Mit Jubel und Hurra-Rufen waren sie in den 1. Weltkrieg gezogen, zum Teil verleitet oder besser verführt von der Propaganda, die auch die Medien nicht mehr die Wahrheit sagen ließ. Wer den Krieg kritisierte, wie der Dichter und Maler Hermann Hesse, wurde als vaterlandsloser Geselle hingestellt. Der Sieg schien, ja er musste ganz nah sein. Hatten doch die Deutschen die Franzosen im 70er Krieg, wie sie die wenigen Schlachten 1870/71 nannten, in wenigen Wochen vom Feld gefegt und waren in Paris eingezogen.
Nein, da trommelten die Kriegsfreunde, Weihnachten spätestens wären sie wieder zu Hause, die anderen würden den Sieg mit französischem Champagner an der Seine begießen. Das war das, was man heute den sogenannten Mainstream nennt. Den gab es schon damals. Und er lag zumeist auf der Linie der Regierenden. Kritik war nicht erwünscht. Und dann passierte das Unfassbare: Man blieb in den Grabenkämpfen stecken, Tote und Verwundete waren die Folgen, der Krieg zeigte sein brutales, schreckliches Gesicht. Trauer machte sich breit, Betroffenheit, die Sorge um die Liebsten, ob sie denn zurückkehren würden.
Heute, 100 Jahre danach, sieht man vieles anders, nüchterner, weiß man mehr. Man weiß, wie sie alle in Europa in den Krieg reingeschlittert waren, weil sie in der Sorge lebten, man könnte ihn zu spät führen und dann wäre der andere, der Russe, der Franzose oder eben der Deutsche der Überlegende. Deshalb musste der Krieg also begonnen werden. So ein Wahnsinn! Plötzlich standen sie im Feld, Millionen von Soldaten und schossen sich gegenseitig Arme und Beine weg oder sich gegenseitig über den Haufen. Erst als sie an der Front waren, bekamen auch die größten Kriegs-Freunde die Schrecken am eigenen Leib zu spüren. Ja, was hatten sie denn geglaubt: Dass der Krieg etwas Schönes sei, etwas Befreiendes? Von was denn?
Krieg zerstört, tötet, vergrößert den Haß, Krieg macht alles kaputt. Das ist heute nicht anders und sollte bei allen Analysen über die Krisen in der Ukraine oder in Syrien, in Irak, Afghanistan, Gaza, irgendwo in Afrika und wo auch immer auf der Welt bedacht werden. Man kommt sehr schnell in den Krieg und nur schwer wieder heraus. Bedenke das Ende.
1914 war Bonn eine überschaubare Stadt, beschaulich, schön gelegen am Rhein, eine reiche Kommune. Die Soldaten wurden hier mit Musik und Fahnen in die Züge gesetzt, die sie an die West-Front fuhren. Das war ja das Merkwürdige an diesem Krieg, dass er zum größten Teil nicht in Deutschland stattfand. An der Front in Belgien und in Frankreich wurde gekämpft und geschossen, gestorben und verwundet. Und die Verwundeten kehrten mit Zügen zurück nach Bonn, wo sie in Lazaretten untergebracht wurden, in Lazaretten, die überall in der Stadt eingerichtet worden waren, in allen Krankenhäusern, in öffentlichen Gebäuden wie Schulen und in der Beethovenhalle.
Auf der benachbarten Insel Nonnenwerth gab es ein Lazarett im 1. wie auch im 2. Weltkrieg, Nonnenwerth ist die Rhein-Insel zwischen Rolandswerth und Bad Honnef. Auch das Museum König wurde beschlagnahmt und als Lazarett eingerichtet. Später war dieses Museum die Geburtsstätte der neuen deutschen, nennen wir sie Bonner Demokratie. Dort versammelte sich am 1. September 1948 der Parlamentarische Rat. Konrad Adenauer nutzte das Museum 1949 für zwei Monate als seinen Amtssitz. Andere räumliche Möglichkeiten gab es in Bonn kaum, weil die Gebäude größtenteils zerstört waren. Durch den 2. Weltkrieg.
