Es ist Urlaubszeit für die Politiker. Nicht jedoch für einen Kanzler, der immer erreichbar sein muss, egal, wo und wann er gerade Urlaub macht. Das war vielleicht bei Konrad Adenauer in den 50er Jahren noch etwas gemütlicher, weil der Alte zum Boccia spielen in Cadenabbia in Italien weilte, am Comer See. Doch heute ist das anders, Kanzler sein, das heißt, so hat es Helmut Schmidt mal gesagt, 16 Stunden Arbeit Tag für Tag, er meinte auch Samstag und Sonntag und die Urlaubswochen dazu. Von Olaf Scholz wissen wir, dass er gerade Urlaub macht, wir wissen, dass er dann gern joggt, rudert, liest, aber wir wissen nicht, wo er sich aufhält, um Kraft zu tanken. Egal, wo er gerade ist, die CSU fordert, er müsse unverzüglich zurückkehren nach Berlin, nicht weil die Christsozialen sich so nach ihm sehnen, sondern weil es wieder mal drüber und drunter geht in der von Scholz geführten Ampel-Regierung. Und da macht es sich gut, wenn der Generalsekretär von Söders CSU mal eben so reinruft in die Debatte, wo denn eigentlich der Kanzler sei. Jedenfalls müsse er sofort an seinen Schreibtisch zurück. Was er nicht machen wird. Aber so wird auf dem politischen Klavier gespielt oder soll ich sagen gehämmert?
Ja, auf Lindner, der ja auch FDP-Chef ist, kann man sich verlassen wie früher auf Möllemann. Immer für Ärger und/oder Theater gut. Gerade hat Lindner im ZDF-Sommerinterview festgestellt, es fehlten so an die Fünf-Milliarden-Euro im Bundeshaushalt. Fünf Milliarden Euro, das ist für mich wie die meisten deutschen Steuerzahler viel Geld, aber gemessen am Gesamt-Etat sind das Peanuts. Aber wenn der Finanzminister so was sagt und dabei den klammen Geldbeutel des normalen Steuerzahlers im Auge hat, dann ist das die Stunde der Bild-Zeitung. Und rums haben wir die nächste Ampel-Krise. Das nennt sich dann Regieren. War Scholz nicht mal Finanzminister? Hätte er das nicht ahnen können, dass der Lindner, wenn er, Scholz gerade abgetaucht ist irgendwo in den Wäldern oder Seen in Deutschland, ihm und der Ampel eine verpasst? Was bezweckt der FDP-Mann damit? Wem will er sich andienen? Der Union? Für ein Zweierbündnis wird es nicht reichen im Bund. Dann müsste Merz(oder Wüst, Söder) mit FDP und Grünen regieren. Söder will die Grünen aber ausschließen. Die aber in NRW und in Schleswig-Holstein mit der dortigen CDU leise und effektiv regieren. Dagegen könnte für die FDP das Totenglöckchen läuten. Im Bund müsste Scholz, wenn er den Mumm dazu hätte, die Liberalen rausschmeißen aus der Regierung. Dann wäre die Ampel am Ende. Ja und?
Die FDP passt nicht zur Ampel
Man fragt sich ohnehin seit Monaten, warum die drei Parteien der Ampel überhaupt noch zusammen sind. Denn sie passen ja nicht zusammen, Ihr Merkmal ist nun mal der Streit, der nach jeder Einigung fortgesetzt wird. Deshalb ist das ganze Theater so unsäglich. Das zeichnet Scholz, Habeck und Lindner aus. Inhaltlich stehen sich Grüne und Liberale unversöhnlich gegenüber. Ich bezweifle, dass es nur inhaltliche Gründe sind, die sie nicht zueinander finden lassen. Es ist auch Neid dabei. Der FDP geht es auch um Grundsätzliches: die Grünen haben sie aus dem Paradies vertrieben, die Freidemokraten waren der Königsmacher über Jahrzehnte, sie machten Adenauer, Erhard, Brandt, Schmidt, Kohl zum Kanzler. Erst Gerhard Schröder wurde von den Grünen gewählt, die FDP landete auf dem für sie undankbaren Platz in der Opposition. Die Grünen wurden zu einer modernen Partei, gewählt vor allem von Jüngeren, von Frauen, Studierten, der FDP blieb gerade die Anstecknadel mit dem Porsche-Zeichen drauf. Guido Westerwelle erhob sie in den Stand der Partei der Besserverdiener.
Mich hat damals gewundert, dass Christian Lindner dem Werben des SPD-Kanzlerkandidaten nachgab. Zunächst hatte er richtigerweise gesagt, ihm fehle die Phantasie für eine Regierung aus SPD, den Grünen und der FDP. Vielleicht sorgte er sich, die Liberalen könnten zwischen die Zange aus SPD und Grünen geraten und eben dann politisch ersticken. Diese Sorge hat ihm in der Regierung der SPD-Kanzler Scholz genommen, den Lindner dann zwischenzeitlich rühmte, der werde ein großer Kanzler. Hat sich gelohnt, Herr Lindner. Scholz lässt ihn gewähren, schmäht SPD-Themen, auch das Soziale muss zurückstehen, wenn Lindner das will. Denn Scholz führt nicht, er regiert nicht, er setzt keine Zeichen, Inhalte spielen bei ihm keine Rolle.
