Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident und CSU-Parteichef, ist nicht für seine leisen Töne bekannt, eher für die etwas vorlaute Tour. Ich kann ja verstehen, dass er beim Wahlkampfauftakt der Union in Berlin betonte: „Ich habe keinen Bock auf Opposition.“ Nun, Herr Söder, in Bayern müssen Sie das vorerst auch nicht haben, aber im Bund könnte es sein, dass am Ende eine Bundesregierung ohne CDU und CSU gebildet wird. Söders Spruch erinnert mich an Franz Müntefering, den einstigen SPD-Chef, Minister und erfolgreichen Wahlkampfmanager der Schröder-SPD: „Opposition ist Mist“, rief er seinen Parteifreunden zu, die ja immer mal wieder liebend gern Richtung Opposition träumten, weil ihnen die Last der Regierung und die damit zusammenhängende Verantwortung als zu schwer erschien. Aber auf derartige Wünsche nehmen die Wählerinnen und Wähler keine Rücksicht: Sie wählen die eine Partei, und damit auch eine andere ab. Söder scheint das zu spüren, weil der Wind sich seit Wochen gedreht hat. Der Union bläst er ins Gesicht, während die SPD von diesem Rückenwind profitiert. Plötzlich ist sie, die wochenlang irgendwo laut Umfragen in den 15-vh-Werten verharrte, auf Augenhöhe mit der Union, hat nach dem Meinungsforschungsinstitut Insa für die Bild-am-Sonntag gleichgezogen mit der Union. 22:22 steht es und wenn der Genosse Trend es sich nicht noch anders überlegt, könnte die SPD in einer Woche vorbeiziehen an der sieggewohnten Union.
Dass die Kanzlerin Armin Laschet Mut zuspricht, wer hätte anderes erwartet. Angela Merkel hört, wie die Unions-Freunde jetzt schmerzlich verspüren, mit der Politik auf. Vor Jahr und Tag gab sie den CDU-Vorsitz ab, erst an Annegret Kramp-Karrenbauer, die aber in der Nachfolge-Frage Merkel schnell überfordert schien. Dann wurde Laschet gewählt, er setzte sich gegen Friedrich Merz und Norbert Röttgen durch. Aber jetzt, als Kanzlerkandidat, zeigt er nicht die Klasse, die Kraft, die man von einem Kanzler erwartet. Er zögert, zaudert, ist der Meister des dies und das, des vielleicht so oder doch anders, nur eben ohne klare Kante. Wenn er wie in Berlin sagt, „Ich werde kämpfen“, hat das für die CDU- und CSU-Klientel eben keine Signalwirkung. Da geht dann nicht die Post ab. Der Armin Laschet, ja der ist nett, hört man überall, aber das ist nun mal nicht das Kriterium für das Kanzleramt. Joschka Fischer, der dort immer nur zu Besuch bei Gerhard Schröder war, hat das Amt als „Todeszone“ bezeichnet, vielleicht etwas zu martialisch, aber er hat natürlich Recht, wenn er damit meint: Wer ins Kanzleramt will, muss eben damit rechnen, dass er auf dem Weg dorthin Tag und Nacht beobachtet, jedes Wort auf die Waagschale gelegt, jede Bewegung gemessen wird an den Anforderungen des wichtigsten politischen Amtes, das die Republik zu vergeben hat. Darüber ist Annalena Baerbock, die Grünen-Hoffnungsträgerin, ins Stolpern geraten, weil sie es offensichtlich nicht zu genau nahm mit ihren persönlichen Daten, die einem sonst egal sein können, nicht aber, wenn es um die Eignung für die Merkel-Nachfolge geht.
Es wirkt nicht kämpferisch und entschlossen, wenn einer wie Armin Laschet versucht, die Seinen einzuschwören auf die Wahlkampflinie: Wir oder die, gemeint die Linken, die Steuererhöher und Konjunkturabwürger, die Kevin Kühnerts und Saskia Eskens bei der SPD(so der Berliner Tagesspiegel am Sonntag).Im Wahlkampf würden die mit einem Knebel im Mund an einen Baum gefesselt wie der Asterix-Barde Troubadix, damit sie dem Kandidaten Scholz nicht dazwischenreden. Schöne Bilder, zum Lachen. „Ich werde kämpfen mit allem, was ich kann, damit dieses Land nicht Ideologen überlassen wird.“ Scholz, der Ideologe, der seit Jahr und Tag der wichtigste Mann im Kabinett Merkel ist, der als Bundesfinanzminister das mit dem Wumms verkündete, um mit Milliarden-Euro-Hilfen Menschen und Firmen am Leben und über Wasser zu halten. Laschet, der Kämpfer, da lachen selbst die Christdemokraten, die ja seit Wochen merken, dass sich die Stimmung im Lande dreht.
