Geht es nach den Unionsparteien, dann werden wir in allernächster Zeit Schreckensbilder an der deutschen Grenze zu Österreich erwarten können. In den von den Christdemokraten geforderten Transitzonen werden sich tausende Menschen zusammengepfercht wiederfinden, die mit der Hoffnung kommen, in Deutschland Asyl, Sicherheit und Schutz zu erlangen. Hier sollen sie in wenigen Tagen Antwort bekommen, ob sie einreisen dürfen oder zurückgehen müssen, weil sie sich aus sogenannten sicheren Herkunftsländern auf den Weg gemacht haben. Tausende kommen täglich. Nach dem Vorbild der Transitverfahren an Flughäfen würde das zu massenhaften, gefängnisähnlichen Auffanglagern führen. Damit würde Willkommenskultur als kurzer Sommertraum verenden.
Das ganze wird inszeniert, weil die CSU ein Einwanderungsgesetz ablehnt und große Teile der CDU diese Haltung teilen. Dabei wären klare Einwanderungskriterien ein Schlüssel für Menschen aus „sicheren“ Herkunftsländern, um nach Deutschland zu kommen, ohne das sie das Asylrecht strapazieren müssen. Um nennenswerte zurückgehende Flüchtlingszahlen zu erreichen, müsste auch die Türkei zu einem sicheren Herkunftsland erklärt werden. Hätten dann auch Kurden, Homosexuelle oder verfolgte Christen kein Recht auf Asyl? Offenbar scheitert hier christliche Politik an der ideologisch aufgeblasenen konservativen Überzeugung, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Diese Überzeugung hat sich trotz demografischen Wandels seit Helmut Kohl, und trotz damit wachsender Altersarmut, in den Unionsparteien tapfer erhalten.
Dass sich Angela Merkel mit Seehofer auf die Einrichtung von Transitzonen verständigt hat, zeigt wie stark der Druck auf sie gewachsen sein muss. Seehofers Attacken gegen ihr „wir schaffen das“, was er als Ursache für den sich nach Deutschland orientierenden Flüchtlingsstrom ansieht, hat er als Rechts- und Verfassungsbruch denunziert. Natürlich hätte er den Weg nach Karlsruhe nicht angetreten, ihm reichten der verbale Lärm und das mediale Echo, das ihn bei Pegida unsterblich machen wird. Gleicher Erfolg könnte ihm nun im Blick auf die SPD gelingen, wenn sie bei ihrer Überzeugung bleibt, dass Transitzonen kein Ausweg sind, um das Flüchtlingsproblem einzuhegen. Das weiß natürlich auch Seehofer. Sollten sie aber am Nein der SPD scheitern, dann wäre ja, klar wer die Schuldzuweisung zu ertragen hätte; Für jede Turnhalle oder andere Unterkünfte, in denen Flüchtlinge eingewiesen würden, würde der SPD die Verantwortung zugeschoben. So schon 1993 geschehen bei der Einschränkung des Asylrechts, als die SPD eingeknickt war im Propagandasturm gegen die „Asylanten“. Bleibt dennoch die Hoffnung, dass ihr dies nicht wieder passiert.
Die große humane Herausforderung eines Flüchtlingsstroms, der mutmaßlich noch eine Weile anhalten wird, verbindet sich mit einer wachsenden rechtsextremistisch unterlegten Abwehr eines wachsenden Teils der Gesellschaft. Die Nachbildung eines Galgen, an dem ein Plakat deutlich machte, wie Angela Merkel und Sigmar Gabriel enden sollen, war bereits auf der jüngsten Montagsdemonstration in Dresden zu sehen. Niemand unter den Demonstranten, der daran sichtbar Anstoß genommen hätte. Die ausufernde Verrohung den verbalen Attacken gegen „Lügenpresse“ bei Pegida oder im Netz – „die Schienen nach Auschwitz liegen noch“ – zeigen, wie verwurzelt diese Bewegung mit nazistischen Reminiszenzen ist.
