„Kanzler, Krise und kein Ende“. So das Fazit der SZ des ersten Regierungsjahres von Olaf Scholz, dem ein weiteres Urteil der Münchner Zeitung auf der Seite folgt: „Der Mann, dem die Herzen nicht zufliegen“. Aufgelesen und gesammelt in Frankreich, Brüssel und den USA. Eine gemischte Bewertung des SPD-Kanzlers, der Kritik gewöhnt ist, sie fliegt ihm seit Jahr und Tag zu. Mag sein, dass sein Kommunikationsstil in den Redaktionen aufstößt, es kann aber auch sein, dass ihn einige Journalisten in Hamburg, München und Berlin nicht mögen, weil sie früh auf Grün gesetzt hatten, einen Kanzler Habeck oder eine Kanzlerin Baerbock, auf Grün-Schwarz, aber auf keinen Fall auf Rot. Und sich dabei verzockt hatten.
Olaf Scholz, der unterschätzte und unterkühlte Hamburger, war stets überzeugt, dass er Kanzler werden würde. Ein anhaltendes Umfragetief, das seine SPD über Monate irgendwo bei 15 Prozent sah, verunsicherte ihn nicht. Hanseatische Arroganz oder coole Überlegenheit? Weil er, darf man annehmen, wenn auch nicht alles, aber vieles besser weiß als die politische Konkurrenz? Olaf Scholz unterlag im Vorspiel zur Bundestagswahl zunächst bei der SPD-internen Abstimmung über den künftigen Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, kurz Nowabo. Nicht wenige von den Leitmedien in Berlin rümpften die Nase: Saskia wer? Nowabo, ehemaliger Landesminister von NRW und seit der Wahlniederlage seiner Chefin Hannelore Kraft gegen Armin Laschet Polit-Rentner? Peinlich, urteilten seine Kritiker. Peinlich war eher die völlig verfehlte Einschätzung der Lage durch die Journalisten.
Das Ende von Scholzens Träumen? Von wegen, der Mann ging als Kanzlerkandidat an den Start auf Vorschlag von Esken und Nowabo. Damit hatten nur wenige gerechnet, schließlich galt Scholz als Verlierer. Was den aber nicht beeindruckte. Scholz gewann die Wahl, weil er sich gegen die Kandidaten der Union und der Grünen behaupten konnte, und weil das neue Führungs-Duo das Kunststück fertiggebracht hatte, die SPD geschlossen wie nie zuvor hinter ihrem Olaf Scholz zu versammeln. Und der schaffte das wirklich nicht leichte Stück, aus SPD, den Grünen und der FDP eine Ampel-Koalition zu zimmern, die seitdem das Land regiert. Zwei wenn man so will linke Parteien und eine konservativ-liberale. Kann das gutgehen?
Mangelnde Kommunikation
Nach einem unruhigen Jahr sagen die Regierenden: Gut und loben ihre Regierungskunst. Nicht gut oder sogar schlecht, findet die Opposition. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ist in dieser Frage fast gespalten, aber begeistert sind sie nicht. Das waren sie im übrigen nie von ihren jeweiligen Regierungen. Einräumen darf man zugunsten von Scholz, dass er in einer fast turbulenten Zeit eher bedächtig handelt, nicht nervös auf der Bühne herumfuchtelt, tobt und schreit, sondern Ruhe ausstrahlt. Er erweckt den Eindruck, dass er sein Handwerk versteht, dass er Kanzler kann. Bemängelt wird aber zu Recht die mangelnde Kommunikation des Regierungschefs, er erkläre seine Politik zu wenig und zu selten. Galt Merkel als eine Krisenkanzlerin, so ist Scholz gewiss Dauer- oder gar Großkrisenkanzler.
Ein Jahr Olaf Scholz als Kanzler, das hatte er sich völlig anders vorgestellt. Als er antrat mit seiner Fortschritts-Koalition gab es den Konflikt Russlands mit der Ukraine, aber noch nicht den Krieg, den Präsident Wladimir Putin am 24. Februar, zwei Monate später, dem einstigen Brudervolk erklärte und seine Panzerverbände und Soldaten in den frühen Morgenstunden völkerrechtswidrig ins Nachbarland einmarschieren ließ. Kaum jemand hatte damit gerechnet, wir alle hatten auf Frieden gesetzt, gehofft, dass man Putins Imperator-Gelüste würde stoppen können, auch Scholz, Macron, die Nato, der Westen. Seit dem Einmarsch Russlands hat sich die Welt geändert, auch die deutsche. Der neue Kanzler Scholz hielt seine berühmte Zeitenwende-Rede im Bundestag, in der er die Invasion der Russen scharf verurteilte, der Ukraine Hilfe versprach und den Deutschen zusicherte, seine Regierung werde die Republik sicher durch diese Krise führen.
