1. Einleitung
Die Schlacht ist geschlagen, der Kampf geht zu Ende. Mit der Formulierungshilfe vom 30. Juni hat sich die Ampel-Koalition geeinigt. Die Änderungen im Gesetzentwurf sind nicht unwesentlich. Doch für das, was real geschehen wird, sind sie vermutlich eher von geringer Bedeutung.
Die enorme öffentliche Debatte hat auf der Haben-Seite nämlich auch einen Ertrag. Nun haben alle Hausbesitzer, und nur diese waren ja anzusprechen, sich ihre Gedanken gemacht. Das Ergebnis: Sie werden ihren Vorteil darin erkannt haben zu tun, was das Gesetz ihnen ursprünglich strikte abverlangen sollte.
Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) ist der Nachfolger des Gesetzes zur Einsparung von Energie (EnEG). Dessen Entstehung geht zurück auf eine Einsicht im Gefolge der ebenfalls Embargo-bedingten Energiepreiskrise im Jahre 1973. Man fragte sich, weshalb die Gebäude so ausgelegt wurden, dass sie einen so hohen Heizenergiebedarf haben – und entdeckte als Grund für die geringe Resilienz ein Marktversagen. Die Eigentümer, die Gebäude errichten, rechnen gar nicht, wie man sich das bei rationalen Marktteilnehmern eigentlich vorstellt. Gebäude wurden energetisch lediglich normgerecht ausgelegt, das war alles. Der so in Stein gemeißelte oder in Beton gegossene Energiebedarf eines Gebäudes wurde durch Heizöl zu den damals niedrigen Preisen gedeckt. Mehr an individueller Rationalität gab es da nicht.
Die technische Norm, an die man sich hielt, war eine, die eine Mindestauslegung festlegte. Kriterium war, dass das Gebäude keinen Schaden nimmt. Der Gesetzgeber nahm diese tumbe,
herdenartige Verhaltensweise der Eigentümer als Ansatzpunkt. Er schuf 1976 das Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden – Energieeinspargesetz (EnEG) –; damit ersetzte er die Norm. Der Schlüsselsatz des neuen Gesetzes lautete und lautet bis heute im GEG: Wer ein Gebäude errichtet, hat es so zu entwerfen und auszuführen, dass beim Heizen und Kühlen vermeidbare Energieverluste unterbleiben. Das Nähere regelt eine Ausführungsverordnung. Dasselbe gilt für Heizungsanlagen. In sämtlichen Fassungen des EnEG war das Kriterium „vermeidbar“ noch näher definiert worden, als im Zusatzaufwand „wirtschaftlich vertretbar“ (§ 5 EnEG). Und zwar nicht in jedem Einzelfall, sondern generell. Der Sinn von Regelungen im GEG ist also, Eigentümer vor unwirtschaftlichen Unter-Investitionen in ihr Gebäude zu schützen, sie zugleich besser zu schützen vor den Volatilitäten des Weltmarktes.
Was die FDP unter der Parole „Technologieneutralität“ zur Erfüllung der Vorgabe „mindestens-65-Prozent-Erneuerbare“ in den Gesetzestext an Optionen hineinverhandelt hat, sind sämtlich Optionen, die nach dem Urteil der Fachwelt wirtschaftlich eher zweifelhaft sind. Und das erkennt auch die FDP an – sie will ja nur die Wahlmöglichkeit. Aufgrund der breiten Debatte ist zu erwarten, dass die Hauseigentümer in aller Regel tun werden, was als wirtschaftliche Option allgemein erwartet wird. Die seitens der FDP durchgeboxte, aber eigentlich gesetzwidrige Öffnung für weitere (unwirtschaftliche) Optionen dürfte faktisch kaum einen Einfluss auf das reale Verhalten haben. Die Karawane (der Hausbesitzer) läuft unbeeindruckt weiter. Wenn erst einmal deutlich wird, dass den Gasverteilern die Kunden weglaufen und diese damit reagieren, die unveränderten Leitungskosten auf immer weniger Restkunden umzulegen, werden auch dem letzten Gebäudebesitzer die Augen aufgehen. Das wirtschaftliche Risiko für diejenigen, die dem Gas die Treue zu halten versuchen, besteht weniger in den Gaspreisen, auch weniger in den CO2-Preisaufschlägen, sondern in der Umlage der Infrastrukturkosten.
2. Effekt auf das Klimaziel im Gebäudebereich
Auf Basis dieser Überlegung darf man die Abschätzung der Effekte der Heizungs-Novelle, welche das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität Köln (EWI) auf Basis des ursprünglichen Gesetzentwurfs erarbeitet hat, als weiterhin gültig annehmen.
Auf Veranlassung und mit Finanzierung durch den Freundeskreis des Instituts hat das EWI eine Folgenabschätzung des Gesetzes vorgelegt, die deutlich über die gesetzesinterne hinausgeht – und die zudem viel leichter zu lesen ist. Die Ergebnispräsentation ist nämlich nicht im Berichtsstil gehalten, sondern als erweiterte Power-Point-Präsentation. Das kommt dem heutigen Lesebedürfnis weit entgegen.
