Der Wald ist krank, sterbenskrank; aber so drastisch mag es die Bundesregierung nicht formulieren. Das Wort Waldsterben kommt der zuständigen Ministerin Julia Klöckner (CDU) nicht über die Lippen. Die jüngsten Zahlen sind dennoch alarmierend, und beim Spaziergang in unseren Wäldern sind die massiven Schäden nicht zu übersehen. Tote Fichten soweit das Auge sieht. An den Wegen lagern gefällte Stämme, unvorstellbare 170 Millionen Kubikmeter schon jetzt, der Abtransport geht schleppend voran.
In den 1980er Jahren hieß der jährliche Bericht über den Gesundheitszustand des Waldes noch „Waldschadensbericht“. Das war zwar treffend, den Verantwortlichen aber zu negativ, weshalb sie fortan vom „Waldzustandsbericht“ sprachen. Doch ein neues Wort macht nichts besser. Und inzwischen rächt sich das Abwiegeln, Schönreden und dass der Klimawandel jahrzehntelang auf die leichte Schulter genommen wurde. Der Wald zahlt den Preis.
Das Thünen-Institut für Waldökosysteme hat die bundesweiten Daten für den aktuellen Waldzustandsbericht ausgewertet und unterstreicht, dass die schlechten Werte einen bedrohlichen Trend belegen. „Es ist kein Ausreißer-Jahr“, sagt Nicole Wellbrock vom Thünen-Institut. „Es wird immer trockener.“ Die Sterberate der Bäume stieg deutlich im Vergleich zu den Vorjahren. Vor allem ältere Bäume über 60 Jahre seien vom Absterben bedroht. Schon 2019 hatten Wissenschaftler etwa doppelt so viele abgestorbene Nadel- und Laubbäume wie in den Vorjahren gezählt.
Man sieht es an den Kronen, sie werden lichter, wenn Bäume krank sind. Nur noch jeder fünfte Baum hat dem Thünen-Institut zufolge eine intakte Krone. Schäden sind bei 79 Prozent der Fichten, jeweils 80 Prozent der Eichen und Kiefern sowie 89 Prozent der Buchen festzustellen. So schlecht ging es dem Wald seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1984 nicht mehr.
Damals war das Waldsterben in aller Munde. Die sichtbaren Folgen des sauren Regens bewirkten einige Maßnahmen zur Verringerung von Luftschadstoffen – bleifreies Benzin zum Beispiel und Katalysatoren – und schließlich eine vorübergehende Erholung des Waldes. Zu einem nachhaltigen Umdenken jedoch kam es nicht. Der Wald leidet weiter. Monokulturen und ungeeignete Baumarten schwächen seine Widerstandsfähigkeit. Schadstoffe aus fossilen Brennstoffen und der Landwirtschaft setzen ihm zu. In Folge des Klimawandels bedrohen ihn zunehmend Trockenheit, Schädlinge, Stürme und Waldbrände. Dabei wäre gerade ein intakter Wald als natürliche Lunge und CO2-Speicher wichtig im Kampf gegen die Erderhitzung.
Die Versäumnisse der politischen Entscheidungsträger sind himmelschreiend. Die Ministerin unterstützt Waldbesitzer und Forstbetriebe mit Milliarden, damit die Wälder an die Folgen des Klimawandels angepasst werden. Die Bekämpfung der Ursachen aber kommt nicht voran.
Dabei ist absehbar, dass Strategien der Anpassung die Symptome allenfalls vorübergehend abmildern können. Das mag der Ministerin das Wegsehen erleichtern. Doch eben dieses Wegsehen ist unverantwortlich. Einer fortschreitenden Erderwärmung werden auch die robustesten Baumarten nicht standhalten.
Der dramatische Artenverlust zeigt überdeutlich, dass die Klimakrise zu einer Krise der Natur wird. Alles Leben auf dem Planeten ist miteinander verbunden. Bakterien, Insekten, Pflanzen, Säugetiere. Auch Corona und die zu erwartenden häufigeren Pandemien sind mit dem massiven Verlust von Arten verknüpft. Paradoxerweise überdeckt ausgerechnet das Corona-Virus die Wahrnehmung der globalen Zusammenhänge und macht es den Ignoranten leicht, die Zerstörung der Erdökosysteme weiter auszublenden. Wie viele Warnsignale, fragt man sich, sind denn noch nötig, ehe dem verantwortungslosen Treiben ein Ende gesetzt wird.
Bildquelle: Pixabay, Bild von FelixMittermeier, Pixabay License