SPD-Wählerinnen und SPD-Wähler müssen sich von Scholz getäuscht fühlen. Die SPD ist zwar die stärkste Partei in der Ampel, aber sicher die, die sich inhaltlich am wenigsten durchsetzen kann. Dank Olaf Scholz. Er ließ schon Habeck sein Heizungsgesetz machen, das sich dann als handwerklich miserabel herausstellte und seit diesem Moment als eine Art Disqualifikation der Regierung dient. Hat Scholz das nicht gesehen, als Habeck mit ihm und Lindner darüber gesprochen hat? Natürlich ist es das Gesetz des Grünen-Wirtschaftsministers und Vizekanzlers, aber es ist auch das Gesetz der gemeinsamen Koalition, der Scholz als Kanzler vorsteht. Oder sieht er das anders? Scholz hat angekündigt, wer bei ihm Führung bestellt, bekomme sie auch. Nichts davon ist zu spüren, zu sehen, zu hören. Dass Markus Söder die Ampel für untauglich hält, ist gewiss auch Parteipolitik, die Vorlagen dafür hat ihm aber Scholz geliefert.
Das Theater ums Bürgergeld hat die Reform quasi schon fast kaputt gemacht. Jetzt wird nur noch von den Negativ-Beispielen erzählt, die es angeblich gibt, werden die Geschichten von Abstaubern geliefert, die nur kassierten. Nein, das Gesetz sorgt nicht für ein bedingungsloses Grundeinkommen, aber es ist längst abgestempelt als Durchgefallen. Für die Opposition aus Union und AfD ein gefundenes Fressen. Immer feste druff, es muss ja nicht alles stimmen, es reicht, wenn der abschätzige Tenor beim geschätzten Wähler-Publikum hängenbleibt. Da bekommen Leute, auch Geflüchtete aus der Ukraine Geld und leisten nichts dafür. Die heftige Kritik der Christdemokraten und Christsozialen soll die Ampel weiter beschädigen, dem Kanzler den letzten Rest des einst guten Rufs nehmen.
60 Prozent für Vermögensteuer
Im Wahlkampf hatte Olaf Scholz auch versprochen, die breiten Schultern, die Reichen des Landes, gemeint die Vielfach-Millionäre und Milliardäre stärker zur Kasse zu bitten. Nichts davon ist passiert. Das Geld könnte man gut gebrauchen. Wo bleibt der Vorstoß der SPD, die Vermögensteuer wieder zu aktivieren. Sie steht im Grundgesetz. Mehr als 60 Prozent der Deutschen sind laut Umfragen dafür, sogar 55 Prozent der Unions-Wählerinnen und- Wähler teilen diese Auffassung. Warum prescht der Kanzler nicht vor, wo bleiben entsprechende Forderungen der SPD an die Regierung? Mehr Menschen wären bereit, Geld für Klimaschutznahmen zu zahlen. Warum wird diese Bereitschaft nicht genutzt? Die Politik von Scholz ist zu defensiv. Wo bleiben Aktivitäten gegen die Demokratieverächter, die dabei sind, bei den kommenden Landtagswahlen im Osten der Republik die AfD zur stärksten Partei zu machen, eine Partei, in deren Reihen Faschisten sitzen, eine Partei, die unsere so erfolgreiche Demokratie zerstören will? Wir bräuchten eine landesweite Aktions-Welle pro Demokratie und gegen ihre Feinde. Scholz verweigert den Kampf.
Sollen doch die Liberalen die Koalitionsfrage stellen. Darauf würde ich es ankommen lassen. Es kann doch nicht sein, dass einfach nur so weiter laviert wird, dass man sich von Streit zu Streit, von Krise zu Krise hangelt, bis endlich der Wahltag da ist. Die SPD ist immer noch eine Volkspartei, und sie ist eine Partei für Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Was ist aus dem Versprechen geworden, Jahr für Jahr 400000 Wohnungen zu bauen, bezahlbare? Wenn eine Partei wie die FDP sich weigert, diesen Weg mitzugehen, auch zur Aktivierung der Vermögensteuer, der Erbschaftssteuer, muss man eben den Konflikt suchen. Ein Weiter-So, Herr Scholz, bedeutet nicht nur das Ende ihrer politischen Karriere, was zu verschmerzen wäre, sondern es gefährdet die Existenz der SPD.
Und dann ist da noch eine andere Frage, die mehr und mehr in den Mittelpunkt der Debatten gerät. Die Frage der Stationierung von Marschflugkörpern allein auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Es kann doch nicht wahr sein, dass ein solches Thema allein zwischen einem US-Präsidenten und dem Bundeskanzler erörtert und festgelegt wird. Das gehört in den Bundestag. Es geht um das Ringen um den richtigen Weg, es geht um Frieden, um Sicherheit, Abschreckung und Diplomatie, alles das, was eine Volkspartei ausmacht, die sich auf den Friedensnobelpreisträger Willy Brandt berufen kann. Die SPD besteht nicht nur aus Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius, da gibt es auch den Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich. Und der hat dafür plädiert, „abseits des Schlachtfeldes Wege zu einem Frieden in der Ukraine“ zu suchen. Was soll daran irrlichternd sein?