In Zeiten hitziger Zuwanderungsdiskussionen innerhalb der Koalition wird in Berlin ein Thema, das eigentlich jeden deutschen krankenversicherten Bürger ganz persönlich betrifft, geflissentlich übersehen und weitgehend ausgeblendet: die elektronische Patientenakte, kurz EPA.
Das Zeitalter der Digitalisierung – von der Bundeskanzlerin selbst eingeläutet – erfordert auch vom Gesundheitswesen eine Anpassung an das technisch Mögliche, um Patienten die optimale zeitgemäße Versorgung zu gewährleisten. Das eHealth-Gesetz, dessen Entwurf im Bundesgesundheitsministerium unter Leitung von Hermann Gröhe erarbeitet wurde, soll dazu die wesentlichen Grundlagen legen – eigentlich.
Jedoch steht das Thema „Zuwanderung“ derzeit nahezu ausschließlich im Focus der öffentlichen Wahrnehmung. Im Gesundheitsbereich wird zur Zeit sogar eine kontroverse Diskussion über eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge geführt. Das ist gewiss richtig und wichtig.
Allerdings wird dabei vollkommen übersehen, dass für über 70 Millionen Versicherte ein ganz anderes, jeden Einzelnen persönlich betreffendes Thema auf der Agenda des federführenden Gesundheitsministeriums verloren zu gehen scheint. Gesundheitsminister Gröhe, der mit dem Versprechen, ein eHealth Gesetz vorzulegen, angetreten war, hat in dem gegenwärtigen Gesetzentwurf, der nun im Gesundheitsausschuss zukunftsorientiert beraten wird, keinen Platz für eine elektronische Patientenakte (EPA) vorgesehen.
Was technisch klingt, ist eigentlich ganz einfach und doch so bedeutend: es geht bei der EPA um nichts weniger, als darum, den Patientenrechten auf Selbstbestimmung („Der Patient ist Herr seiner Daten“ – parteiübergreifendes Mantra der Gesundheitspolitik seit über 10 Jahren!) Geltung zu verleihen. Jeder soll seine eigenen Gesundheitsdaten in seiner nur ihm zugänglichen persönlichen elektronischen Patientenakte einsehen und führen können.
Und dies ist auch allen Abgeordneten der Regierungskoalition, die sich mit dem Gesetzentwurf seit langem befassen, klar. So haben sie sich mehrfach an verschiedenen Stellen so gut wie unisono für die EPA ausgesprochen. Allein die EPA fehlt bis heute im Gesetzentwurf des Gesundheitsministeriums. Dabei könnte sie, wie fachkundige Insider betonen, sogar als „Gröhe-Akte“ in die Geschichte des deutschen Gesundheitswesens eingehen, sozusagen als der ganz große – und bleibende! – für jedermann nützliche gesundheitspolitische Wurf dieser Legislaturperiode.
In Zeiten von mehr als 100.000 Gesundheits-Apps, personal Health, mHealth, Google- und Apple-Gesundheitsportalen mutet es geradezu aberwitzig an, dass Gröhes Haus dieses – von allen Abgeordneten des Bundestages, Fachleuten, Hausärzteverband und Kassenseite sowie auch der Anbieter befürwortete – Konzept der EPA im Entwurf des eHealth Gesetzes mit keinem Wort erwähnt!
Nun möchte man meinen, dass der ambitionierte und energische Hermann Gröhe, der sich in kurzer Zeit sehr fachkundig in die schwierige Materie “Gesundheitswesen und eHealth“ eingearbeitet hat, ebenso wie die Abgeordneten und die Mehrheit der Selbstverwaltung ein glühender Befürworter der Selbstbestimmtheit von Patienten sein müsste. Dem Vernehmen nach sollen es im Hause Gröhe einige wenige Beamte sein, die einen Erfolg des Patientenrechtskonzepts bei eHealth zu verhindern suchen und die „Gröhe-Akte“ im Gesetz mit allen Mitteln heraushalten wollen.
Das Aberwitzige daran ist, dass die elektronische Patientenakte nicht einmal auf die sogenannte Telematikinfrastruktur (TI) angewiesen ist. Gleichwohl kann sie aber mit der TI, wenn diese etabliert wird, kooperieren. So ergäbe sich eine Win-win-Situation zum Nutzen von Millionen Patienten, die ihr verbrieftes Selbstbestimmungsrecht auch im Digitalzeitalter auf Augenhöhe gewahrt wissen wollen.
Nach allen Regeln des Berliner Parlamentarismus sollten sich die Abgeordneten diese einmalige Chance zur Verbesserung des Patientenstatus nicht entgehen lassen und die Einführung der EPA vom Bundesgesundheitsminister im eHealth-Gesetzgebungsverfahren einfordern! Dann wäre schlussendlich die „Gröhe-Akte“, auch gegen den scheinbar unüberwindbaren Willen einiger weniger aus seinem Ministerium, trotzdem als historischer gesundheitspolitischer unumkehrbar in der Welt. Alles andere wäre für die Patienten eine gesundheitspolitische Bankrotterklärung!
Bildquelle: Wikipedia, Recke CDU Politischer Aschermittwoch 2014 Hermann Groehe 05
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