Bundeswehr fit machen
Man vernahm urplötzlich andere Töne von einem Kanzler Scholz, die man von ihm bisher nicht gewöhnt war. Der Etat der Bundeswehr werde jetzt auf Dauer aufgestockt auf zwei Prozent und mehr, dazu ein Sondervermögen von 100 Milliarden für die Verteidigung eingerichtet, um die Bundeswehr fit zu machen für die Zukunft, die seit Putins Angriff auf die Ukraine und damit auf die Freiheit in ganz Europa als bedroht angesehen werden darf. Droht ein dritter Weltkrieg, fragte sich mancher Bürger. Sich dieser Sorgen bewusst, stärkte der SPD-Kanzler verbal das Militär. Respekt bekam der Mann auf der Brücke, die CDU-Opposition sah sich mit ihm Boot und lobte den Kanzler in dieser Krisenstunde. Wenn man so will, scharte sich Deutschlands politische Elite um den Kanzler.
Das ist vorbei, im Boot sitzen die Steuerleute der Ampel und der SPD-Kanzler, der mit Friedrich Merz nicht so recht kann, weil er ihn für eitel hält. Und man darf getrost davon ausgehen, dass auch beim Vormann der Union wenig Sympathie für Scholz verbreitet ist. Merz hat ihm kürzlich Wortbruch vorgeworfen, weil der Kanzler seine Zusagen zur Stärkung der Bundeswehr nicht eingehalten habe. Dabei müsste der konservative CDU-Mann aus dem Sauerland wissen, dass die Beschaffung von Waffensystemen nicht so leicht und schnell zu machen ist, teilweise müssen sie ja wohl auch noch gebaut werden. Und was den Gesamt-Zustand der deutschen Wehr betrifft, sollte der Oppositionelle eigentlich ein wenig ruhiger sein, weil mindestens ein Teil der Schuld mangelnder Verteidigungsfähigkeit bei seiner Partei zu suchen ist, die über 16 Jahre nicht nur mit Angela Merkel die Kanzlerin gestellt hatte, sondern auch die Verteidigungsminister mit Jung, de Maiziere, Guttenberg, von der Leyen, Kramp-Karrenbauer. Aber Merz wollte wohl mal richtig austeilen, also schloss er seinem Vorwurf, Scholz halte Zusagen zur Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit nicht ein, die höhnische Vermutung an, er könne sich „wohl nicht mehr erinnern“, womit Merz anspielte auf den Cum-Ex-Skandal, der Scholz noch aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister verfolgt.
Waffen für die Ukraine
Ein krisenhafter Start, überschrieb der Bonner Generalanzeiger seine Ein-Jahres-Bilanz über Olaf Scholz. Das ist es auf jeden Fall. Als er im Kanzleramt begann, dauerte die Covid-19-Pandemie noch an und hatte sich nicht erledigt. Und der Sozialdemokrat aus Hamburg mag manchen guten Regierungsplan gehabt haben, der Krieg warf alles über den Haufen. Aber es passierten auch Fehler und Fehleinschätzungen, die Ampel-Parteien traten nicht immer geschlossen auf. Man denke an die Abstimmung über Impfpflicht. Da wollte Scholz den Parteien im Parlament den Vortritt lassen, Freidemokraten wie Wolfgang Kubicki gingen dabei eigene Wege, das Vorhaben scheiterte. Kein Glanzstück für den Kanzler. Dann das Dauerthema Waffenlieferungen für die Ukraine, schwere Waffen zumal. Scholz blieb zurückhaltend, weil er wohl die selbst gezogene rote Linie nicht überschreiten wollte, damit das übrige Europa nicht mit in den Krieg hineingezogen würde, die Sorge vor einem Atomschlag der Russen kam und kommt hinzu. Der Kanzler in der Defensive, auch weil er zu sehr auf Erklärung seiner Politik verzichtet. Weil er abwägt, wartet er, andere nennen das zögern, unentschlossen, den Scholz-Kritikern könnte man Säbelrasseln vorhalten. Wie schnell und laut viele sind, wenn es um schwere Waffen aus Deutschland Richtung Ukraine geht. Als kennten sie den Krieg nicht und die verheerende Wirkung mancher Waffen.