Zurück zum Beginn des 1. Weltkriegs in Bonn: Altersheime werden zu einem Lazarett umfunktioniert, die Not ist groß. Viele müssen anpacken. Wohlhabende Bonner stellen Teile ihrer Häuser samt Personal zur Verfügung, damit die Verwundeten einen Platz finden, wo sie medizinisch versorgt werden können. Darunter sind viele Bein- wie Arm-Amputierte, Soldaten mit schweren Schussverletzungen. Man kann die Prothesen, die es damals gab, bei der Ausstellung über den 1. Weltkrieg und die Zeit davor und danach auf der Zeche Zollverein in Essen in einer Vitrine sehen. Schaurige Bilder, aber wahr.
Private Initiativen sponsern einen Lazarett-Zug, damit Verwundete von der Front geholt werden können. In der Stadt werden sie dann mit umgebauten Straßenwahnwagen in die Lazarette transportiert. Insgesamt spricht die Statistik von 67.000 Verwundeten, die in ihren Stadtgrenzen versorgt und behandelt wurden. Allein auf dem Bonner Nordfriedhof liegen am Ende des Krieges 600 deutsche und feindliche Soldaten. Pardon, aber so hieß das damals auf beiden Seiten der Front. Der Krieg ließ auch Bonn nicht unberührt. Er hinterließ seine schrecklichen Spuren.
Bonn, eine Lazarett-Stadt. Ja, weil die Stadt sehr nah an der Grenze und damit an der West-Front liegt. Sehr früh müssen die ersten Züge mit Verwundeten am Bonner Bahnhof gelandet sein. Sanitäter und Ärzte in ihren weißen Gewändern müssen das Stadtbild mitgeprägt haben. Berichte darüber gibt es bisher kaum. Das Archiv der Stadt arbeitet daran, erforscht die Quellen, sucht nach Augenzeugenberichten. Aber wie war das damals? War es nicht so, dass der Sieges-Taumel fast jede Kritik im Keime ersticken ließ? Und wenn Hilfe nötig war, wurde das Volk aufgerufen, sie zu leisten für Kaiser, Volk und Vaterland und gegen die angeblich so bösen Feinde, die ja Deutschland vernichten wollten. Da musste man zusammenstehen. Jeder Schuß ein Russ, jeder Tritt ein Brit und jeder Stoß ein Franzoß. Man könnte diese üble und auch ziemlich blöde Kriegs-Propaganda fortführen, aber sie bestimmte die öffentliche Meinung. Übrigens verhielten sich die anderen, die Franzosen und Briten, nicht besser.
Der kleine Mann, der Bauer im Bonner Umland, die Mütter von Söhnen im Kriegsalter, sie sahen den Krieg ganz anders, nämlich mit großen Ängsten. Würde der Sohn, der Vater der Kinder zurückkommen? Der Bauer sorge sich im Sommer 1914 um die Ernte. Wer sollte sie einbringen, wenn alle im Feld waren, irgendwo in Belgien und bald in Frankreich?
