„Eine Apokalypse hat das Ahrtal verwüstet“, heißt es in einem offenen Brief der Verbandsgemeinde Altenahr an die Bundeskanzlerin Angela Merkel(CDU) und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidetin Malu Dreyer(SPD), unterschrieben von der Bürgermeisterin Cornelia Weigand und den Ortsbürgermeistern von Ahrbrück, Berg, Dernau, Heckenbach, Hönningen, Kalenborn, Kirchsahr, Kesseling, Lind, Rech, Mayschoß und Kreuzberg. Und es ist so wie beschrieben: viele haben alles verloren und stehen vor dem Nichts. Sie haben nichts mehr zum Anziehen, keinen Stuhl, keinen Tisch, alles Mobiliar aus Wohnzimmern, Küche, Bad und wo auch immer weggespült, es liegt irgendwo im Schlamm neben oder unter den kaputten Autos. Wohnungen, Häuser, Schulen, Kindergärtern, Krankenhäuser, die Straßen, Schienen, alles kaputt, unter- oder weggespült, weggerissen von einer Flut, die ein Tsunami war. Das einst schöne, gepflegte Ahrtal mit seinen Weinverkostungen, Gaststätten, seiner Stimmung, alles ist hin. Kein Strom, kein frisches Wasser es sei denn aus einem Tank, keine Abwasserentsorgung. Ja sogar der Friedhof in Ahrweiler liegt in Trümmern, die sonst kleine und eher gemütliche Ahr hat Grabsteine mit sich fortgerissen, schwemmte sie in die Nachbarhäuser. Die Flut brachte Schlamm mit, dick und schwer und stinkend. Die Menschen- ich habe einige gerade getroffen, man traut sich nicht, sie anzusprechen. Sie sind traumatisiert. 138 Tote an der Ahr, indestens, denn 26 werden noch vermisst. Jeder der Überlebenden kennt jemand, der Tote unter seinen Bekannten, seiner Familie oder seinen Freunen hat, er kennt einen Schwerletzten, oder Jemanden, der schwimmend das andere Ufer erreicht hat und sich an den Weinreben klammerte, bis ihn die Feuerwehr rettete.
In dieser schier ausweglosen Situation hat sich die Verbandsgemeinde Altenahr an die Bundeskanzlerin und die Landesmutter gewandt, in der Hoffnung, dass diese beiden starken Politikerinnen ihnen helfen können. Dass Merkel und Dreyer das wollen, ist für die Menschen an der Ahr keine Frage. Sie haben die sichtlich bewegten Frauen aus Berlin und Mainz hier im Ahrtal erlebt, als alles in Trümmern lag, sie haben deren Emotionen nicht vergessen. Es hat gut getan, Merkel und Dreyer Hand in Hand durch den Dreck und Schutt und Schlamm laufen zu sehen und ihre Worte zu hören. Beide waren sichtlich gerührt, tief betroffen von diesem Ausmaß der Katastrophe. Sicher, es wurde von Anfang an geholfen, Nachbarn, Freunde, wildfremde Menschen packten mit an, schippten den Dreck weg. Und sie helfen immer noch, dazu das THW, Leute der Feuerwehr. Und und und. Es wird gespendet, übers Fernsehen, über die Zeitungen. Ein Sonderfonds ist angedacht. Er sollte beschlossen werden, eine zweistellige Milliardensumme könnte erforderlich sein.
Aber, und deshalb der Brief, das Ahrtal braucht einen Perspektivplan, damit es eine Zukunft hat. Und dafür muss ein Koordinator her, der alles versammelt, bündelt, die Sorgen und Nöte notiert und der auch verhindert, dass Kriminelle die Not der Menschen ausnutzen und sie über den Tisch ziehen. Der eine Liste bekommt mit allen Geschädigten, die teils keine Papiere mehr haben. Aber das muss auch so gehen, man kennt sich schließlich. Ein Sonderbeauftragter, vielleicht aus dem Ministerium des Inneren, der all die Dinge kennt, der aber auch die politische Kompetenz haben muss, dass er entscheiden kann, was gemacht werden muss. Ein Sonderbeauftrager und eine Handvoll qualifizierter Mitarbeiter-Bauleiter, Architekten, Versicherungs- und Wasser wie Abwasserexperten wären nicht schlecht- als Ansprechstation für jene, die verzweifelt sind, weil sie nichts mehr haben und deshalb nicht weiterwissen. Kein Haus, keine Wohnung, keine Wäsche, Schuhe, kein Stuhl und Tisch. Welch ein Leben?! All das, was die Flut mitgenommen hat, muss irgendwie ersetzt werden. Viel Persönliches ist ohnehin auf Dauer verloren. Schnell muss gehandelt werden, damit die Menschen wieder leben können in ihren Notunterkünften und wo immer sie eine Bleibe vorübergehend gefunden haben. Damit sie wieder Mut fassen. Es muss schnell gehen, in wenigen Monaten beginnt der Herbst, dann wird es frischer, kühler, kälter, ungemütlicher.
Es muss auch entschieden werden, wie wieder aufgebaut wird, damit das nächste Hochwasser nicht wieder alles zerstört. Es wird nicht einfach, weil das schmucke Ahrtal von seiner Enge lebt, davon, dass der Weinanbau bis ins Tal reicht, wo die Pensionen und Kneipen und Gaststätten sind, die Weinhäuser, die Winzer mit ihren Kellern und Fässern. All das kann nicht einfach in der Höhe angesiedelt werden, weil das Tal vom Tourismus lebt und Touristen lieben die kleine Ahr, die verwinkelten Gässchen, den Rotweinwanderweg, der immer wieder ins Dorf an der Ahr zurückführt, nach Rech, Mayschoß, Dernau, um nur die Namen zu erwähnen. Häuser ohne Keller, Wohnungen und Schlafräume erst im zweiten und dritten Stock, so hat es mir ein Bürger erzählt. Sirenen müssen wieder installiert werden, dort, wo man sie aus Kostengründen aus dem Verkehr gezogen hat. Ein Alarmsystem muss her, das rechtzeitig warnt und notfalls die nötigen Evakuierungen einleitet, damit Menschen von der Flut nicht im Schlaf überrascht werden.
Der Brief ist Ausdruck der Not der Menschen, ihrer Ratlosigkeit. Hier ist die Politik gefragt, eine Truppe erfahrener Politiker, Beamter zusammenzustellen, die die Hilfe koordiniert und sie voranbringt. Die dafür sorgt, dass Gelder ausgezahlt werden. Und bitte nicht, wie geschehen, eine ältere Frau mit 2500 Euro abspeisen. Die Frau ist nämlich wegen der Flut ohne alles, was man zum Leben braucht. Mittellos.
Den vollständigen Brief können Sie hier downloaden