Es interessiert doch wirklich nicht mal am Rande die Sache mit der Tasche, die der Kanzler stets mit sich herumschleppt, ob er die selber bezahlt hat. Vielleicht als Student einst gebraucht gekauft, könnte ich hinzufügen, ohne jede Kenntnis von diesem Erwerb. Oder wie oft er sich die wenigen Haare schneiden lässt. Wenn ich da von mir auf ihn schließen würde, alle zwei bis drei Monate. Oder der Spott, den er erntete, als er im Freizeit-Look im Regierungsflieger saß auf dem Weg ins Ausland. Helmut Kohl ging in „seinem“ Flieger oft strumpfsockert umher, um mit Journalisten die Lage zu diskutieren. Weil man das Private an Scholz erkennen wolle, frage man nach Nebensächlichkeiten. Weil der Mann so zurückhaltend kommuniziert. Heißt es. Wird vermutet.
Inhaltlich hat die Koalition einiges abgearbeitet. Es gibt den Mindestlohn von 12 Euro, eines von Scholz-Versprechen im Wahlkampf, es kommt das Bürgergeld, wenngleich von der Union verändert, aber Hartz ist weg, das System, das böse Wort, das der SPD seit Jahren im Magen liegt und die Partei fast gespalten hätte. Da können Scholz und sein Arbeitsminister Hubertus Heil schon drauf hinweisen, etwas für die Schwachen der Gesellschaft getan zu haben. Wenig genug, höre ich von anderer Seite. Aber Scholz regiert ja erst seit einem Jahr.
Nicht alles läuft rund
Nicht alles läuft rund in der Ampel. Wie auch! Diese Koalition gab es auf Bundesebene noch nie. Streit gab es in der Atom-Debatte, die wenigen Meiler dürfen länger laufen, weil uns sonst das Gas ausgeht. Putin hat die Hand am Gashahn. Scholz musste ein sogenanntes Machtwort sprechen. Ich sah das nicht so dramatisch wie andere. Aber bitte, wem es gefällt. Die Gasumlage scheiterte, dafür kam anderes Gas aus aller Welt. Die Gasspeicher sind voll. Der Bund wird den Bürgerinnen und Bürgern einen Teil der Lasten durch Energie abnehmen, leider auch manchen, die es nicht nötig haben. Die Schulden der Republik schnellen in die Höhe, weil die Bedarfe, ausgelöst durch den Krieg, gewaltig sind.
Scholz´ Reise nach China löste Debatten aus. Schnell war die Rede vom deutschen Alleingang, und das mit einer Diktatur. Haben wir immer noch nicht aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt? Gemeint hier vor allem der Umgang mit Putin, das all zu lange Festhalten an Nordstream 2. Andererseits sind wir seit den Jahren mit Trump gewarnt, uns nicht allein in der Sicherheitspolitik auf Amerika zu verlassen. Europa müsse endlich auf eigenen Beinen stehen lernen. Aber natürlich heißt das auch, dass man nicht abhängig werden dürfe von China, mit dem man aber Geschäfte machen will und muss. Die Globalisierung hat kein Ende und wir können uns nicht abnabeln.
Trotz gelegentlicher Schwächen, so das Urteil des SZ-Leitartikels, „ist es gut, dass es die Ampel gibt“. Weil sie sich um Modernisierung bemüht, um mehr soziale Gerechtigkeit, Ausgleich, füge ich hinzu. „Allein die jüngsten, unsäglichen Äußerungen aus der Union zu Einwanderern zeigen, wie gut CDU und CSU in der Opposition aufgehoben sind.“ So die SZ. Ich habe in unserem Blog deshalb an die Unterschriften-Kampagne der hessischen CDU unter Roland Koch erinnert. Damals, 1999, eilten die Gegner des Doppelpasses von Rot-Grün an die CDU-Stände und fragten: Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben? Das war nicht nur unchristlich, das war fremdenfeindlich. Heute benötigen wir jedes Jahr Hunderttausende von Zuwanderern, die Wirtschaft verlangt danach, sonst sinkt die Wertschöpfung, sinkt unser Wachstum, fehlt Geld in der Rentenkasse. Friedrich Merz, der CDU-Chef, gilt doch als Wirtschafts-Experte. Müssen wir nicht Einwanderung erleichtern statt dagegen zu polemisieren?
Damit ist die Frage, wie viel Zukunft die Ampel hat, nicht beantwortet. Zunächst muss sie uns gut durch den Winter bringen. Bisher ist das dem Kanzler und seiner Ampel-Mannschaft halbwegs gelungen.