Vor über einem Jahr wurden Corona-Patienten aus Italien nach Deutschland geflogen. Selbstverständlich, damals, wie immer, konnte man sagen. Deutschland die Lokomotive. Das war einmal. Das Bild hat sich deutlich verändert. Seit einiger Zeit werden deutsche Covid-19-Kranke nach Italien geflogen. Das einstige Schlusslicht in Europa fährt voran, Deutschland schaut hinterher. Das Land, das einst die Effektitivät verkörperte, hinkt hinterher, steht sich quasi selbst im Weg, stolpert durch eine Pandemie, bei der es doch um Leben oder Tod geht. Und ausgerechnet Italien, das gerade von den Deutschen immer wieder gern belächelt wurde, ein Land, das die Deutschen lieben wegen der Sonne, des Weins, der Toskana, wegen seiner Leichtigkeit, zeigt den Nachbarn im Norden bei Corona, wie man es unter Kontrolle halten kann. Die einstige Apotheke der Welt scheint nicht in der Lage zu sein, dem Virus die Stirn zu bieten.
Was ist passiert, schief gelaufen? Wenn wir auf die Inzidenz-Zahlen schauen, befinden sich unsere beiden Länder auf zwei Planeten. Im Schnitt hat Deutschland eine Inzidenz von rund 450, während Italien einen Wert hat von rund 185. Oder nehmen wir die Impfungen: die Quote in Italien beträgt knapp 77 Prozent der Bevölkerung, die zweimal geimpft ist, ein Ergebnis, das Deutschland gerne hätte, aber weit darunter liegt mit rund 67 Prozent. Der Vergangenheit gehören auf dem Stiefel die Tage mit den Bildern von Bergamo an, die damals die halbe Welt unter Schock setzten, das Militär mit seinen Fahrzeugen musste die Särge mit den Leichen davon fahren, es schien drüber und drunter zu gehen, auf den Intensivstationen bot sich ein Bild einer Katastrophe. Nochmal gefragt: Und heute? Was hat Italien gemacht, das es möglich war, die Pandemie besser in den Griff zu kriegen als ausgerechnet Deutschland, wo die Medizin gegen Covid erfunden wurde mit öffentlichen Geldern?.
Eines kann man als Versuch der Erklärung anfügen: in Deutschland war im Sommer Wahlkampf, die Parteien waren mit sich beschäftigt, um ihren Platz an der Sonne in Berlin zu sichern. Pandemie-Stimmung wurde verdrängt, durfte nicht sein, weil eben Wahlkampf war – wie gesagt, ein im übrigen windiges Argument, geht es doch bei Corona um Leben und Tod. Und was soll eigentlich im Wahlkampf anderes gemacht und gesagt werden, als den Kampf gegen Corona zu führen. Ganz anders die politische Lage in Italien zu der Zeit. Seit Februar 2021 führt die Regierung Mario Draghi, ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), das Land Italien, das lange unregierbar schien und wenig auf die Reihe kriegte, wie man in Deutschland zu sagen pflegt.
Bei seinem Amts-Antritt gab es nur eins: Impfen, impfen, impfen. Und Mario Draghi stellte die Weichen, damit es möglich wurde. Er setzte an die Stelle mancher schwachen Kommissare einen General und der machte, was er gelernt hatte: Er machte einfach und redete nicht lange um den Brei herum. Und das in Italien. Draghi hat, um seinen Erfolg zu begreifen, den Stil der Kommunikation grundlegend verändert. Vorhaben werden nicht länger über Twitter und Facebook bekannt gemacht, sondern in die Praxis umgesetzt. Und über offizielle Kanäle und Pressekonferenzen der Öffentlichkeit mitgeteilt. In Deutschland wird stattdessen diskutiert, lanciert, in Frage gestellt, werden Bedenken geäußert, wird aus- oder eingeschlossen- alles mit dem Ergebnis, dass kaum einer der Menschen draußen weiß, was los ist, wer wofür ist, was richtig ist, nötig.
Nehmen wir nur die Art und Weise, wie die Impfkampagnen in beiden Ländern gelaufen sind. Draghi hat die Verantwortung auf sich genommen, hat klar gestellt, was zu machen ist, welcher Impfstoff wo und in welchem Tempo zu verabreichen ist. Punkt. In Deutschland folgte jedem Ja ein Aber und eine sehr widersprüchliche Kommunikation, die die Leute verwirrte. Beispiel: die sogenannte Ministerpräsidenten-Konferenz, eine Institution, die es gar nicht gibt laut Verfassung, dazu die Kanzlerin, die auch keine Klarheit schaffte, ihre Mitstreiter in der Regierung wie Jens Spahn, der Bundesgesundheitsminister, der gerne mehr werden wollte und dabei seine eigentliche Aufgabe vergass. Dazu Armin Laschet, der im Wahlkampf war und zögerte und zauderte, dann sein bayerischer Kollege und Kontrahent Markus Söder, der sich mal hinter Laschet stellte, nicht aber seine Meinung tolerierte, sondern versuchte, aus seiner Niederlage einen späten Sieg zu machen. Corona war nicht ihr eigentliches Thema, sondern wer Kanzler wird. Wird es besser in Deuschland, wenn Olaf Scholz gewählt ist, wenn seine Minister vereidigt sind? Es gibt, das hat er wohl kopiert bei Draghi, einen General, der einen neu eingerichteten Krisenstab im Kanzleramt leiten wird. Dort soll das Corona-Krisenzentrum entstehen. Wenn das nur nicht zu Kompetenz-Querelen führt mit dem neuen Gesundheitsminister, dessen Namen wohl nur Scholz kennt. Und noch ein Wort zu Scholz und Draghi: Wenn der Kanzler in spe schon das mit dem General in Rom klaut, sollte er vielleicht mehr Mut zeigen im Kampf gegen Corona. Draghi hat unpopuläre Entscheidungen getroffen, zum Beispiel 3-G am Arbeitsplatz seit dem 15. Oktober. Und das funktioniert. Jetzt ist Scholz an der Reihe. Es klingt nicht gerade wie ein Macher, was Scholz gestern zur Einführung der allgemeinen Impfpflicht gesagt hat: Er ist dafür, hat er gesagt, und gibt die Abstimmung im Bundestag über das Gesetz frei. Das mag man noch tolerieren, aber warum wartet er bis Ende Februar/Anfang März? Virologen warnen vehement, sie fordern sofortige Entscheidungn. Sofort heißt jetzt oder spätestens dann, wenn die Regierung Scholz steht. Also in gut einer Woche. Es eilt. Das Thema Corona verträgt keinen weiteren Aufschub.