Großer Zapfenstreich für Angela Merkel. Nach 16 Jahren Kanzlerschaft, einer Regierungszeit mit Höhen und Tiefen, mit einigen internationalen Krisen, die es in sich hatten und immer noch haben. Sie überstand die Finanzkrise an der Seite ihres SPD-Finanzministers Peer Steinbrück, der später gegen sie antreten sollte als Kanzlerkandidat der SPD. Die Flüchtlingskrise kann man als ihre Sternstunde würdigen, als ihr Zeichen von Humanität, das ihr aber innenpolitisch schwer zusetzte. Die CSU tobte, Merkel blieb bei ihrem Satz, der nicht vergessen wird: „Wir schaffen das!“ Dann die Pandemie, 100000 Tote schon jetzt, Corona wütet in Europa, vor allem in Deutschland, Merkels Deutschland erweist sich als unfähig, stolpert durch eine Krise, die immer noch nicht bewältigt ist. Im Ausland wird sie hoch geschätzt, galt lange als mächtigste Frau in Europa, deren Wort viel bedeutet. Eine Frau ohne Skandale, natürlich, bescheiden, mal schwäbische Hausfrau, dann wieder Staatsfrau. Eine Politikerin, die in Wahlkämpfe ging mit dem Satz: „Sie kennen mich.“ Ob das so stimmt, lass ich mal offen, aber viele Wählerinnen und Wähler bezogen den Satz auf ihre Verlässlichkeit. Und fühlten sich über viele Jahre durch Angela Merkel gut und sicher vertreten. Und man kann sagen: Die Republik steht gut da.
Manchmal denkt man, eine Karriere ende nie. Das war schon bei Konrad Adenauer so, den die eigenen Leute dann im hohen Alter zwingen mussten, mitten in der Legislaturperiode den Stab an Ludwig Erhard weiter zu geben. Helmut Kohl konnte kein Ende finden und wurde dann vom Hof gejagt. Ähnliches dachte man auch bei Angela Merkel, die immerhin im Jahr 2005 Kanzlerin wurde, wiedergewählt wurde, und wiedergewählt wurde und noch einmal wiedergewählt wurde. Dann aber selber entschied, zunächst das Amt der CDU-Vorsitzenden abzugeben und zugleich zu entscheiden, dass sie 2021 nicht mehr antreten werde. Bei den einen löste das Erleichterung aus: Gott sei Dank. Andere warteten ab, wollten es nicht glauben. Wer geht schon freiwillig? Wieder andere freuten sich, sahen ihre Chance gekommen. Und scheiterten. Und tatsächlich geht sie jetzt freiwillig, die Kanzlerin, die Frau aus dem Osten, die in Hamburg geboren wurde und in der DDR aufwuchs. Eine einmalige politische Karriere geht damit zu Ende.
Niemand erahnte ihren Aufstieg
Ein Aufstieg, den niemand erahnte. Als Angela Merkel in Bonn aufkreuzte, kurz nach Mauerfall und Wende, nahm kaum jemand Notiz von ihr. Sie war unscheinbar, schon von der Frisur her. Dann die Kleidung. In der Unions-Fraktion machten die Herren die üblichen Witze und ließen die Journalisten daran teilhaben. Ich erspare Ihnen Einzelheiten. Soviel sei gesagt: Graue Maus, das war das Bild, das ihre sogenannten Parteifreunde von ihr zeichneten. Dazu die anderen Vorurteile: eine aus dem Osten, aus der Uckermark, wo kaum jemand wohnt, geschieden, ohne Kinder, evangelisch. Die werde nie was in Bonn, der damaligen politischen Hauptstadt der Republik. Kohls Berater Eduard Ackermann kümmerte sich um sie, redete mit ihr, half ihr, den Westen zu verstehen. Und natürlich erklärte der „Ede“ der Frau Merkel, wer denn der Helmut Kohl sei, wie der ticke. Und Angela Merkel hörte genau zu. Kohl nannte sie hin und wieder freundlich „mein Mädchen“, er fungierte als ihr Mentor, weil er sie schätzte. Es dauerte nicht lange und Eduard Ackermann sagte über Merkel: „Die lernt schnell von Kohl, wie das mit der Macht in der Politik funktioniert.“ Jahre später hat sie seine Ära per FAZ für beendet erklärt und damit auch die CDU vor noch größerem Schaden durch die Spendenaffäre Kohls bewahrt. Kohls Freunde erzürnten. Und gaben klein bei.
Ich erzähle diese alte Geschichte, die unglaublich klingt angesichts des Aufstiegs dieser Frau zur ersten Bundeskanzlerin des vereinten Deutschlands. Von der später die Hymne zu hören war: La Merkel. Damit drückten die Franzosen ihre Bewunderung für die Frau im Kanzleramt aus. Als sie anfing in Bonn wollte keiner mit ihr reden. Eine ihrer ersten Referentinnen fragte Journalisten, ob sie denn nicht mal mit der jungen Ministerin aus der Uckermark ein Gespräch führen wollten. Merkel war Ministerin für Frauen und Jugend, also Gedöns frei nach Schröder. Viele winkten ab. Ich vermute mal, dass dieselben Medien heute froh wären, wenn Merkel ihnen ein Interview-Termin geben würde.
