Der „ewige“ Schäuble, hieß es vor Jahren schon über den Mann, der für eine bestimmte Generation immer im Bundestag saß, erst in Bonn, dann in Berlin. Wolfgang Schäuble war eigentlich immer etwas und hatte was zu sagen. Aber er war auch der Mann, der stets einen über sich hatte, erst Kohl, dann Merkel, Kanzler war er nie. Und doch war er eine Instanz in der Politik, eine Persönlichkeit, vor der man Respekt und ja Hochachtung hatte, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Partei. Bundestagspräsident, Bundesinnenminister, Kanzleramtsminister, Bundesfinanzminister, CDU-Partei- und Unions-Fraktionschef. Keiner war je länger in einem deutschen Parlament, nicht einmal der legendäre August Bebel von der SPD. Nun ist Wolfgang Schäuble gestorben mit 81 Jahren an Krebs, wie es heißt. Er sei im Kreise seiner Familie friedlich zu Hause in Offenburg eingeschlafen. Er hat, das kann man sagen, Geschichte geschrieben.
Wer immer Wolfgang Schäuble begegnet ist in all den Jahren, war von ihm beeindruckt. Sicher, da war die Härte, die von diesem Mann ausging, aber da war auch die Kompetenz, die Präsenz eines Mannes, der durch ein Attentat 1990 lebensgefährlich verletzt worden war und der sich dann zurück kämpfte ins Leben, an den Rollstuhl gefesselt. Kein leichtes Leben für Schäuble, der einst gern Tennis spielte und schnell auf den Beinen war. Das war nun vorbei.
1972 zog der in Freiburg geborene junge CDU-Politiker Schäuble, gelernter baden-württembergischer Finanzbeamter, in den Bundestag. Kanzler war der Sozialdemokrat Willy Brandt, gerade Friedensnobelpreisträger geworden und die Neuwahl mit Bravour gewonnen, die SPD erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik stärkste Partei. Das hat einen Konservativen wie Schäuble gewurmt, wie er Jahre danach mal erzählte, es hat ihn angetrieben. Der Mann war ehrgeizig. Und dann folgte auf Brandt Helmut Schmidt als Kanzler, erst 1982 schlug die Stunde von Helmut Kohl, als die Liberalen unter Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff genug hatten von der Koalition mit der SPD. Und ab dann nahm die Karriere des Wolfgang Schäuble Fahrt auf.
Nein, er war nicht der Politiker, der charmant daher plauderte, sondern eher derjenige, der anderen schon mal übers Maul fuhr, wie er es selber gesagt hatte. Pingelig war Schäuble nie, der politische Gegner musste sich, legte er sich mit Schäuble an, warm anziehen. Ja, er teilte gern aus und reizte die SPD bis zur Schmerzgrenze oder auch darüber, so dass es eines Tages dem SPD-Fraktionschef Hans-Jochen Vogel zu viel wurde und er wütend dazwischenrief: „Sie sind ja noch schlimmer geworden…“ Mehr sagte Vogel nicht, er merkte selber, dass er verbal dabei war zu überziehen. Denn Vogel meinte natürlich, Schäuble sei seit seiner Behinderung durch das Attentat noch aggressiver, bissiger geworden. Später hat sich Vogel bei Schäuble entschuldigt. Aber es war kein Problem für den CDU-Mann, der austeilen und einstecken konnte. Und der gelegentlich ungnädig sein konnte selbst gegenüber seinen engsten Mitarbeitern, was er sie spüren ließ. Seinen Pressechef hat er mal öffentlich abgewatscht.
Ein Krüppel als Kanzler?
Schäuble war ein Politiker, den man zu jeder Stunde in jede Debatte schicken konnte: Er wusste Bescheid, gleich welche Frage man ihm stellte. Nie erwischte man ihn auf dem falschen Fuß. Er kannte die Rentenpolitik wie die Probleme der Pflege, er kannte sich aus im Rechtsextremismus und natürlich war er in der Außen- und Sicherheitspolitik zu Hause, er kannte die Finanzpolitik, die hatte er ja von der Pike her gelernt als Finanzbeamter, er wusste Bescheid im Sport und in der Kultur. Mit ihm ein Interview zu führen, war ein Genuss, weil er Aussagen, die er mündlich gesagt hatte, später im gedruckten Interview nicht zurücknahm.
