Die Kinder der Geburtsjahrgänge 1955 bis 1970 werden gemeinhin als „Boomer“ bezeichnet, die zahlenmäßig starke Generation der späten Nachkriegs- und frühen Wirtschaftswunderzeit. Sie wuchsen anfangs noch in Ruinen auf, erlebten dann aber, jedenfalls in der Bundesrepublik, zunehmend die Segnungen einer auf Wachstum und Wohlstand zielenden Gesellschaftsordnung. Heinz Bude (Jahrgang 1954), der lange als Soziologie-Professor in Kassel lehrte, blickt mit Sympathie, aber nicht unkritisch auf seine Alterskohorte und findet, dass es für eine abschließende Bilanz ihrer Leistungen und Versäumnisse noch zu früh ist.
Doch ein erstes Urteil fällt der Autor schon. Die „Boomer“ unterschieden sich von den vorausgegangenen „68ern“ dadurch, dass auch sie Häuser besetzten, aber keinen Widerstand „gegen das System“ leisteten. Ihnen war eine gewisse Skepsis gegen Ideologien eigen und eine Zuwendung zum Materiellen. Sie lernten, mit neuen Risiken zu leben: Aids und Tschernobyl. Eine der schönsten Beobachtungen Budes lautet: Die „Boomer“ im Westen Deutschlands glaubten weder an den Kapitalismus noch an dessen Überwindung, die „Boomer“ im Osten weder an den Sozialismus noch an dessen Untergang.
Was hinterlässt die Generation der Ruheständler? Dass man gut beraten ist, allen Heilslehren zu misstrauen und lieber einen Sinn im Anpacken und Aufbauen zu erkennen, im Pragmatischen also. Bei aller Sorge um eine gute Zukunft sollten auch nachwachsende Generationen dem Beispiel der „Boomer“ folgen und den Willen zu Veränderungen beherzigen, meint Bude. Scheitern ist erlaubt, das lehrt die Erfahrung der Nachkriegskinder, aber es geht immer weiter, die Chance zum Experiment und Neuanfang will genutzt werden.
Heinz Bude, Abschied von den Boomern. Hanser Verlag, München 2024. 144 Seiten. 22,00 Euro.
Bildquelle: Karina Albers, via Wikimedia Commons, CC BY 4.0