Es ist vollbracht. Christoph Peters, der seit langem in Berlin lebende Autor vom Niederrhein, hat seinen Plan realisiert, auf den Spuren Wolfgang Koeppens die Gegenwartsgesellschaft zu vermessen, in einer literarischen Trilogie, nach dem Vorbild des Chronisten der „Bonner Republik“. Nach „Der Sandkasten“ (2022) und „Krähen im Park“ (2023), einem Sittenbild der politisch-medialen Kungelei an der Spree und einem tiefsinnigen Blick auf die sozialen Bedrängnisse in der Corona-Pandemie, erschien jetzt zum Abschluss des ambitionierten Dreisprungs der Roman „Innerstädtischer Tod“, eine wahlweise bittere oder satirische Abrechnung mit den immerwährenden Großthemen Kirche und Kunst, Familie und Politik im Schatten des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.
Peters nimmt zwar schon in den Titeln an Koeppens Büchern („Tauben im Gras“, „Das Treibhaus“, „Der Tod in Rom“) Maß, aber es handelt sich nicht um ein strenges intertextuelles Spiel – als Leser von Peters muss man Koeppen nicht unbedingt kennen (allerdings erhöht die Lektüre des Altmeisters das Vergnügen an den aktuellen Bezügen zur Nachkriegszeit). Das Personal hat der Autor komplett ausgetauscht, keine der Figuren aus den ersten beiden Romanen taucht dieses Mal auf. Zentral sind der aufstrebende Künstler Fabian Kolb, Sproß einer Krefelder Krawattenmanufaktur, und Hermann Carius, der intellektuelle Kopf der „Neuen Rechten“ im Bundestag, unschwer als Wiedergänger von AfD-Veteran Alexander Gauland zu dechiffrieren.
Erneut gelingt es Peters, Fiktionalität geschickt mit dokumentarischen Elementen zu verknüpfen. Er begibt sich mitten hinein ins Getümmel der gesellschaftlichen Kontroversen um Rassismus und Nationalismus, um Religion und Ideologie, um Transformation und „Zeitenwende“. Carius darf über ganze Seiten seine verqueren Ansichten über „Umvolkung“ und „Erinnerungswahn“ von sich geben, bei Peters wird aus Gaulands „Fliegenschiss“ der NS-Zeit ein ebenso schlichter „Vogeldreck“. Was für Koeppen das Ressentiment gegen farbige Besatzungssoldaten und die Rückkehr von Alt-Nazis an die Schaltstellen der neuen Bonner Demokratie war, ist für Peters die Renaissance von rechtem Gedankengut und Geschichtsvergessenheit in der „Berliner Republik“.
Das ist bisweilen schmerzhaft, weil der Autor trotz seiner Sorge vor Shitstorms nicht davor zurückschreckt, mit seiner Literatur Wunden aufzureißen, auch in ihm selbst:“Kunst muss wehtun.“ Auf der anderen Seite erweist er sich erneut als Meister von Ironie und Humor, seine Persiflage auf den zeitgenössischen Kulturbetrieb ist gleichermaßen vergnüglich wie entlarvend, nicht minder die durchaus von Empathie zeugende Beschreibung des katholischen Priesters Martin, der zerrissen scheint von Zweifeln an seiner Amtskirche und den Verfehlungen seiner Glaubensbrüder. Ein ganzes Gesellschaftspanorama verdichtet Peters – wie schon in den beiden vorausgegangenen Romanen – zu den Geschehnissen eines einzigen Tages, des 9. November 2022, dieses so historisch aufgeladenen Datums der deutschen Geschichte.
Dass Christoph Peters, wie sein Kollege Wolfgang Koeppen, nach der „Trilogie des gegenwärtigen Scheiterns“, in langes Schweigen verfällt oder von einer andauernden Schreibblockade gehemmt wird, steht nicht zu befürchten. Der schon bislang äußerst produktive Schriftsteller („Stadt Land Fluss“, „Dorfroman“, „Wir in Kahlenbeck“) hat das Manuskript für sein nächstes Buch schon fast abgeschlossen, weitere Pläne für Erzählungen bewegt er in seinem Kopf. Als analytischer Beobachter dieser Zeiten und sich abzeichnender Veränderungen von Politik, Gesellschaft und persönlichen Beziehungen bleibt er uns also erhalten.