1997 fragte Stern-Journalist Hans-Peter Schütz, ein Landsmann Schäubles, den CDU-Politiker, ob er sich das Kanzleramt zutraue. Eine schwierige Frage, weil sie einschloss die Tatsache, dass ein Kanzler Schäuble eben im Rollstuhl sitzen würde. Schütz, der Augenzeuge des Attentats 1990 gewesen war und knapp hinter Schäuble stand, als es passierte, zögerte und stotterte, weil er sich nicht traute, diese Frage zu stellen. Das übernahm dann Schäuble selber: „Reden Sie nicht so drumrum“, herrschte der Politiker den Journalisten an. „Wir kommen beide aus Baden, und da wissen Sie doch genau, wie ein Mensch im Rollstuhl heißt. Also fragen Sie mich jetzt endlich: Kann ein Krüppel Kanzler werden?“ Und Schäuble gab, wie Schützt später erzählte, die Antwort: „Ja, ich glaube, ich würde der Versuchung nicht widerstehen.“ Wochen später traf ich Schäuble zum Interview im WAZ-Haus in Essen und fragte ihn nach dem, wie ich fand, brutalen Titel. Er zuckte nur mit den Schultern und antwortete kurz: „Isch so“.
Mehr als 50 Jahre direkt gewählter Abgeordneter, das kann man sich kaum vorstellen. Direkt gewählt, heißt auch, der Mann war bei den Wählerinnen und Wählern, er sprach mit ihnen, er kannte sie und sie ihn. Also stimmten sie für ihn. Und was seine Schärfe anging, so hat er das mal so zu erklären versucht: Die sei fast dem Amt geschuldet, jede Woche säßen da hunderte Abgeordnete, die sich alle wichtig fühlten und natürlich auch was sagen wollten. Und er, der Wolfgang Schäuble, musste doch dem Helmut Kohl , dem ewigen Kanzler, die parlamentarische Mehrheit organisieren. Dabei habe nicht jeder mitreden können oder überhaupt machen können, was er wollte. Einer musste das Sagen haben: Das war er. Und er war es auch, der den Einheitsvertrag gestaltete, Schäuble galt als der Architekt der deutschen Einheit. Aber natürlich überließ er dem Rekord-Kanzler die Blumen.
Zum Wohle des Pfälzers
Schäuble war ehrgeizig, aber auch loyal. Man kann sagen: Zum Wohle des Pfälzers, der ihm später die Kanzlerschaft erst anbot, dann sie via Fernsehen zurücknahm. Kohl wollte freiwillig nicht abtreten, also wurde der „Dicke“ abgewählt. 1998. Nachfolger wurde Gerhard Schröder von der SPD, Rot-Grün löste Schwarz-Gelb ab. Beide, der Altkanzler und Schäuble, landeten dann im Spendensumpf, Kohl kostete es den Namen, Schäuble das Amt des Parteichefs. Freunde waren sie im Sinne des Wortes wohl nie, auch wenn Schäuble das eine Weile geglaubt haben mochte. Aber es war wohl doch eher so, dass Kohl Schäuble benutzt hat für seine eigenen politischen Interessen, wissend, dass dieser Schäuble beliebt war innerhalb der Union, selbst zu Zeiten, da die Popularität des Pfälzers dahinschmolz.
Nimm dich nicht so wichtig, ist ein Satz, den Schäuble gehört hatte von Papst Johannes XXIII. Ein Satz, den er über die Jahre immer wieder zitiert hatte und den er sich selber vorhielt. Weil er selbst wichtig war, galt es für ihn, auf dem Teppich zu bleiben, nicht abzuheben. Nimm dich nicht so wichtig, alles ist vergänglich, jeder zu ersetzen. Und er, Wolfgang Schäuble, hatte ja 1990 beim Attentat am eigenen Leib erfahren, dass das Leben endlich ist und dies schnell passieren kann. Er hatte Demut, gelernt über die Zeiten, die auch für ihn erfolgreich, aber auch hart, bitterhart sein konnten. Da war der Anschlag. aber da waren auch Hoffnungen, die nie in Erfüllung gingen. Bundespräsident wurde ein anderer, das mit dem Kanzler hatten wir schon, Regierender Bürgermeister von Berlin durfte er nicht werden. So war das.
Bundestagspräsident war Schäuble, verheiratet und Vater von vier Kindern, gern und wäre es gern geblieben über 2021 hinaus, aber die SPD landete vor der Union und stellte als stärkste Fraktion des Bundestages den Bundestagspräsidenten. So ist es geregelt durch die Geschäftsordnung. Schäuble nahm es klaglos hin und kündigte bald an, 2025 nicht mehr für den Bundestag kandidieren zu wollen. Das Alter, kommentierten Journalisten.
Einmalige Leistung
„Eine einmalige Leistung“, hat seine Amtsnachfolgerin Bärbel Bas(SPD) vor Jahr und Tag Wolfgang Schäubles politischen Weg gelobt. Einer wie er habe „unsere repräsentative Demokratie und unser Land in den vergangenen Jahrzehnten wie nur wenige geprägt“, sagte Bärbel Bas. Schäuble habe Maßstäbe gesetzt.
Der Mann war ein Großer. Ein streitbarer Demokrat. Er hat sich um dieses Land und die Demokratie verdient gemacht.
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