Söder und sein Vorbild Strauß
Merkel, Laschet, Söder, die geschlossene Union. Das passt schon zu einem wie Söder nicht, dem unterlegenen Kanzlerkandidaten, der aber die Niederlage nicht verschmerzt hat, sondern wie einst sein großes Vorbild Franz-Josef Strauß einfach weiter so tut, als sei er der eigentliche Macher der Union im Bund. Dabei hat er die gleichen Probleme mit Corona wie andere Regionen, er tut nur so, als wäre in Bayern das Paradies. Er markiert den starken Mann und weiß doch, dass er mit seiner CSU, würde jetzt gewählt, gerade mal so um die 34-35 Prozent gewinnen würde. Ich kann auch nachvollziehen, dass einer wie er einen Heiko Maas nach der Wahl nicht mehr als Außenminister sehen möchte. Nur, das hat Herr Söder nicht zu entscheiden. Es hängt davon ab, wer die Wahl gewinnt, wer Kanzler wird, welche Koalition gebildet wird. Landet die Union in der Opposition, hat die CSU dabei kein Wort mitzureden. Und wenn es um die Qualität der Minister im Bund geht, Herr Söder, dann sollten sie mal über die CSU-Minister im Kabinett Merkel nachdenken. Da gibt es mindestens zwei, die da nicht hingehören: der eine ist der Verkehrsminister Andreas Scheuer, der andere ist Ihr Amtsvorgänger in München, der jetzige Bundesinnenminister Horst Seehofer, der mindestens eine Mitschuld trägt am Versagen der deutschen Behörden in Afghanistan. Etwas mehr Demut wäre angebracht statt das große Wort zu führen. Aber das konnte schon Strauß nicht.
Neue Themen suchen sich neue Mehrheiten. So war das 1969, als Kurt-Georg Kiesinger, der Kanzler der Großen Koalition, als Wahlsieger ins Bett ging und am nächsten Morgen als Verlierer aufwachte. Da hatten Willy Brandt und Walter Scheel die erste sozialliberale Koalition im Bund beschlossen. Was folgte war eine erfolgreiche Ostpolitik, die im KSZE-Vertrag mündete. Erst 1982 gelang es Helmut Kohl, den SPD-Kanzler Helmut Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum zu stürzen. 1998 wurde Kohl, der Kanzler der deutschen Einheit, von Gerhard Schröder abgelöst, der die erste rot-grüne Bundesregierung bildete. Die Agenda 2010 spaltete zwar fast die SPD, die Arbeitsmarktreformen aber waren nötig und wurden weltweit kopiert. Und 2005 gelangte Angela Merkel an die Macht, die sie bis heute nicht mehr abgab. Wer ehrlich ist, wird zugeben, dass ihr das kaum einer zugetraut hat, am allerwenigsten die damals jüngeren CDU-Männer um Koch, Wulff, die sich einst zu einer verschworenen Gemeinschaft namens „Anden-Pakt“ zusammengeschlossen hatten. Genutzt hat es ihnen nicht.
Es mag Laschet schmeicheln, wenn Angela Merkel wie gestern geschehen ihn als Brückenbauer würdigt, als einen, der das C im Parteinamen immer ernst und als Kompass verstanden habe. Es mag ihm gefallen haben, dass sie ihn als „zukünftigen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland“ bezeichnet hat. Auch hat sie gesagt, sie sei „zutiefst überzeugt“, dass Laschet der nächste Kanzler werde. Das ist das übliche, was man so sagt in Wahlkampfzeiten. Und natürlich will auch Markus Söder, „dass Armin Laschet Kanzler wird und nicht Olaf Scholz.“ Mehr können sie gegen Scholz kaum ins Feld führen und gegen die SPD, die ja schließlich von 16 Regierungsjahren Angela Merkel immerhin 12 Jahre am Tisch der Kanzlerin saß und mit dafür sorgte, dass diese Regierung mehrheitsfähig war. Es sei daran erinnert, dass die amtierende Regierung erst zustande kam, nachdem FDP-Chef Lindner die Jamaika-Runde mit den Worten hat platzen lassen: „Besser nicht regieren als schlecht regieren.“ Und jetzt? Ohne Merkel. Mit Wahlversprechen aus der Mottenkiste, also Steuererleichterungen für Vermögende, so ganz nach Lindners Geschmack. Aber Vorsicht, die FDP sieht sich zwar gern als Königsmacher, liegt aber nach allen Umfragen im Ranking auf Platz vier, hinter der Union und der SPD, den Grünen. Es könnten nach der Wahl andere Themen wichtiger werden, vor allem alles, was mit dem Schutz des Klimas zu tun hat, was gewaltige Anstrengungen auch finanzieller Art zur Folge haben wird. Die Reichen werden es verschmerzen.
Einer der ganz Alten in der Politik, Bundestags-Präsident Wolfgang Schäuble(CDU), der die Höhen und Tiefen der Union über Jahrzehnte miterlebt hat, hat vor Wochen in einer Gesprächsrunde an 1969 und 1998 erinnert. In Bezug auf 1998 sagte er: “ Es war schon ganz gut, dass wir zwischendurch den Wechsel hatten, damit die Sache wieder vorangeht.“ In beiden Fällen hat es nicht den Untergang Deutschlands zur Folge gehabt, wie das die Union in den Wahlkämpfen gern behauptet hatte. Ich füge gern hinzu: eher das Gegenteil war der Fall.
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