Wer erinnert sich noch an den Wahl-Abend 2005, die Elefanten-Runde im Fernsehen? Gerhard Schröder, der Kanzler, hatte trotz eines phantastischen Endspurts die Wahl knapp verloren. Garstig, angefressen ging er ins Studio, es war sein Polterabend. Schröder attackierte die Fernseh-Journalisten und beschied Frau Merkel, dass seine Partei, die SPD, sie nicht wählen werde. Da müsse man doch mal „die Kirche im Dorf lassen“. Ich behaupte mal, dass dieser emotionale Auftritt oder Ausfall Schröders Merkels Kanzlerschaft begründet hat. Ihre Kontrahenten aus den eigenen Reihen, die Kochs und Wulffs, waren nämlich ziemlich sauer wegen des Wahlkampfs von Merkel. Aber durch die Attacken des SPD-Politikers Schröder schlossen sich die Reihen hinter Merkel, sie war gerettet. Und Schröder sorgte später dafür, dass seine SPD in die Groko von Merkel ging und nicht auf die harten Oppositionsbänke.
Frühstück von Wolfratshausen
Sie ließ die Männer in der Union an den Strippen alt aussehen. Man denke an Norbert Röttgen, Muttis Klügsten, wie es mal hieß. Aber als Röttgen die Wahl in NRW haushoch verlor und dann nach Berlin zurückkehrte, setzte Merkel ihm den Minister-Stuhl- er war Umweltminister- vor die Tür. Es hatte ihr wohl nicht gefallen, dass Röttgen die Spitzenkandidatur in NRW gegen Hannelore Kraft nur angetreten hatte mit einer Rückfahrkarte. Jetzt kandidiert Röttgen für den CDU-Vorsitz. Oder man nehme Friedrich Merz, den früheren Fraktionschef der Union. Der verließ freiwillig das Feld, als Merkel ankündigte, sie wolle neben dem Parteivorsitz auch die Führung in der Fraktion. Das hatte sie wohl zuvor mir dem CSU-Chef Edmund Stoiber verabredet, dem sie zum Frühstück in Wolfratshausen 2002 die Kanzlerkandidatur angeboten hatte. Und Stoiber sagte ihr die Unterstützung der CSU beim Kampf um den Fraktionsvorsitz der Union zu. Merkel hatte bei diesem Geschäft Glück. Was wäre geworden, wenn Stoiber die Wahl gewonnen und nicht knapp verloren hätte? Ihm fehlten gerade mal 6000 Stimmen.
Die Bilanz der Politik Merkels fällt gemischt aus. Beispiel Klimakanzlerin. Sie selber sagte vor kurzem, „dass auf dem Sektor nicht viel passiert“ sei. Das lag wohl auch an Merkels fehlendem Einsatz. Die Umweltministerin Svenja Schulze wollte jedenfalls mehr. Der Bremsklotz gegen ein wirksames Klimaschutzgesetz war die Union. Im Kampf gegen eine Verschärfung der EU-Abgasgrenzwerte sah man die Kanzlerin eher an der Seite der mächtigen deutschen Auto-Industrie. Bei der Kernenergie ist der Eindruck geblieben, dass sie nicht wusste, was sie wollte. Erst stieg sie aus, dann wieder ein- wegen Fukushima. Und sorgte dafür, dass die Stromkonzerne mit 2,43 Milliarden Euro entschädigt wurden für entgangene Gewinne und überflüssige Investitionen. Dass Deutschland gerechter geworden sei in den Merkel-Jahren, kann man nicht sagen. Die Reichen sind reicher, die Armen ärmer geworden. Jedes fünfte Kind lebt an der Schwelle zum Armutsrisiko. Und ob die Republik gut gerüstet ist für die Zukunft? Das Haus Deutschland hat, wie das ein Kollege trefflich beschrieb, einige Dachschäden, die Infrastruktur ist marode, Straßen, Brücken, Schulen, bei der Digitalisierung sind wir auf dem Niveau eines Entwicklungslandes.Und in der Außen- und Sicherheitspolitik haben wir gerade das Desaster mit Afghanistan erlebt, was kein Ruhmesblatt für die deutsche Politik ist.
Man wird ihre Ära würdigen. Kanzler in Deutschland zu sein, ist ein hartes Stück Arbeit. Wer viermal wieder gewählt wird, hat nicht alles falsch gemacht, mehr noch, die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler hat Merkel gewählt, weil sie ihr über 16 Jahre vertraut hat. Merkel wurde in Europa und der Welt respektiert. Davon hat die Bundesrepublik profitiert. Wer im Ausland ihren Namen erwähnte, erfuhr, wie geachtet sie in der Welt ist. Das ist nicht wenig in diesen unruhigen Jahren. Der Karikaturist Heiko Sakurai, der seit Jahren u.,a. für die WAZ und viele andere Blätter zeichnet, hat das politische Ende Merkels in der folgenden Zeichnung festgehalten: Gerhard Schröder sitzt auf dem Sockel und ruft der vorbeieilenden Merkel hinterher: „Noch sind Sie Kanzlerin. Aber irgendwann is immer Ende. Wie wahr.
Bildquelle Titelbild Wikipedia, Armin Linnartz, CC BY-SA 3.0