Angela Merkel regiert schon seit 2005. Es ist ihre vierte Legislaturperiode, aber es ist noch nicht ausgemacht, dass die CDU-Chefin diese auch übersteht. Denn die Kanzlerin wirkt müde, überfordert, angeschlagen, aber andererseits auch stur und wieder andere sehen sie als abgehoben. Sie hätte nicht mehr antreten dürfen, meint ein langjähriger CSU-Experte. „Sie kriegt nichts mehr auf die Reihe“, ist der CSU-Mann überzeugt. Im aktuellen Streit um die wichtige und schwierige Flüchtlingsfrage- es geht um registrierte, die die CSU und ihr Bundesinnenminister Horst Seehofer an der Grenze zurückweisen lassen will- wolle Merkel wieder mal nur Zeit gewinnen und strebe eine Scheinlösung an. Dabei sei doch klar, dass sie eine europäische Lösung nicht hinbekomme.
Es steht Spitz auf Knopf, wie man in Bayern gern sagt, wenn man über etwas heftig streitet, was durchaus zum Bruch zwischen Partnern führen kann. So weit würde der CSU-Mann jetzt noch nicht gehen, er sieht aber, dass Merkel die Felle davonschwimmen. Ob die Koalition in einem Krach endet, sei ungewiss und beileibe nicht ausgeschlossen. Denn für die CSU ginge es in diesem Fall um Essentielles. „Die Menschen draußen wollen eine Lösung, sie haben es satt, nur immer das Gerede zu hören.“ Heißt im konkreten Fall für die CSU: „Wir können nicht verstehen, dass Merkel in dieser Frage, die doch klar ist, wieder mal ausweicht. Wer in einem anderen Land schon registriert ist, den müssen wir doch abweisen können.“
Die Flüchtlingsfrage beschäftigt seit Jahr und Tag vor allem die Union. Seit Merkel 2015 Tausende von Flüchtlingen unkontrolliert über die Grenze nach Deutschland ließ, -eine Geste der Humanität, die ihr viel Beifall eingebracht hat-, hat sich die Kritik vor allem in den Reihen der CSU an dieser Politik „des Unrechts“- so der damalige bayerische Ministerpräsident und CSU-Parteichef Horst Seehofer- nicht gelegt. Seehofer forderte schon damals: „Wir müssen wissen, wer zu uns kommt.“ Im anderen Fall bestünde die Gefahr, dass auch Terroristen unerkannt ins Land schleichen und Unheil anrichten könnten. Seehofer gegen Merkel, lautete der Konflikt, wobei Seehofer die CSU, ja halb Bayern hinter sich wähnte. Es kam zu harten Auseinandersetzungen, zum Beispiel auf einem CSU-Parteitag, wo Seehofer die Kanzlerin am Rednerpult stehen ließ und sie wie ein Schulmädchen abkanzelte. Das wirkte ziemlich ungehörig, unanständig. Merkel ertrug es und fuhr Richtung Berlin.
Als Schäuble als Präsident verhindert wurde
Es war im übrigen nicht das erste unfreundliche Zusammentreffen der beiden Unionspolitiker. Ein Teilnehmer der Sondierungsrunde aus dem Kreis der Union erinnert sich, wie Merkel 2005- damals wurde die erste große Koalition unter der CDU-Chefin gebildet- über Edmund Stoiber versucht habe, den Gesundheitsminister Seehofer zu verhindern. Was ihr nur halb gelang, Seehofer wurde Landwirtschaftsminister. CSU-Leute, allen voran Seehofer, hätten das nicht vergessen. Er war schon unter dem Kanzler Kohl Minister für Gesundheit(1992 bis 1998).
Jetzt ist Horst Seehofer CSU-Parteichef und Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat im vierten Kabinett von Merkel. Er hat im Streit um das Flüchtlings- und Asylthema mit einem Alleingang gedroht, das wäre dann das sichere Ende der Koalition. Die Kanzlerin hat die Richtlinienkompetenz, die ihr aber auch nicht viel hilft, weil sie spürt, dass die Zustimmung in der Union zu ihrer Politik sinkt. Sie braucht nicht nur die CDU, sondern auch die CSU, beides hat sie nicht mehr. Die eigene Fraktion räumt ihr zwei Wochen Zeit für eine europäische Lösung ein, die in weiter Ferne liegt. Man kann von einem Ultimatum sprechen. Was ist das für ein Klima zwischen Schwesterparteien?
