Es mag ja sein, dass den einen oder anderen die Zaghaftigkeit, das Zögern und Zaudern des Bundeskanzlers Olaf Scholz(SPD) stört oder gar nervt. Mir ist, ich wiederhole mich an dieser Stelle, ein solcher Regierungschef lieber, der abwartet, nachdenkt, abwägt als jemand, der zuschlägt und sofort weiß, was in einer Krise wie dieser zu tun ist. Ja, und dass wir in einer Krise leben, mindestens in Europa, wenn nicht schon darüber hinaus, ist nicht zu bestreiten. Der Krieg Putins gegen die Ukraine, unerbittlich geführt, unmenschlich, mit brutaler Härte auch gegen die Zivilbevölkerung, dieser völkerrrechtswidrige Krieg macht Angst vorwiegend in den Kreisen der älteren Bevölkerung.Wer garantiert denn, dass er in der Ukraine bleibt und sich nicht ins übrige Europa ausweitet? Es sind nur ein paar Hundert Kilometer.
Die Älteren haben, wie ich Jahrgang 1941, die Sirenen noch im Ohr, die die Familien aus den Betten trieben, um hastig in den nahe gelegenen Bunker zu eilen. 1944, 1945. Als Kind mit drei oder vier Jahren weiß man nicht so recht, was gerade los ist, man weiß nur, die Sirenen verheißen nichts Gutes. Wobei ich für mich sagen muss, dass bei uns, am Rande des Ruhrgebiets, kaum Bomben abgeworfen wurden. Die nächsten Zechen waren ein paar Kilometer weit entweder in Datteln oder Ickern in Castrop-Rauxel. Wir hörten nur den Lärm der britischen oder amerikanischen Fliegerstaffeln, die in einigen Hundert Metern Höhe über unsere Köpfe hinwegdonnerten, um sich langsam den Zielen zu nähern. Eine Brandbombe hat unser Haus getroffen, der Schaden hielt sich in Grenzen, weil das Feuer sofort gelöscht werden konnte. Andere Bomben, das erfuhr ich später, warfen die Alliierten wohl einfach in Waldstücke ab, wenn sie auf dem Rückflug waren, um überflüssiges „Gepäck“ loszuwerden.
Sirenen und zerstörte Häuser
Meinen Eltern hat der Krieg zugesetzt, wie den Nachbarn auch, wie allen Menschen. Der Krieg beschäftigte ihr Leben, dauernd Sirenen, völlig zerstörte Häuser in den Städten, immer wieder Brände, an ein normales Leben war nicht zu denken. Das Nötigste einzukaufen in den wenigen Stunden der Ruhe nahm ihre Zeit in Anspruch. Und immer mussten sie bereit sein, den nächsten Bunker aufzusuchen. Später, nach dem Krieg, haben sie darüber geredet. Man hörte ihre Angst aus ihren Erzählungen. Dazu die Nazi-Diktatur, die örtlichen braunen Herrschaften, die alles kontrollierten. So haben es die Eltern später erzählt. Heute denke ich an diese Gespräche, die selten genug stattfanden. Wenn ich die Bilder aus der Ukraine sehe, kann ich immer nur den Kopf schütteln: Furchtbar, warum macht Putin das? Sinnlose Zerstörung. Alles kaputt, die Menschen müssen schauen, dass sie in diesem Chaos was zu essen haben, dass sie leben, überleben in Ruinen oder fliehen.
Wer heute der Debatte über schwere Waffen in die Ukraine zuhört, muss den Eindruck gewinnen, als könnten es einige gar nicht erwarten, Krieg zu spielen. Ja, ich sage bewusst zu spielen, wissend, dass es bitterer Ernst ist. Es fällt auf, wie kürzlich zu sehen und zu hören, dass ein Brigade-General a.D. mehr vor dem Einsatz dieser Waffen warnte als andere Teilnehmer der TV-Diskussion. Vor allem die Grünen, als pazifistische Bewegung 1980 gegründet, entpuppen sich heute als die lautesten Rufer nach schweren Waffen. Weil sie nicht wissen, was diese Waffen anrichten können, dass sie Tod und Zerstörung mit sich bringen? Anton Hofreiter ist hier das beste Beispiel, ein Linker bei den Grünen und plötzlich einer, der jedes Waffensystem auswendig gelernt hat und ohne Versprecher vorträgt. Klaus Schrotthofer, Journalist und Herausgeber der Neuen Westfälischen in Bielefeld, nannte ihn und die beiden anderen Politiker von der SPD, Roth, und der FDP, Strack-Zimmermann, die „Troika der Enttäuschten“, gemeint, sie sind halt nichts geworden in der neuen Ampel-Regierung, ohne Ministeramt geblieben. Starker Tobak, aber nicht falsch.
