Der Feind steht rechts. Das hat einmal der Reichskanzler Joseph Wirth vor dem Reichstag im Juni 1922 gesagt. Nach der Ermordung des Außenministers Walter Rathenau durch Nazis. Rathenau war ein Jude. Armin Laschet, einst NRW-Ministerpräsident, auch CDU-Vorsitzender und später unterlegener Kanzlerkandidat der Union, hat diese Worte nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walther Lübcke(CDU) durch einen Neonazi und dem Anschlag auf die Synagoge in Hanau wiederholt. Der heutige CDU-Chef Friedrich Merz will zwar die rechtsextreme AfD bekämpfen, sieht aber in den Grünen den eigentlichen Gegner der Union bei den kommenden Wahlkämpfen.
Noch einmal Armin Laschet. Der CDU-Politiker äußerte damals im Jahr 2020 die Sorge, derartige Anschläge könnten sich wiederholen. Und Laschet räumte ein, dass wir in der Bundesrepublik ein Rassismus-Problem hätten. Von anderer Seite wurde ergänzt, am Rednerpult des Bundestages werde Hass gesät. Hass durch Vertreter der AfD, werde Fremdenfeindlichkeit das Wort geredet. Die Worte fielen in der ZDF-Sendung Maybrit Illner.
Söder und die Freien Wähler
Man muss hier betonen, dass die Grünen Regierungspartner der CDU in NRW, Schleswig-Holstein, Hessen und in Baden-Württemberg sind, dass sie es auch im Bund werden könnten nach der nächsten Wahl. Merz` CSU-Freund in Bayern, der dortige Ministerpräsident Markus Söder, sieht es wie der Sauerländer, die Grünen sind sein Haupt-Gegner, er regiert lieber mit den Freien Wählern, auch wenn deren Vorsitzender Hubert Aiwanger kürzlich bei einer umstrittenen Protestkundgebung in Erding die markigen und ebenso fatalen weil falschen Sätze von sich gab: „Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende Mehrheit des Landes sich die Demokratie zurückholen muss und denen in Berlin sagen, ihr habt den Arsch offen.“ Welche Demokratie soll woher zurückgeholt werden, Herr Aiwanger? Die Demokratie im Lande ist da und funktioniert, sonst dürften Sie nicht so etwas verzapfen dürfen.
Die Präsidentin des bayerischen Landtages, Ilse Aigner, kritisierte Aiwanger ob der Sätze. Schließlich sei der Freie-Wähler-Chef Wirtschaftsminister im Kabinett von Markus Söder und der Stellvertreter des Ministerpräsidenten. Man dürfe das geplante Heizungsgesetz der Ampel in Berlin kritisieren, so Aigner, aber dass das Gesetz auf demokratischem Wege zustande gekommen sei, daran bestehe kein Zweifel. Aiwangers deftige Sprache mag bei seinen Anhängern in Niederbayern und bei einigen Bauern beliebt sein, man erinnert sich an die Sache mit dem Kuhfladen, aber sie gibt doch sehr zu denken. Was für eine Diskurs-Kultur? Und wer glauben möchte, dass der Herr Minister später Abstand genommen hätte, sah sich getäuscht.
Demokratie zurückholen, das ist AfD-Sprech und sorgte für Empörung in -fast- allen politischen Lagern. Söder selber, der auf der gleichen Kundgebung ausgebuht wurde, sah anschließend keinen Grund, öffentlich auf Distanz zu gehen zu seinem Vize. Er soll ihm im Kabinett die Meinung gesagt haben. Dabei geriet Söder wegen seines Auftritts in Erding selber ins Kreuzfeuer der Kritik und musste sich für sein Erscheinen bei der Demo gegen das Heizungsgesetz rechtfertigen.
Nein, der CSU-Chef will die Koalition mit den Freien Wählern nach der Landtagswahl am 8. Oktober fortsetzen. Die Forderung von Grünen wie der SPD, Aiwanger zu entlassen, kam bei Söder nicht so gut an. Er denkt nicht daran. Dabei hatte Aiwanger schon während der Corona-Pandemie für Aufsehen und Ärger gesorgt, als er öffentlich machte, dass er sich nicht impfen lassen werde. Diese Haltung eines stellvertretenden Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern, die er später korrigierte, war schon einmalig und daneben. Hatten doch Bundesregierung und Landesregierungen in der Corona-Bekämpfung über Parteigrenzen hinweg weitgehend zusammengearbeitet. Der Chef der bayerischen SPD, Florian von Brunn, betonte jetzt bei der Kundgebung auf dem Münchner Odeons-Platz: „Aiwanger hat die Grenze überschritten, die für uns demokratische Politiker gelten sollte“. Die Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze warnte vor amerikanischen Verhältnissen im Freistaat. Gemeint die Hetze von Trump nach seiner Wahlniederlage. Bayern sei bunt und könne mehr. Bürgerinnen und Bürger hätten es verdient, dass Vertreterinnen und Vertreter des Staates die Gesellschaft zusammen halten müssten. Es brauche keine Politiker, die Öl ins Feuer gössen. Aiwanger wies die Kritik an seiner Rede und Wortwahl zurück. Mit dieser „linken Masche“ lasse er sich nicht mundtot machen.