Unterstellt werden drei Szenarien von Akteursverhalten. Die wurden in das EWI-Gebäudemodell eingespeist. Kategorien der Ergebnisse sind Heizungsbestand, Endenergie und CO2-Emissionen. Verglichen werden drei mögliche Ergebnisse für 2030 mit Daten aus 2020. Herausgegriffen wird hier das Ergebnis in CO2-Minderung. Vgl. Abbildung.
Die drei Szenarien sind in ihren Schwerpunkten so charakterisiert
- WP|WN|H2: Netzbetreiber übernehmen Versorgungsgarantien für neue Gasheizungen. Gasheizungen machen 20% der Neuinstallationen in Bestandsgebäuden aus.
- WP|WN+: Versorgungsgarantien gibt es nur in Ausnahmefällen und der Absatz von Gasheizungen sinkt auf 3%. Es werden über die Bestandsverdichtung hinaus vermehrt neue Wärmenetze aufgebaut. Wärmenetzanschlüsse machen 29% der Neuinstallationen in Bestandsgebäuden aus.
- WP+|WN: Versorgungsgarantien gibt es nur in Ausnahmefällen und es werden primär bestehende Wärmenetze verdichtet. Die Wärmepumpe ist die zentrale Erfüllungsoption mit einem Anteil von 73% an den Neuinstallationen.
Das Szenario WP/WN/H2 steht für den Fall, dass das Setzen auf die Taube auf dem Dach, die spätere H2-Verfügbarkeit in Gas-Verteilnetzen, für viele erfolgversprechend erscheint – und sie somit noch von ihrem Recht auf Erdgasnutzung lange Gebrauch machen. Die anderen beiden Szenarien sind eigentlich hinsichtlich des Treibhauseffekts gleich, die ausgewiesene Differenz um einen Prozentpunkt ist ein Artefakt und wird hier übergangen. Ergebnis des Vergleichs der Szenarien in der Kategorie „Emissionen“ ist somit eine Differenz um 4 %-Punkte.
Ein %-Punkt entspricht 1,5 Mio. t CO2/a. Bei der Differenz der Szenarien geht es somit um 6 Mio. t CO2/a. Das ist das Ergebnis im Stichjahr 2030. Da diese Differenz aber typisch ist, gilt sie in etwa auch in den Jahren zuvor, also für eine Zeitspanne von sieben Jahren. Somit geht es bei der Differenz zwischen den Szenarien um 42 Mio. t CO2 im Zeitraum 2024 bis 2030.
3. Budgetpolitische Bedeutung unter EU-Regeln
Die EWI-Autoren machen auch die Rechnung relativ zum emissionspolitischen Soll auf. Laut deutschem Klimaschutzgesetz, das auch der Sicherstellung der Zielvorgaben der europäischen Klimaschutz- bzw. Lastenteilungs-Verordnung dienen soll, hat der Gebäudesektor bis 2030 eine stetige Minderung auf schließlich minus 65 % im Jahre 2030 (relativ zu 1990) zu erreichen. Das mit der „stetigen Minderung“ ist ernst zu nehmen. Die Klimaschutz-Verordnung der EU gibt nämlich, anders als das deutsche Klimaschutzgesetz, nicht nur Punktziele vor, sondern Budgetziele – jedes Jahr zählt. Unterstellt, die Hauseigentümer lassen sich von den Sirenengesängen der Gasversorger in deren allfälligem Werben für die „auf die Verbrennung von 100 Prozent Wasserstoff umrüstbare“ Heizungsanlage – das ist der neue Begriff anstatt „H2-ready“-Heizung – nicht bezirzen, so drohen 3 %-Punkte in diesem Jahrzehnt noch zu fehlen. Nach oben erläutertem Rechenschema entspricht das einer Budget-Lücke von 31 Mio. t CO2. Die Spanne möglicher Untererfüllung der EU-Vorgaben liegt somit bei 31 bis 73 Mio. t CO2. Der Mittelwert liegt bei 52 Mio. t CO2.
Verfehlt der Gebäudesektor in dieser Größenordnung die EU-Vorgabe, so besagt die Klimaschutz-Verordnung: Die Überschreitung kostet das Mitgliedsland Geld, es hat die Differenz nämlich auszugleichen, durch Einkäufe von Emissionsrechten bei anderen Mitgliedstaaten, eine geringe Menge darf man auch aus dem EU ETS dazukaufen. Dessen Preise werden von Experten auf die mittlere Frist im Schnitt bei etwa 100 €/t CO2 gesehen.
Die Lücke im Gebäudesektor droht den Staat also etwa 5 Mrd. € zu kosten. Zu dem Seltsamen an der nun gelaufenen „Debatte“ in Deutschland gehört, dass dieses Aufs-Spiel-Setzen von Geld der nächsten Regierung niemand dem Finanzminister der amtierenden Regierung vorhält. Weder Medien, noch Klimaexpertenrat, noch Opposition machen ihm diese Rechnung auf. Dabei will die Ampel-Regierung nach eigenem Anspruch längerfristig im Amt bleiben – der Budgeteffekt wird ihr im Erfolgsfalle bei der Wahl 2025 auf die eigenen Füße fallen.