Ausgerechnet die Grünen
Ausgerechnet die Grünen, sie reden von der neuen Realität. Als wenn schwere Waffen die Lösung der Probleme wären oder wie es Gabor Steingart formulierte: „Mit Waffen kann man Krieg führen, aber keinen Krieg gewinnen.“Man denke an alte Zeiten der Grünen, an das Jahr 1999, als der Balkan-Krieg tobte, es um den Kosovo ging und die Nato sich anschickte, Ziele in Serbien zu bombardieren. Auf dem Grünen-Parteitag in Bielefeld warf ein Kriegs-Gegner dem damaligen Außenminister Joschka Fischer einen Farbbeutel ans Ohr und verletzte sein Trommelfell. Es war ein hitziger Parteitag, auf dem es hoch herging zwischen Gegnern und Anhängern eines Bundeswehr-Einsatzes. Und heute? Sind sie einfach dafür, ohne großen Streit. Im neuesten Deutschlandtrend sprechen sich 67,25 vh der Anhänger der Grünen für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aus. Die Grünen-Minister Baerbock und Habeck entsprechen diesem Trend ihrer Anhänger. Das Gesamt-Bild der Bevölkerung sieht anders aus: 45:55 vh, Gegner und Befürworter. Besonders die SPD-Anhänger tun sich schwer bei diesem Thema. Ich kann es verstehen.
Die Eskalationsspirale wird weiter und weitere gedreht. Zwar will niemand in Deutschland, dass wir uns aktiv an dem Krieg beteiligen, Bundesregierung und Unions-Opposition sind sich einig, dass es dabei bleiben soll: die Nato soll nicht ins Kriegsgebiet. Aber immer mehr Waffensysteme aus Deutschland, den USA und dem übrigen Europa werden in die Ukraine geliefert, ukrainische Soldaten müssen im Ausland, auch bei uns, an den für sie fremden Waffen ausgebildet werden. Näher und näher rücken wir an die Frontlinie heran. Putin droht, auch mit Atomwaffen, Olaf Scholz hat eine entsprechende Sorge ausgedrückt. Sein Zögern in der Waffen-Frage wurde ihm hart vorgeworfen. Noch einmal: Ich kann sein Zögern verstehen. In der Bundesrepublik galt mal der Grundsatz: Keine Waffen in Krisengebiete. Davon sind wir meilenweit entfernt. Gern sprechen die Freunde der neuen deutschen Realität von der gewachsenen Verantwortung des Landes. Sieht sie so aus?
Niemand kennt die Lösung
Deutschland will nicht Kriegspartei werden. Darüber scheint Einigkeit zwischen Ampel-Regierung und Union. Wer aber die Debatte in den Medien verfolgt, wird misstrauisch, weil der Ton namhafter Medien gegenüber dem Bundeskanzler scharf geworden ist, unüberhörbar wird er heftig für seine zögerliche Haltung kritisiert. Als wüssten sie die Lösung! Sie wissen sie nicht, ich auch nicht, Scholz nicht, niemand kennt sie. Aber die Gefahr eines nuklearen Schlages besteht. Wir trauen es Putin zu, weil wir ihn für unberechenbar halten, vor allem dann, wenn er diesen Krieg verlieren sollte. Was ist eigentlich gegen den Satz von Scholz einzuwenden: „Wir treten dem Leid, das Russland in der Ukraine anrichtet, mit allen Mitteln entgegen, ohne dass eine unkontrollierbare Eskalation entsteht, die unermessliches Leid auf dem ganzen Kontinent, vielleicht sogar in der ganzen Welt auslöst.“ Der Philosoph Jürgen Habermas spricht in seinem Essay in der SZ von einem „schrillen, von Pressestimmen geschürten Meinungskampf über Art und Ausmaß der militärischen Hilfe für die bedrängte Ukraine“.