Keine Anbiederung an Populisten
Die Haltung zur AfD und den Grünen bringt Friedrich Merz immer mehr in die Bredouille. Seine Autorität ist erschüttert, weil er plötzlich und zur Unzeit eine Führungs- und Bündnisdebatte am Kragen hat. Die Ministerpräsidenten Daniel Günther und Hendrik Wüst widersprachen seiner Meinung, was den Koalitionskurs der Union betrifft. Klar, beide regieren mit den Grünen und dies ziemlich ruhig und anscheinend problemlos. Dass Merz seinem sogenannten Parteifreund aus Düsseldorf die schlechten Umfragewerte seiner Regierung um die Ohren haute, war zwar sachlich nicht ganz falsch, aber politisch strategisch daneben. Der Vorfall zeigte aber, dass Merz Nerven zeigt. Er weiß spätestens seit diesen Tagen, dass Wüst und Günther seine Kontrahenten um eine mögliche Kanzlerkandidatur sein könnten.
Seit den AfD-Erfolgen bei Wahlen im Osten- sie gewannen bei Stichwahlen das Rennen um das Amt eines Bürgermeisters und eines Landrats- wäre es eigentlich Sache von Merz gewesen, die Strategie der Christdemokraten gegen die AfD zu überdenken. Die Anbiederung an populistische Feindbilder von rechts, die Grünen als eine Partei der Denkverbote zu beschimpfen und ihnen volkserziehende Ideologie vorzuhalten, das ist der Kampfplatz von vorgestern. Die Grünen heute mögen manchen Fehler machen, wie geschehen von Habeck beim sogenannten Gebäudeenergiegesetz, aber die Grünen sind längst keine Ultra-Linken mehr wie einst, die Realos wollen regieren, gestalten. Und man kann ihnen manches vorhalten wie umgekehrt auch der CDU: aber den Klimawandel zu leugnen, oder ihn nach hinten zu verschieben in den Sankt Nimmerleinstag, greift daneben. Die Erderwärmung verlangt politisches Handeln, Umsteuern. Und manche Zumutung. Den Klimawandel und die notwendigen gesetzlichen Veränderungen aber aus Parteikalkül zum Schreckgespenst zu erheben, erweckt den Anschein, als wolle er sich an die AfD heranmachen.
Es geht im übrigen nicht nur um Sonneberg in Thüringen, wo der AfD-Landrat siegte, und um das Örtchen Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt, wo der AfD-Mann Bürgermeister wurde. Es geht ,und zwar für alle Demokraten, auch um die Sprache, mit der sie den Streit um die Sache führen, der geführt werden muss. Aber die Demokraten sollten nicht in die verbalen Kampagnen-Töne der Rechtsextremen abgleiten. Sie sollten immer auch im Kopf haben, dass sie eines nicht zu fernen Tages miteinander regieren müssten.
Wer Nazis wählt, ist ein Nazi
Was die AfD angeht, ist Abgrenzung nötig. Klarstellung. Keine Zusammenarbeit. Der ostdeutsche Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk sagte dazu in einem Interview mit der taz: „Es wird so getan, als wenn AfD-Wähler arme, verirrte Bürger sind. aber das stimmt nicht: Wer Nazis wählt, ist ein Nazi.“ Er nehme die ostdeutsche Gesellschaft nicht aus ihrer Verantwortung. Alle seien verantwortlich für ihre Entscheidungen und ihren Weg. „Und der Kreis Sonneberg ist ein gutes Gegenbeispiel. Dort gibt es keine hohe Arbeitslosigkeit.“ Kowalczuk hält es für fatal, „wenn wir uns unentwegt auf die konzentrieren, die rummotzen und nicht wollen, die halbe Nazis sind oder ganze…Es muss vielmehr darum gehen, diejenigen zu stärken und zu schützen, die Demokraten und Freiheitsfreunde sind. Das ist die große Mehrheit unserer Gesellschaft. Und die Faschisten strafen wir mit Verachtung, Ignoranz und Nicht-Beachtung. Sie wollen permanent im Zentrum stehen- sie wollen Aufmerksamkeit. Die sollte man ihnen entziehen… Im Bundestag könnte man die einfach ignorieren. Lass die reden, niemand reagiert. Das macht die fuchsteufelswild. … Die Gesellschaft sollte sich auf keinen Fall Debatten von Faschisten aufzwängen lassen.“
Zur Auseinandersetzung mit den Feinden der Demokratie meinte Kowalczuk: „Das kann man gut am gesellschaftlichen Umgang mit schwächeren Gruppen festmachen: Ob nun Geflüchtete, Menschen mit Behinderung oder sozial Hilfsbedürftige: Maßgeblich ist es, wie wir mit den Schwächsten der Gesellschaft umgehen… Die vermeintlichen Randexistenzen stehen für mich im Zentrum. Wenn wir da einen guten menschlichen und gleichberechtigten Umgang haben, leben wir in einer Gesellschaft, die es verdient, freiheitlich genannt zu werden.“ Und im übrigen müssten Brandmauern gegen Demokratiefeinde gezogen werden, „die man nicht wieder einreißen darf.“ Alle Demokratinnen und Demokraten müssten zusammenstehen.