Am Samstag, 29. Juni, erwartet Essen die größten Demonstrationen, die die Stadt nach dem Krieg erlebt hat. Die Polizei rechnet mit rund 80.000 Teilnehmern an den Protestaktionen gegen die AfD. Die Rechtsextremisten wollen ihren Parteitag in der Essener Gruga-Halle abhalten – und Teile der Demonstranten wollen sie daran hindern.
Bereits im Vorfeld hatte es Auseinandersetzungen – auch juristischer Art – um den Parteitag gegeben. Die Stadt hatte versucht, die unappetitlichen Mieter der Halle loszuwerden. Der Vertrag war schon im Vorjahr unterschrieben worden, die Kommune konnte den Kontrakt mit den ungeliebten Gästen nicht einfach verweigern. Schließlich ist die AfD immer noch nicht verboten.
Nicht zuletzt, weil der politische Druck aus der Zivilgesellschaft gegen den AfD-Aufmarsch immer größer geworden war, versuchte es die Stadt dann kurz vor dem Parteitag mit einem juristischen „Trick“: Die AfD sollte im Vorfeld schriftlich versichern, dass auf dem Parteitag keine strafbaren Reden gehalten und Nazi-Parolen verbreitet werden. Andernfalls seien Geldbußen fällig. Hintergrund dieses Antrags waren vor allem Äußerungen des Thüringer Faschisten und AfD-Funktionärs Björn Höcke, der wiederholt die SA-Parole „Alles für Deutschland!“ ausgerufen hatte – und dafür inzwischen auch verurteilt worden ist. Erwartungsgemäß weigerte sich die AfD, auf diesen Essener Vorstoß einzugehen. Schließlich mussten die Gerichte entscheiden. Und hier setzte sich die Nazi-Partei juristisch durch, was viele Beobachter im Vorfeld befürchtet hatten.
Doch nun will die Stadt unter CDU-Oberbürgermeister Thomas Kufen umso mehr Flagge zeigen – im wahrsten Sinne des Wortes. Die rund 600 AfD-Delegierten werden, so sie die Halle erreichen, von jeder Menge der bei ihnen so verhassten Regenbogen-Fahnen begrüßt, die dort gehisst werden. Der christdemokratische Oberbürgermeister selbst redet auf einer der geplanten Kundgebungen – auch das ein Zeichen, dass sich die Zivilgesellschaft im Protest gegen die Rechtsextremisten nicht spalten lässt – trotz aller Versuche, den Widerstand als alleinige Veranstaltung von Linken und Linksradikalen zu brandmarken.
Demonstrativ stellen sich auch die Unternehmen in Essen, der Stadt der Großkonzerne, an die Seite der Demonstranten. Alle diese Firmen leben von ihren internationalen Beziehungen, sie alle haben weltweit Mitarbeiter, die Belegschaften in den Konzernzentralen umfassen Menschen aller Hautfarben, Religionen, Kulturen und sexuellen Ausrichtungen. Ein Rückfall in aggressiven Nationalismus, eine Abkehr von der EU und Rassismus wären schon aus rein wirtschaftlicher Sicht eine Katastrophe für diese Konzerne.
Der Eon-Konzern mit seinen weltweit rund 75.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat seine Zentrale direkt gegenüber der Essener Gruga-Halle und will das markante Gebäude beim Parteitag in buntes Licht tauchen. Entsprechende Bekenntnisse zu Europa, Freiheit, Menschenwürde und Demokratie sollen erscheinen – was, das blieb bis zuletzt geheim. Schneidend klare Worte findet Evonik-Chef Christian Kullmann für die Politik der AfD. In einem Interview, das unmittelbar vor dem Parteitag in der WAZ erschienen ist, nennt er die die Forderungen der Rechtsextremisten „profan, plump, primitiv und falsch“ – wohlwissend, dass auch unter den gut 30.000 Mitarbeitenden des Konzerns manche und mancher das Wahl-Kreuz bei der Nazi-Partei macht. Klartext will Kullmann auch als Redner bei der Kundgebung sprechen.
Es gibt also Grund genug für die Essener Zivilgesellschaft, auf den Widerstand gegen die Rechtsextremisten stolz zu sein. Doch leider hetzen Rechtskonservative seit Wochen gegen den geplanten Protest – auch in Teilen der örtlichen Presse. Für diese Protagonisten scheint nicht der Aufmarsch und das Erstarken der Faschisten das Problem zu sein, sondern der Protest dagegen. Da wird immer wieder auf die Rechte der ja nicht verbotenen AfD verwiesen und auf die angeblich links-grün unterwanderten Organisatoren des Protestes. Und schließlich auf angebliche Internet-Aufrufe von gewaltbereiten Links-Autonomen, den Parteitag in Essen zu „smashen“, das heißt zu zertrümmern. Gezielt wird bei den Anwohnern und anderen Essener Bürgern mit dieser Berichterstattung Unsicherheit und Panik geschürt – ein WAZ-Autor fabuliert gar von einer „Schneise der Verwüstung“, die dem Stadtteil Rüttenscheid drohe. So spielt man der AfD bewusst in die Karten.
Wie es aussieht, werden sich Zehntausende dennoch nicht davon abbringen lassen, gegen die AfD Flagge zu zeigen. Bunt, laut und friedlich. Das wird von den Organisatoren immer wieder betont. Und – ja – teils auch mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams. Viele in Essen glauben, dass im Kampf gegen Faschisten, die die „Remigration“, das heißt die Deportation von Millionen Menschen fordern, schon mal mit friedlichen Mitteln Straßen versperrt und Versammlungshallen blockiert werden dürfen. Das mag im Einzelfall nicht legal sein, legitim wäre es allemal.