Und auch, wenn ich gegen schwere Waffen bin, gegen diese Art der Debatte, so beschwert mich doch wie Millionen andere das, was ich täglich über das Leid der Menschen in der Ukraine in den Zeitungen lese und was ich im Fernsehen an Bildern und Reportagen sehe und höre. Jeder Tote erschüttert uns, jedes Kriegsverbrechen empört uns und natürlich gibt es den Wunsch, etwas dagegen zu tun, zu helfen, Flüchtlinge aufzunehmen. Ja, auch dies wird wohl passieren, wenn der Krieg, was man befürchten muss, noch länger dauert: wir werden wieder mit Putin reden müssen, ob uns das passt oder nicht. Mit einem Kriegstreiber, mit einem, den wir am liebsten vor Gericht stellen möchten, was aber der Realität nicht entspricht. Mit wem sonst wollen wir verhandeln, wenn es eine Chance auf einen Waffenstillstand geben sollte?
Und natürlich schwingt hier wie da in Europa die Sorge mit, ein wahnhafter Putin könnte erst die Ukraine und danach Georgien angreifen oder die Republik Moldau. Was tun wir dann? Können wir überhaupt was tun? Und was wird mit dem Baltikum, mit Teilen des Balkan, wenn Putin seine größenwahnsinnigen Ziele ausweiten würde? Dann greift Artikel 5 der Nato, der besagt Beistandspflicht. Das wäre der Weltkrieg. Riskiert Putin das, weil er davon ausgeht, wenn Russland den Krieg verliert, ist es vorbei mit seiner Herrschaft? Wohin man schaut und hört, überall macht sich die Ungewissheit breit. Und ist nicht in solchem Falle „äußerste Vorsicht und Zurückhaltung“ geboten, wie ich das in SZ gelesen habe in dem Stück von Habermas, der Peter Graf Kielmansegg in der FAZ zitierte?
Bundeswehr nicht ruinieren
Wir sprechen seit dem 24. Februar von einer Zeitenwende, die die Konservativen bejubelt haben, weil der Bundeskanzler Scholz sie zum Anlass einer großen Rede nahm und ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ankündigte und zusätzlich betonte, man werde den Militär-Etat auf zwei Prozent des Bundes-Etats ausweiten und notfalls darüber hinaus. Ob die, die am lautetesten applaudierten, wissen, wieviel Geld allein die Haushalts-Ausweitung macht? Weit über 60, vielleicht gar 65 Milliarden Euro jährlich für die Bundeswehr, ein Batzen Geld, der irgendwoher genommen werden muss. Richtig ist, dass wir die Bundeswehr nicht weiter ruinieren dürfen, wie das vor allem in der Zeit der Kanzlerschaft von Angela Merkel und den CDU- und CSU-geführten Verteidigungsministerinnen und -ministern geschah. Zu nennen wären hier ein gewisser von und zu Guttenberg, Ursula von der Leyen, Annegret Kramp-Karrenbauer. Das muss die Union, die jetzt den SPD-Kanzler attackiert, vor allem Friedrich Merz, zur Kenntnis nehmen. Natürlich war die SPD dabei, aber sie war der kleinere Koalitionspartner der CDU-Dauerkanzlerin.
Überhaupt Merz, der auf die politische Bühne zurückgekehrte Christdemokrat, Partei- und Fraktionschef. Sein Verhalten in der Debatte über schwere Waffen war mehr als gewöhnungsbedürftig. Die Union hat der Ampel-Regierung ihr Ja zu diesen Waffensystemen einiges abgerungen, das ist auch in Ordnung. Aber wenn man sich schon staatstragend verhalten will, indem man der Regierung in wichtigen Punkten eine breite Mehrheit verschafft, sollte man dies nicht unter dem von Merz ausgelösten Getöse gegen Scholz tun. Mich hat auch gestört, dass der Regierungschef in Japan weilte, während hier in Berlin eine wichtige Debatte über ein hoch umstrittenes Thema anstand. Der Kanzler brüskiert das Parlament, das er aber braucht. Ist das jetzt arrogant oder unverschämt? Jede Stimme war wichtig, gerade die des Kanzlers, auch wenn am Ende eine breite Mehrheit zustande kam. Und hat nicht derselbe Scholz vor Tagen seine Außenministerin Baerbock von Brüssel nach Berlin zitiert, um an einer Abstimmung teilzunehmen? Darüber mit Scholz abzurechnen, was geboten ist, hätte er sich jetzt verkneifen müssen. Weil sie seine eigentliche demokratische Leistung verdeckt. Da gibt es andere Gelegenheiten. So geriet sein Auftritt zur plumpen Partei-Rhetorik, um Punkte zu sammeln für die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in NRW. Ja Herr Merz, Gardemaß setzt eine gewisse Länge voraus, aber keine Größe.