Bislang zählen die Polizeien der Länder, mit einem Schwerpunkt in Ostdeutschland, 500 Attacken gegen Flüchtlingsunterkünfte, oder auf Flüchtlinge und auf ehrenamtliche Helfer. Mit dem jüngsten Vorfall in Mecklenburg-Vorpommern gab es bislang elf Brandanschläge. Die Aufklärungsquote aber tendiert gegen Null Es bleibt also bei der Erfahrung, dass der rechtsextremistische, neonazistische Terror polizeiliche Aufklärung am wenigsten zu fürchten hat. Den NSU-Prozess in München, gegen Beate Zschäpe und mitangeklagte Helfer, in dem die Morde gegen zehn unschuldige Opfer und zwei Bombenanschläge aufgeklärt werden soll, hätte es nicht gegeben, wenn die Polizeien der Länder, der Staatsschutz, Landeskriminalämter, das Bundeskriminalamt, der Verfassungsschutz oder die Sonderkommission „Bosporus“ weiter verantwortlich für die Aufklärung dieser Mordtaten geblieben wären. Es waren schließlich die Täter selbst, die sich verraten haben, und die wie ihr großes Vorbild Adolf Hitler sich jeglicher Verantwortung durch Selbstmord entzogen haben.
Zum nicht geringen Erstaunen der Ermittler waren es eben nicht Familienangehörige, Brüder, Onkel, Neffen, mit natürlich nicht vorhandenen angeblich engsten Beziehungen im Drogenmilieu oder Waffenhandel, die über Jahre als Täter verdächtigt wurden. Bislang hat sich kein Ermittler dafür entschuldigt. Wie hieß es doch in einer Fallstudie des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg, dass und warum es sich nicht um deutsche, etwa rechtsextreme Täter handeln könne, „weil Mord in unserem Kulturkreis tabuisiert“ und die „Täter daher weit außerhalb“ zu suchen seien. Das zeugt von institutionellem Rassismus, der von der amtierenden Bundesregierung völlig außer acht gelassen wird. Entsprechend gering ist die Aufklärungsquote in unserem Land. 18O Tote, Opfer rechtsextremer Gewaltexzesse in Deutschland seit dem Fall der Mauer, haben daran nichts geändert. Dazu hunderte Verletzte, oft schwer traumatisierte Menschen, von denen manche berufsunfähig geprügelt wurden.
Nicht die Flüchtlinge sind es, die den inneren Frieden gefährden. Bis in die Mitte der Gesellschaft sickert rechtsextremes Gedankengut Es ist die gefährliche Mischung aus unbearbeitetem, historisch verankertem Fremdenhass, Rassismus, deutschtümelndes Kleinbürgertum, deren autoritäres Weltbild von der Sozialforschung bei 15 Prozent der Bevölkerung ausgewiesen ist. Dazu die soziale Spaltung der Gesellschaft, die jeden siebten Bürger unter die Armutsgrenze drückt. Manche empfinden die um Asyl nachsuchenden Flüchtlinge als Konkurrenten am unteren Ende der sozialen Leiter. Dann braucht es bei manchem nur noch das Angebot der einfachen Antworten mit rechtsextremer Gesinnung.
Gleichzeit wird wahrgenommen, dass die Reichen immer reicher werden und gesellschaftliche Verantwortung in den Chefetagen von Banken und global agierenden Großunternehmen ebenfalls gegen Null tendiert. Eine Folge ist die wachsende Verweigerung demokratischer Teilhabe. Die Lösungskompetenz von Politik und Parteien ist im Bewusstsein der Wähler im Sinkflug und entspricht der Wahlbeteiligung, die bei mancher Landtagswahl bereits unter 50 Prozent der Wahlberechtigten angekommen ist. Die Flüchtlinge, weltweit über sechzig Millionen, haben den Weichzeichner verschwinden lassen, mit dem wir auf Europa und Deutschland in Europa geblickt haben. Nie zuvor war die existenzielle Bedrohung der Europäischen Union so evident. Es schien dennoch, als ob dieses, noch immer nur zögerlich zusammen wachsende Deutschland, seiner historischen Erfahrung bewusst, ein neues Kapitel schreiben könnte. Ungezählte ehrenamtliche Helfer sind es, die das Bild Deutschlands veränderten. Es erregte Erstaunen und Bewunderung. Es wird sich zeigen, ob Politik dieser Qualität entsprechen kann. Nichts ist gewiss.
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