stecken, um die Kosten der Pandemie zu bezahlen?
Auch hier macht sich in meinen Augen ein Wandel bei der SZ deutlich. Das Hauptproblem der Bundeswehr scheint die SPD zu sein, wenn ich den Autoren der SZ folge. Politik-Ressortleiter Stefan Kornelius und Joachim Käppner greifen, ich muss schon sagen, fast obsessiv die SPD an, weil sie sich mit einem Ja zur Bewaffnung von Drohnen schwer tut. Weil, wie es SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich gesagt hat, noch Diskusssionsbedarf besteht. Lesenswert der Beitrag, den Mützenich gerade im Blog-der-Republik zur Sicherheitspolitik geschrieben hat, nachdenklich ist das, was der Kölner Sozialdemokrat aufgeschrieben hat. Nein, Mützenich will nicht die Sicherheit deutscher Soldaten im Einsatz gefährden, wie das die SZ-Autoren unterstellen. Und wer den Fraktionschef kennt, wird ihn auch nicht für einen sicherheitspolitischen Geisterfahrer halten, dem jede Empathie für die Truppe abgeht. „Teile der SPD“, so Käppner letzten Freitag in der SZ, „gebärden sich, als sei ihr Widerstand gegen Steigerungen des Verteidigungsetats ein friedenspolitisches Gebot“. Ist dem Autor entgangen, dass der Wehretat in den letzten Jahren mit Zustimmung der SPD permanent angehoben worden ist, von 1,2 auf fast 1,6 Prozent des BSP- zuletzt auf 46,9 Milliarden Euro? Oder verdrängt er das, weil es nicht in sein Bild der empathielosen SPD passt?
Kritiklos gegenüber der Kanzlerin
Käppner argumentiert, die SPD habe unter Kanzler Gerhard Schröder die Bundeswehr nach Afghanistan geschickt mit der Zusage, „alles Menschenmögliche für deren Schutz zu tun“, und jetzt sei der SPD-Führung offensichtlich ihr Gerede von gestern gleichgültig. Das ist dann schon etwas böswillig, wenn man den Sozialdemokraten unterstellt, leichtfertig mit dem Leben der Soldaten umzugehen. Danach folgt der SZ-Autor der bekannten Melodie: Tote Sozis sind gute Sozis. Früher hätte die SPD nur die Besten als Verteidigungsminister auf die Bonner Hardthöhe geschickt. Helmut Schmidt, Georg Leber, Hans Apel. Und jetzt sei da nichts mehr. Ist ihm entgangen, dass Peter Struck der letzte sozialdemokratische Verteidigungsminister war und dass sie seit 2005 weder ihre Besten noch ihre Schlechtesten dorthin beordern konnten? Seither sind CDU/CSU für die Besetzung verantwortlich. Und dass sie mit Franz-Josef Jung, Karl-Theodor zu Guttenberg, Thomas de Maiziere(war ein positiver Ausreißer), Ursula von der Leyen oder Annegret Kramp-Karrenbauer nicht ihre Besten dorthin geschickt haben, kann man der Kanzlerin vorwerfen, aber schwerlich der SPD. Aber das passt nicht ins Schema ihrer Berichterstattung über die Kanzlerin, wie sie in ihrem Berliner Büro vorgenommen wird. Kritiklos.
Aber bleiben wir noch bei der Verteidigung. Käppner räumt ein, um weiter aus dem Beitrag zu zitieren, dass SPD-Verteidigungsminister viel dazu beigetragen hätten, die Bundeswehr zu einer Armee der Staatsbürger in Uniform zu formen, dass sie wie Peter Struck mit dem Rauswurf des KSK-Generals Günzel hart gegen rechtsextremes Gedankengut vorgegangen seien. Und er bedauert dann: „Gerade die rechtsextremen Vorkommnisse in der KSK und auch in anderen Teilen der Bundeswehr heute zeigen, dass dieser Kampf noch lange nicht zu Ende ist und auch nicht sein darf.“ Was stimmt, aber erste Adresse für die Klage wäre ja wohl die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt, Annegret Kramp-Karrenbauer. Stattdessen schwingt im Subtext mit , dass auch dafür die aktuelle SPD Verantwortung trägt, weil sie nicht weiter am Umbau zur „Armee der Staatsbürger“ arbeitet. Woher er diese Erkenntnisse hat, bleibt offen, aber er weiß: „Genau dieser Wunsch geht in der SPD heute nach und nach verloren, dabei wäre die Aufgabe nach dem Wegfall der Wehrpflicht wichtiger denn je. “ Frage: Hat Käppner vergessen, dass diese Wehrpflicht im Handstreich von dem CSU-Minister von Guttenberg abgeschafft wurde?
Am Ende weint der SZ-Autor Krokodilstränen: „Die Bundeswehr braucht die Sozialdemokraten, gerade als Berufsarmee und gerade heute.“ Die Armee brauche die Solidarität der SPD, sie brauche ihre Unterstützung und ihren Reformwillen. Die ist, so muss man Käppner verstehen, nur gegeben, wenn Sozialdemokraten Schluss damit machen, kritische Fragen zu stellen und endlich ihren Segen dazu geben, damit der Herzenswunsch des Autors nach einem Ja zu bewaffneten Drohnen erfüllt wird.
Die SPD steht seit Jahren in Umfragen bei rund 15 Prozent, eine Regierungsbeteiligung oder gar eine Regierungsführung mit einem SPD-Kanzler nach der Bundestags-Wahl im September scheint in weiter Ferne zu sein. Die SPD-Minister im Kabinett Merkel wie Scholz, Heil und Giffey bekommen durchweg gute Noten für ihre erfolgreiche Arbeit, anders sieht das für die CSU-Minister in Berlin Scheuer und Seehofer aus und Spahn(CDU) lassen wir mal außen vor. Das gerade vorgelegte Wahlprogramm der SPD wird in einigen Medien höflich kommentiert, man darf auch den Wert solcher Programme nicht überschätzen. Klar ist, dass die Konkurrenz ein solches Programm noch nicht hat, dass die SPD mit Olaf Scholz einen Kanzlerkandiaten hat, die Union noch nicht. Scholz hat Erfahrung in der Regierung, er überzeugt als Bundesfinanzminister und er könnte im Wahlkampf noch eine entscheidende Rolle übernehmen. Dann nämlich, wenn den Wählerinnen und Wählern klar wird, dass Angela Merkel wirklich nicht mehr kandidiert. Ob das gelingt ist offen, aber chancenlos ist der frühere Hamburger Bürgermeister Scholz nicht. Er plant einen Respekt-Wahlkampf, Respekt ein wichtiger Wert in unserer Gesellschaft, der vielen Zeitgenossen abgeht. Johannes Rau brachte es mal den Punkt: Aufeinander achten, einander achten. Das wäre was, gerade in und nach der Pandemie. SZ-Redakteur Mike Symanski traut dies Scholz nicht zu. Eher spöttisch fragt er im Titel seines Kommentars: „Arbeiterführer Scholz?“ Eine Zwischenzeile verheißt: „Er liest Philosophen.Schön. Aber seine Auftritte bleiben auffallend blutleer.“
Blutleer ist die SZ-Berichterstattung über die SPD nicht, aber hämisch.