Manches Feld ist noch ziemlich unbeackert, räumt der Leiter des Bonner Archivs, Dr. Norbert Schloßmacher ein. Dort arbeitet man an einer Gesamt-Darstellung über den Krieg und die Stadt Bonn. Die Umstände damals haben manches verhindert. Und die Quellenlage heute ist schwierig, die zumeist gefärbten Berichte von der Front oder zu Hause haben nur bedingte Aussagekraft. Welcher Sohn wird schon seiner Mutter daheim die schreckliche Wahrheit erzählen und sie verunsichern? Und die Zeitungen schrieben, was die Zensur ihnen erlaubte oder was die Zeitung selbst für die Wahrheit hielt. So schildert es Dietrich Höroldt in einer Einleitung zum Tagebuch der Anna Kohns aus Bonn-Poppelsdorf. „Hoffentlich kommen alle zurück“, schreibt sie und ergänzt: „Hoffentlich ist´s von kurzer Dauer“. Wenige Wochen später ist sie vom Sieges-Taumel mitgerissen: „Wenn es so weitergeht wie bisher, ist in einem Monat Schluss.“ Aber da, es war der 1. Oktober, hatte der Krieg an der Marne seine erste Wende erfahren, die aber die Bevölkerung nicht mitbekam, weil die Berichterstattung darüber die wahre Lage verschleierte. Wenige Monate später ist Anna Kohns in großer Sorge: „Mag unser Herrgott helfen, sonst sind wir alle verloren.“
Der Krieg ist ein schreckliches Werk von Menschen. Er findet nicht hier statt, sondern jenseits der Grenzen. Und auch deshalb bleibt vielen Menschen manches Grauen verborgen. Dazu gehört, dass deutsche Soldaten- waren es Bonner?- nach der ersten Feindberührung ganze Ortschaften wie z.B. gerade heute vor 100 Jahren am 22. August 1914 Porcheresse und Bièvre in Belgien vollkommen vernichteten und sich auch anschließend schwerer Kriegsverbrechen schuldig machten. Nein, die Deutschen waren nicht die Allein-Schuldigen, aber sie waren auch keine Unschuldslämmer. Taten, von denen man damals nichts erfuhr und von denen viele auch nicht wissen wollten. Später erfuhren wir die bittere Wahrheit von den Zerstörungen in den Nachbarländern.
Zu den Schwärmern vom Krieg zählten manche deutsche Dichter und Künstler. Darunter der Heimatdichter Hermann Löns. „Ist das eine herrliche Zeit. Mensch, das Leben ist so schön jetzt, dass es sich lohnt zu sterben“. Löns muss darauf nicht lange warten, er stirbt am selben Tag wie August Macke, der große Sohn der Stadt Bonn, der auch an den Sinn dieses Kriegs glaubt und seine reinigende Form. Franz Marc, der andere große Maler dieser Zeit, betrauert den Tod des Freundes: “August Macke ist tot. Der gierige Tod ist um einen Heldentod reicher, aber die deutsche Kunst um einen Helden ärmer.“
Franz Marc war begeistert- „Ich stehe mit pochendem Herzen am Anfang der Dinge“- in dieses Inferno gezogen, auch er hatte sich freiwillig zum Krieg gemeldet. „Gibt es einen einzigen Menschen, der diesen Krieg ungeschehen wünscht“. So schwärmt er in einem Brief an Kandinsky am 26. September 1914, just an dem Tag, als Macke fiel. „Ich selbst lebe in diesem Krieg. Ich sehe in ihm den heilsamen wenn auch grausamen Durchgang zu unserem Ziele; er wird die Menschen nicht zurückwerfen, sondern Europa reinigen, bereitmachen.“
Aber auch Marc erlebt das Grauen des Krieges und „zwischen den grenzenlosen schaudervollen Bildern der Zerstörung“ hat „der Heimkehrgedanke einen Glorienschein, der gar nicht lieblich genug zu beschreiben ist.“ So Marc am 4. März 1916 in einem Brief an seine Frau, nachdem er erfahren hat, dass er nach Hause darf. Am Nachmittag desselben Tages fällt er bei einem Melderitt in der Nähe von Verdun. Kandinsky hatte Marc schon Jahre zuvor, 1912, prophezeit, es werde Berge von Leichen geben. Am Ende waren es 17 Millionen Menschen.
Bildquelle: „Louvain Library WWI“ von N.J. Boon – from Project Gutenberg eBook, The New York Times Current History: the European War, February, 1915. http://www.gutenberg.org/files/18880. Lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons