Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Dieser Satz von Bert Brecht ist älter als ein halbes Jahrhundert, aber er ist vielleicht aktueller denn je zuvor. Der Satz steht im Epilog des Theaterstücks „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, das die Hitler-Barbarei in die Gangsterwelt überträgt. Es ist ein Satz, mit dem der Dichter, der vor den Nazis über Finnland in die Vereinigten Staaten floh, in den 50er Jahren vor dem Wiedererstarken des Faschismus warnte. Er kam mir in den Sinn, als ich den NSU-Prozess verfolgte und das Urteil hörte, er kommt mir immer dann wieder in den Sinn, wenn ich von Anschlägen auf Asylheime und Flüchtlingsunterkünfte hörte oder las. Immer dann, wenn einer aus den Reihen der AfD, wie zum Beispiel Björn Höcke davon redet, dass das Holocaust-Denkmal in Berlin, das an die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazi-Mordmaschinerie erinnert, eine Schande sei. Eher, meine ich, ist dieser Höcke eine Schande für diese Demokratie. Oder wenn ich Alexander Gauland höre, wenn er von einem Vogelschiss redet und die Verbrechen der Nazi-Zeit damit kleinredet. Oder, oder oder. Ich könnte es auch mit dem Maler Max Liebermann sagen, der aus dem Fenster seiner Wohnung am Brandenburger Tor in den 30er Jahren den Fackelzug der Nazis angesichts der Machtergreifung Hitlers sah und dann gesagt haben soll: „Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.“
Wer die Bilder in Chemnitz gesehen hat, die Männer in Karo-Hemden, blondierte Frauen und vermummte Neonazis, wer die völlig unterbesetzte Polizei beobachten konnte, wie sie dabei stand und nicht eingriff, wer sah, wie nicht wenige Männer demonstrativ den Hitler-Gruß zeigten, der kann verstehen, dass Demokraten sich ernsthafte Sorgen machen: „Der braune Mob macht mir Angst, die Burka-Frauen nicht.“ Und ich meine, wenn wir die AfD als Partei der Rechtspopulisten bezeichnen, verniedlichen wir das eigentliche Problem.
Wo bleibt der Verfassungsschutz?
Ach ja, es handele sich nicht um das ganze Sachsen, es seien wiederum nur Einzelne, dazu Tausende aus der gesamten Republik. Und wie wollen die gleichen Leute mir erklären, dass diese mich empörenden Demonstrationen, dass diese Aufmärsche gegen Fremde, dass Jagd auf Ausländer immer wieder in Sachsen passieren, in Chemnitz, in Dresden, in Heidenau, Und wenn das schöne Sachsen-Land voller Demokraten stecken soll, wie betont wird, warum wählen dann so viele die AfD? In Umfragen soll diese Partei, die die Ereignisse in Chemnitz mit klammheimlicher Freude zur Kenntnis nahm und sich keinesfalls davon distanzierte, momentan bei 25 Prozent liegen, wenn morgen in Sachsen ein neuer Landtag gewählt würde. Dass die AfD stärker werden könnte als die regierende CDU, von der SPD, die ohnehin im Osten schwächelt, gar nicht zu reden. Noch einmal will ich wiederholen, was ich von Franziska Schreiber gelernt habe. Sie hat ein Buch über die AfD geschrieben: Inside AfD. Frau Schreiber war jahrelang Mitglied der Partei, stand der Frau Petry nahe, hat Gauland und die anderen erlebt, sie kennt die AfD und hält die Partei für gefährlich, sehr gefährlich. Sie wundert sich, dass die AfD nicht längst vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Liest niemand das Buch von Frau Schreiber?
Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Dass sich der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Schuster, gerade besorgt über die Ereignisse geäußert hat, muss doch einen jeden Demokraten alarmieren. Fremdenfeindlichkeit, Rassenhass, der Weg zum Antisemitismus ist dann nicht weit. Immer noch gibt es Leugner des Holocaust. Und obwohl das strafbares Unrecht ist, wird es von Menschen behauptet. So tat es vor ein paar Wochen Ursula Wetzel, die inzwischen 90 Jahre ist. Für die hat der Judenmord nie stattgefunden. Frau Wetzel heißt längst Haverbeck, seit Mai sitzt sie in Bielefeld in Haft. Der Holocaust sei die größte und nachhaltigste Lüge in der Geschichte. Man glaubt es nicht. Georg Haverbeck, ihr verstorbener Mann, war ein Alt-Nazi, der sich schon als Schüler in Bonn dem Jugendbund der NSDAP angeschlossen hatte, einem Vorläufer der Hitlerjugend, er war Himmler-Stipendiat, Diplomat im Auswärtigen Dienst. Die beiden gründeten in den 60er Jahren in Vlotho das „Collegium Humanum“, im Grunde ein Tagungsort für alte Nazis und Esoteriker jeder Couleur, wie das Professor Norbert Frei vor ein paar Wochen in der SZ beschrieben hatte unter dem Titel: „Hitlerliebe“. Das Collegium wurde quasi zum Olymp der Holocaust-Leugner. 2008 wurde der Verein endlich verboten. Wer den Artikel von Norbert Frei nachliest, den überkommt das Grauen. Ich war mehrfach in Auschwitz, in Treblinka, Mauthausen, Theresienstadt, die Orte der Mord-Industrie der Nazis, ich kenne Bergen-Belsen.
Wehrmacht und Vernichtungskrieg
Oder nehmen wir noch einmal den Herrn Gauland, der früher mal ein führender Kopf in der hessischen CDU war. Der hatte nicht nur Höcke in Schutz genommen, sondern auch von sich gegeben, dass es an der Zeit sei, die Taten der Wehrmacht wieder zu ehren. Dass die Wehrmacht aktiver Teil des Holocaust war, ist wissenschaftlich erwiesen, deutsche Soldaten waren Teil der Vernichtungspolitik im Osten, in Polen wie in der Sowjetunion. Aufgabe war es, die Untermenschen zu töten, die slawische Rasse auszurotten. Die Endlösung der Judenfrage und das Unternehmen Barbarossa, das eine machte das andere möglich. Deutsche Soldaten waren aktiv am Mordgeschehen beteiligt.
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Margret Traum, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Bonn, hat vor ein paar Monaten in einem Interview mit dem Bonner Generalanzeiger vom alltäglichen Antisemitismus auch in Bonn gesprochen. Auf die Frage, warum man in Bonn, der schönen Beethoven-Stadt am Rhein, nirgendwo Juden mit einer Kippa auf dem Kopf sähe, antwortete die Frau: „Weil die Leute Angst haben.“ Und dann erzählte sie ein Beispiel: „Ich war mit unserem Religionslehrer, der mit einer Kippa lief, auf der Straße, und da drehten sich einige Leute um und sagten: „Kuck mal, ein Jude! Ein Jude!“ Ich schäme mich als Bonner Bürger.
Wer das nicht glauben will, dem kann ich noch Angaben der Statistik nennen, ebenfalls aus der Bonner Zeitung „Generalanzeiger“: Jeden Tag im Durchschnitt vier antisemitische Straftaten, das ist die bundesweite Bilanz der deutschen Polizei für Jahr 2017. Ein Leben mit dem Gefühl latenter Bedrohung. Und das in einer bürgerlichen Stadt wie Bonn.
NSU und die Ahnungslosigkeit der Deutschen
Oder lassen wir den 2014 gestorbenen Publizisten Ralpf Giordano zu Wort kommen, der die Hitler-Zeit in einem Keller in Hamburg-Alsterdorf überlebte, als die Deportation seiner jüdischen Mutter drohte. Giordano, der mehrfach von der Gestapo verhört und verprügelt wurde, hat sich des öfteren mit dem Fortleben des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik auseinandergesetzt. In seinem Buch „Die zweite Schuld oder von der Last, Deutscher zu sein“ hat er den Unwillen breiter Teile der deutschen Öffentlichkeit zu einer Aufarbeitung der Verbrechen und Entschädigung der Opfer sowie die politischen Entscheidungen, die es Mittätern ermöglichten, auch in der Demokratie wieder in Amt und Würden zu gelangen.Man denke an die vielen Richter, die das braune Hemd 1945 ablegten und dann in der jungen Bundesrepublik Recht sprachen oder politische Karriere machten.
Giordano wurde oft von Rechtsradikalen bedroht, über seine Erfahrungen mit dem militanten Rechtsextremismus, hier vor allem die Brandanschläge von Hoyerswerda und Mölln, schrieb er einen offenen Brief an Bundeskanzler Kohl, in dem er sich bereit zeigte, „bis in den bewaffneten Selbstschutz hinein“ gegen den militanten Rechtsextremismus vorzugehen, da die Regierung nicht bereit sei, Minderheiten den nötigen Schutz zu bieten. Giordano hielt den Deutschen immer wieder den Spiegel vor, so tat er es auch angesichts der 10 Morde durch den NSU und das Bekanntwerden eines braunen Netzwerkes in Deutschland. Da sei Deutschland „aus allen Wolken der Ahnungslosigkeit gefallen“.
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Der Feind steht rechts, das steht fest. Wir brauchen eine wehrhafte Demokratie. Oder um ein anderes Wort zu bemühen: Ein Aufstand der Anständigen, um den braunen Mob in die Schranken zu weisen.