Die Bedeutung des an der Frankfurter Universität angesiedelten Instituts für Sozialforschung für die jüngere Geistesgeschichte nicht nur der Bundesrepublik kann nicht überschätzt werden. Generationen von Wissenschaftlern, Intellektuellen und Studierenden sind von den Erkenntnissen, Lehren und Veröffentlichungen der hier versammelten Philosophen, Soziologen, Ökonomen, Historiker und Psychologen inspiriert worden. Namen wie Max Horkheimer, Friedrich Pollock, Theodor W. Adorno, Leo Löwenthal, Walter Benjamin, Erich Fromm, Herbert Marcus oder Jürgen Habermas gehören zu den Repräsentanten einer Denkschule, die über die Grenzen Deutschlands hinaus ihre Spuren hinterlassen hat – bis heute.
Der Historiker Philipp Lenhard macht sich mit seinem Buch über Anfänge, Brüche und Entwicklung des 1924 gegründeten Instituts für Sozialforschung um einen kritischen Rückblick auf 100 Jahre Gesellschaftswissenschaft verdient. Dem Autor gelingt es dabei, den höchst anspruchsvollen Persönlichkeiten und ihren Werken ebenso gerecht zu werden wie der vielfältigen Rezeption jener „Dialektik der Aufklärung“, die den Siegeszug der „Kritischen Theorie“ in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts einläutete. Die Zeit im kalifornischen Exil wird angemessen nacherzählt, auch der nicht selbstverständliche Wiederbeginn nach 1949 am angestammten Platz in Frankfurt und nicht zuletzt die aufregende Zeit der Studentenrevolte und der Radikalisierung der Linken bis hin zur RAF.
Horkheimer, Adorno und Habermas – daran besteht auch unter ihren Kritikern kein Zweifel – zählten zu den wirkmächtigsten Denkern des 20. Jahrhunderts, die Frankfurter Schule prägte soziale, politische und kulturelle Debatten und Biografien, ihre intellektuellen Erben sind heute noch an vielen Universitäten der Welt zu finden. Es ist ein Lesevergnügen, Persönliches und Anekdotisches aus der Hochzeit des Instituts für Sozialforschung zu erfahren, überraschende Details über das „Café Marx“, dessen „Betreiber“ und „Gäste“, die Auseinandersetzung mit dem Marxismus und die Begründung einer eigenen Gesellschaftskonzeption.
Interessant ist, dass um die Deutung der Aussagen der „kritischen Theoretiker“ immer noch gerungen wird. So wurde z.B. Adornos Aussage, dass nach Auschwitz keine Gedichte mehr geschrieben werden können, als Absage an die Möglichkeit von Kunst überhaupt verstanden (gerade auch von linken Kritikern wie Enzensberger u.a.). Ebenso wurde sein Diktum, wonach es „kein richtiges Leben im Falschen“ gibt, ausschließlich negativ konnotiert.
Dagegen wird in neueren Studien nachgewiesen, dass Adornos Denken beständig um die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit eines besseren und gerechteren Lebens kreist. Nimmt man dies als Ausgangspunkt von Adornos Denken ernst, so kommt z.B. der Kunst die Bedeutung zu, eine andere, gelungenere Welt aufscheinen zu lassen.
Ausgehend von dieser Beobachtung untersucht beispielsweise die Autorin Pola Groß in ihrem Buch „Adornos Lächeln“, wie Kunstwerke nach Adorno beschaffen sein müssen, um ein Glücksversprechen artikulieren zu können. Sie verbindet diese Frage der Produktion von Kunst mit einer rezeptionsästhetischen Perspektive, die das Glück der ästhetischen Erfahrung selbst in den Blick nimmt.
Gerade in Adornos literatur- und kulturtheoretischen Essays, u.a. zu Beckett, Kafka, Hölderlin, Helms und Goethe, aber auch zur Heiterkeit der Kunst und zum Kitsch, finden sich Elemente einer Theorie des Glücks, so ihre These, die entscheidende Bedeutung für Adornos gesamtes Denken haben. Durch die historische Kontextualisierung seiner Essays rückt Groß das »Glück am Ästhetischen« in Adornos Werk ins Zentrum und zeigt, dass viele der Aussagen Adornos relativiert und neu interpretiert werden sollten. Eine interessante Aufgabe für die künftige Forschung zur „Frankfurter Schule“.