Jahrelang standen gerade Zeitungen, und zwar Regionalblätter wie die Überregionalen aus Frankfurt und München, buchstäblich unter Druck. Sinkende Abonnentenzahlen und rückläufige Anzeigenerlöse haben manchem Chefredakteur und Geschäftsführer Sorgen bereitet, weil es oft genug zu Stellenkürzungen führte – sowohl in den Verlagen wie den Redaktionen. Auch über die Zukunft von Zeitungen hat sich manch kluger Kopf Gedanken gemacht, der eine oder andere das Ende dieses wunderbaren Mediums vor Augen gesehen. Jetzt in der Krise ist das Gerede verschwunden. Zeitungen, gedruckte wie Online-Ausgaben, werden nachgefragt wie nie zuvor. Sie sind wieder da, die Blätter, die die Infos für und über das Leben liefern, aufgefrischt – von wegen Altpapier.
Früher hätte man gesagt, die Leser reißen den Journalisten die Blätter aus den Händen. Tatsächlich ist die Neugierde nach Nachrichten und Informationen aller Art gerade auch über Corona und die Folgen stark gestiegen. Schöne Zeiten, oder was meinen Sie Jörg Rinne, Leiter des Newsrooms der Redaktionsgemeinschaft der ostwestfälisch-lippischen Verlage, die die Titel Neue Westfälische, Lippische Landes-Zeitung, Haller Kreisblatt und Mindener Tageblatt beliefert?
„Publizistisch ist das toll, wir haben außerordentliche Zuwachsraten in allen Bereichen, auch die Printversion wird wieder stärker nachgefragt. Wir spüren das riesige Interesse unserer Leserinnen und Leser, älterer wie jüngerer, was sich auch zeigt in den Reaktionen, den E-Mails und Briefen, in denen die Arbeit der Redaktion gelobt, kritisiert, angeregt wird. Das ist ein Aufschwung für die Leistungen der Redaktion, der uns allen gut tut.“
Der Mantel der vier Blätter wird in Bielefeld produziert. Dort arbeitet ein rund 40-köpfiges Team aus Redakteuren, Mediengestaltern, Redaktions-Assistenten, Sekretärinnen. Die Gesamt-Auflage gibt Jörg Rinne mit knapp 200.000 an.
Eine Zeitung in Krisen-Zeiten wie Corona zu machen, ist etwas anderes, setzt auch hier das Einhalten von Abstandsregeln voraus, die den Redaktions-Alltag völlig verändert haben – Homeoffice ist angesagt. Jörg Rinne dazu: „Redaktions-Konferenzen klassischer Art gibt es nicht mehr, unser Newsdesk ist verwaist, wir konferieren per Video, wir müssen anders miteinander reden. In Konferenzen konnte man sich früher direkter austauschen, hatte seine Kollegin direkt neben sich sitzen, den Ressortchef vor sich, man sah die Reaktionen. Jetzt geht das alles digital.“ Man telefoniert, verschickt E-Mails über E-Mails, sitzt vor seinem Rechner und schaut und liest und schaut und liest. Rinne: „Wenn ich abends Feierabend mache, kann ich den Fernseher kaum noch erkennen.“
Home-Office ist Redaktions-Alltag
Zeitung machen, dazu gehört die ständige Diskussion, das Nachfragen, der Austausch unter den Ressorts. Gerade der persönliche Kontakt, der kurze Draht zu Jedermann, mal eben auf dem Schreibtisch des Kollegen Platz zu nehmen, um dies oder jenes zu klären, die Überschriften, die Bild-Auswahl, eben die Blatt-Mache – in Corona-Zeiten ist alles anders geworden. Es ist anders geworden, weil viele Kollegen zu Hause arbeiten, Home-Office ist der Redaktions-Alltag nicht nur in Bielefeld. Das verlangt den Kontakt über andere Kanäle, E-Mails, Telefon, Whatsapp, ist umständlicher, indirekter, verlangt konzentrierteres Arbeiten. „Es funktioniert sehr gut“, so Rinne, „aber es ist viel Aufwand, wir alle sind stark gefordert. Aber wenn das Produkt passt – egal ob analog oder digital -, wenn es stimmt, ist es gut. Dann hat es sich gelohnt.“
Ich kann etwas mitreden, wie man Zeitung macht, ich war in der Nachrichten-Redaktion der WAZ, später Parlaments-Korrespondent in Bonn, danach stellvertretender Chefredakteur der WAZ in Essen und dann noch einmal Korrespondent in Berlin. Es war anders damals, das Internet gab es im Anfangs-Stadium, im Mittelpunkt stand die Print-Ausgabe der WAZ. Längst ist Print rückläufig und zwar überall, nicht nur in Ostwestfalen-Lippe, sondern auch in Hamburg, Berlin und München. Damals haben nicht wenige Kolleginnen und Kollegen über Konferenzen gelästert, heute wären sie froh, wenn es wieder welche gäbe. Jörg Rinne bestätigt das: „Wenn man sich nur noch per Video sieht und austauscht, sehnt man sich zurück nach einer richtigen Themen-Konferenz, nach der Mittagskonferenz, man ist froh, wieder Kolleginnen und Kollegen zu sehen und mit ihnen persönlich zu reden.“