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder(CSU) sieht sich in einem „Endspiel um die Glaubwürdigkeit“. Er hat dabei die Landtagswahl am 13. Oktober im Sinn, eine schwierige Wahl aus Sicht der CSU. Alle Umfragen sprechen dagegen, dass die machtbewusste CSU erneut die absolute Mehrheit verteidigen kann. Sie wird, das ist keine Frage, stärkste Partei bleiben und den Regierungschef stellen, aber sie wird wohl in den für sie sauren Apfel beißen müssen- eine Koalition mit den Grünen, den Freien Wählern, der FDP eingehen, wenn letztere denn in den Landtag kommt. Die AfD wird sie wohl nicht verhindern können. Im Wahlkampf geht es um eben besagte Glaubwürdigkeit, die die CSU vor allem in der Asyl- und Flüchtlingsfrage sieht. Hier steht sie geschlossen hinter Seehofer und seiner Position, heißt auch Kontrolle der Grenze, die zur zeit so gut wie nicht stattfindet. Man muss nur mal von München nach Salzburg fahren oder umgekehrt, da findet nichts davon statt. Eine Kompromissmöglichkeit sieht man im Lager der CSU nicht. Wenn man der Linie der Kanzlerin folge, sieht man sich als Verlierer. Die CSU sei kampfbereit, heißt es, wild entschlossen. Und Seehofer und seine Freunde sind sich sicher, dass die Mehrheit der Bevölkerung in der Asylfrage hinter ihnen steht.
Österreich als Durchgangsland
Und Merkel? Sie hat die Macht- noch. Man rechnet mit einem Pokerspiel, mit Scheinlösungen, die als Kompromiss angeboten würden, mit Spielchen auf Zeit. Merkel werde eine europäische Lösung nicht hinbekommen. Wie sollte die auch aussehen!? Man schaue sich nur das aktuelle Theater mit dem Flüchtlingsschiff an, das schließlich einen spanischen Hafen anfahre, weil andere dicht gemacht hätten. Auch Frankreich sei nicht bereit. Im Falle von Polen müsse man berücksichtigen, dass die Polen schon sehr viele Flüchtlinge aus der Ukraine zu Gast hätten. Österreich sehe sich als Durchgangsland, weil die meisten Flüchtlinge ohnehin nach Deutschland wollten, denn hier gebe es die meiste Kohle.
Und wenn der Streit weiter eskaliert? Die Lage für Merkel könnte ungemütlich werden, so der CSU-Experte, wenn Umfragen weitere Verluste der Union signalisierten. „Wenn die Abgeordneten fürchten, dass sie ihr Mandat verlieren, wird es eng für die Kanzlerin. Denn dann geht es wirklich ums Ganze, um die Existenz von Politikern. Und dann können Mehrheiten ins Rutschen kommen.“ Merkel ohne Alternative? Ja und Nein. Sie selber hat ja für ihre Politik oft genug den Spruch parat gehabt, dass es dazu keine Alternative gebe. Aber wer könnte sie als Kanzler ersetzen? Dass Wolfgang Schäuble, der Senior und Bundestagspräsident, als Vermittler im Streit zwischen CDU und CSU fungiere, macht den einen oder anderen älteren Zeitgenossen nachdenklich. „Der Schäuble kann die Merkel doch gar nicht leiden“, so der CSU-Mann. „Der hat nicht vergessen, dass es Merkel war, die ihn als Bundespräsidenten verhindert hat. Stoiber war für Schäuble. Und am nächsten Morgen habe man um 7.15 Uhr aus den Nachrichten vernommen, dass Hörst Köhler Bundespräsident werden soll.“
Also Merkel-Dämmerung?
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