„Bahlsen lässt Geschichte seiner Zwangsarbeiter aufarbeiten“. So die Überschrift bei „Zeit online“. Damit reagierte der „Kekshersteller“- so die „Zeit“ weiter- auf die Diskussion um die Rolle des Unternehmens im Zweiten Weltkrieg. Es geht um Zwangsarbeiter und deren Behandlung bei Bahlsen, darum, dass die Firmenerbin Verena Bahlsen in der „Bild“-Zeitung gesagt hatte: „Das war vor meiner Zeit und wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt.“ Dass sie sich anschließend entschuldigte mit der Formulierung, sie hätte sich intensiver mit der Historie des Unternehmens beschäftigen sollen, ist geschenkt und wirkt geradezu peinlich. 2019 weiß eine Firmen-Erbin immer noch nicht, wie es in der Nazi-Zeit zuging, weiß sie nicht, dass Firmen reich wurden, indem sie von den Nazis billige Arbeitskräfte z.b. aus Polen und der Ukraine anforderten, die schlecht oder teils gar nicht bezahlt und überdies menschlich miserabel behandelt wurden?
Dass sie zur Arbeit gezwungen wurden, das weiß, wer sich mit dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte beschäftigt. Das betraf auch arbeitsfähige Juden und Homosexuelle, auch Deutsche, die den Nazis missfielen. Insgesamt, so lese ich in dem Band „Deutsche Geschichte“, den die „Süddeutsche Zeitung“ herausgegeben hat, sei die Zahl der oft mit brutalen Mitteln verschleppten und unter katastrophalen Bedingungen in Barackenlagern lebenden Zwangsarbeiter auf bis zu sechs Millionen gestiegen. Sie sollten die an der Front kämpfenden deutschen Soldaten an deren einstigen Arbeitsplätzen ersetzen. Auch bei Bahlsen arbeiteten mindestens 200 Zwangsarbeiter. Und das konnte Frau Verena in dieser Form nicht wissen? Eine Frau, die bekennt, Kapitalistin zu sein, die sich der Tatsache rühmt, daß ihr ein Viertel von Bahlsen gehöre , dass sie Geld verdienen und sich Segelyachten kaufen wolle.
Kriegswichtiger Betrieb
Rund 20 Prozent aller Arbeitsplätze im deutschen Reich, so das SZ-Buch weiter, sei von Ausländern eingenommen worden. Hinzu kamen Kriegsgefangene, Kz-Häftlinge, sodaß etwa ein Viertel der Arbeitsplätze mit Zwangsverpflichteten besetzt gewesen sei. Dieser Arbeitseinsatz habe den vorzeitigen Kollaps der deutschen Kriegswirtschaft verhindert. Bahlsen war ein kriegswichtiger Betrieb, dort wurde Nahrung für die deutschen Truppen produziert.
In der „Jüdischen Allgemeine“ lese ich zum Fall Bahlsen. „Zwangsarbeit war für die 250 osteuropäischen Arbeiter bei Bahlsen kein Urlaub in Deutschland, sondern eine moderne Form der Sklaverei“. Aus diesem Grund, so heißt es in der Zeitung weiter, hätten 60 der ehemaligen Arbeiter die Firma 2000 auf eine Million Euro verklagt. „Wie üblich waren die Forderungen den Richtern zufolge verjährt. Eine sehr deutsche Nachkriegsgeschichte“. Einzuräumen ist, dass das Gericht Bahlsen keinewegs freigesprochen hat von historischer Schuld. Und Bahlsen selber hat nicht bestritten, den Klägerinnen Leid angetan zu haben.
Und weiter lese ich in der „Jüdischen Allgemeine“-Autor ist übrigens der Publizist und Lyriker Max Czollek-: „Der Reichtum, der bei Frau Bahlsen ein ererbter ist, basiert in Teilen auf dem Einsatz von Zwangsarbeit während der NS-Zeit und der Belieferung der Wehrmacht mit Lebensmitteln, wofür die Firma als kriegswichtiger Betrieb sicher gut bezahlt wurde.“ Bahlsen habe also nicht nur von der Zwangsarbeit profiert, sondern aktiv dazu beigetragen, dass die Nazis ihren Vernichtungskrieg durchführen konnten. Darauf komme ich später noch zurück. Zunächst zitiere ich noch aus dem Blog „FragDenStaat“, deren Autor Arne Semsrott dazu Folgendes geschrieben hat: „Tatsächlich sind die Aussagen von Verena Bahlsen skandalös- allerdings sind sie nicht allein der Ignoranz der 26jährigen geschuldet. Sie spiegeln vor allem wieder, was ihre Firma seit Jahrzehnten verkündet. So heißt es beispielsweise in der Firmenbroschüre, die 2014 zum 125-jährigen Jubliäum des Unternehmens erschien, Zwangsarbeiter bei Bahlsen hätten eine gute Behandlung genossen. Die offizielle Firmenchronik weist bis heute noch nicht einmal darauf hin, dass ab 1940 rund 200 Personen gezwungen waren, mit Bahlsen Verpflegung für die deutsche Wehrmacht herzustellen. Dabei wurde der Keks-, Brot- und Schokoladenproduzent zum Ende des Zweiten Weltkriegs von den Nazis nicht nur als kriegswichtig, sondern auch als Rüstungsbetrieb eingestuft.“ ‚So weit Arne Semsrott.
Prozesse gegen Krupp und andere
Nach dem Krieg kam es zu Prozessen u.a. gegen Firmenverantwortliche von Flick, den I.G. Farben, Krupp und anderen, weil sie Zwangsarbeiter zu tausenden von der SS gemietet hatten. Es kam zu Verurteilungen wegen Versklavung, Misshandlung, Einschüchterung, Folterung und Ermordung der Zivilbevölkerung und dem planmäßigen Einsatz von Zwangsarbeitern.
Nachlesen kann man das dunkle Kapitel Zwangsarbeiter und die deutsche Wirtschaft in dem historischen Roman von Eric Vouillard „Die Tagesordnung“, der in unserem Blog-der-Republik vor längerer Zeit besprochen und gewürdigt wurde. Darin beschreibt der Autor, wie führende Vertreter der deutschen Wirtschaft im Februar 1933 der finanziell klammen NSDAP drei Miillionen Reichsmark spendeten für deren Wahlkampf. Schon damals habe Hitler ihnen Gegengeschäfte versprochen, darunter auch billige Arbeitskräfte. Das Ganze ist eine Historie mit Leichenbergen. Die Hohenpriester der deutschen Wirtschaft waren gekommen, um dem Nazi-Diktator zu huldigen, der versprochen hatte, ein für allemal für Ordnung zu sorgen und dem Treiben der Gewerkschaften und anderer ein Ende zu bereiten, der klar gemacht habe, dass Schluss sei mit Debattenfreiheit, dass er, Hitler, entscheiden werde. Die Herren seien begeistert gewesen ob des Führer-Prinzips. Krupp war bei dem Treffen zugegen, die Chefs von Opel, Stinnes, Flick, Tengelmann, August von Finck, BASAF, Agfa, I.G. Farben, Siemens, Telefunken, Bayer, Quandt.
Geld stinkt nicht? Doch.
Bildquelle: Wikipedia, Axel Hindemith, CC BY 3.0