Verändert hat sich die Arbeit in den Redaktionen nicht nur dank technischer Revolutionen, verändert durch Corona haben sich natürlich auch die Themen. „Wir profitieren davon“, erzählt Jörg Rinne, „weil Ostwestfalen-Lippe immer schon Rehazentren hatte, Kurorte, eine Gesundheitsregion ist. Dass jetzt verstärkt mit Ärzten geredet wird, um über Corona zu informieren, die Leute aufzuklären und sie nicht in Panik zu versetzen, kommt uns entgegen. Wir haben eine Kollegin, die mittlerweile Expertin auf diesem Gebiet ist.“ Aber auch die sogenannten systemrelevanten Berufe wie Krankenschwestern und Pflegerinnern und Pfleger sind in den Mittelpunkt der Berichterstattung in Bielefeld und anderswo gerückt. Sie interessieren die Leserinnen und Leser, weil die Probleme zu ihrem Alltag gehören. Rinne verbindet damit eine innige Bitte: „Ich hoffe nur, dass die Pfleger und Krankenschwestern nach Corona nicht nur den Beifall der Patienten und all der anderen mit nach Hause nehmen, sondern dass sie tariflich endlich das Geld bekommen, das sie verdienen. Es darf nicht beim Applaus und bei einer einmaligen Sonderprämie bleiben.“
Kein Fußball- Ein harter Job für Sportreporter
Corona, Quarantäne, Abstand, das heißt auch kein Fußball, dabei ist es sportlich spannend in OWL, Arminia vor dem Aufstieg, Paderborn kämpft gegen den Abstieg. Kein Vorbericht, kein Spielbericht, kein Streit um Elfmeter und Rote Karten, keine Wechselgerüchte, keine Tabellen. „Ein harter Job für unsere Sportreporter.“
Corona-müde? „Das ist noch nicht zu spüren, weil das Thema Corona ja viele Lebensbereiche der Menschen berührt“, betont Jörg Rinne. „Corona verändert das Leben fast aller Zeitgenossen, nicht nur den Tagesablauf, weil Kneipen zu sind und Theater geschlossen, weil Kinder zu Hause sind statt in der Kita, weil Kurzarbeit angesagt ist, die an die Nerven und den Geldbeutel geht, weil es die Urlaubsplanung durcheinanderbringt, und sogar Diskussionen über Renten auslöst. Und wer weiß, was nach der Krise alles passiert. Ich glaube, die Leute spüren, dass diese Krise nicht nur gesundheitlich ein Problem bedeuten kann, das aber irgendwann mit dem Impfstoff gelöst wird, sondern tiefe Auswirkungen auf die Wirtschaft haben wird mit ungewissem Ausgang, was die Jobs betrifft.“
In Bielefeld scheint die Welt einigermaßen in Ordnung zu sein, die Redaktion hat zu tun, und das, füge ich persönlich hinzu, ist auch gut so. Was wäre denn sonst? Nein, von Kurzarbeit sei die Redaktion kaum betroffen, sagt der Ressortchef Rinne. Da haben sie Glück in Ostwestfalen. Ich weiß aus anderen Häusern, in denen Kurzarbeit den Redaktions-Alltag bestimmt. Wenn keine Opern aufgeführt werden und keine Konzerte stattfinden, worüber soll der geschätzte Feuilletonist dann schreiben. Irgendwann hat er auch alle Bücher rezensiert, die ihm die Verlage geschickt haben. Der Historiker in der Redaktion kann sich noch mit Gedenk-Beiträgen zu 75 Jahre nach Kriegsende sinnvoll beschäftigen. Aber die Kollegin im Verlag, die für den Ticketverkauf zuständig ist, wird in Kurzarbeit gehen, solange es keine Konzerte gibt.
Vor ein paar Jahren haben wir mal ein Buch herausgegeben mit dem Titel: Zeitung unter Druck. Das ist bis heute so geblieben. Aber dass diese Zeitungen von ihren Kunden, den Lesern so nachgefragt werden, dass die Arbeit der Journalisten wieder mehr Wertschätzung genießt, wie das mein Gespräch mit Jörg Rinne von der Redaktionsgemeinschaft OWL gezeigt hat, ist ein erfreuliches Zeichen und entschädigt für manches andere.
Bildquelle: Neue Westfälische, Sarah Jonek
Sehr gute Beschreibung des Informationshungers, die aber nicht übersehen darf, dass etwa 25%der Menschen mittlerweile auf den Verschwörungskanälen unterwegs sind und viele Zeitungen Mühe haben, die Inseratenknappheit zu überleben.