An den „Lagerfeuern“ im Regierungsviertel Berlins erzählt man sich seit längerem die Geschichte der hunderte Millionen Schutzmasken, die vom Bundesgesundheitsministerium geordert wurden, die aber nicht verwendungsfähig sind und für die fast verzweifelt Verwendung gesucht worden ist. Auch der Versuch, Masken bei Verbänden abzusetzen, die sich um behinderte Menschen kümmern, war bekannt. Im Frühjahr 2020 berichteten beispielsweise solche Verbände, überraschend sei eine Million anti-Corona-Masken kostenlos angeboten worden, aber dann habe man plötzlich nichts mehr von diesem Angebot gehört. Nachfragen verliefen im Sand.
Über die Monate nach dem ersten Lockdown hinweg wurden im Bundestag immer wieder Anfragen eingebracht, die Auskunft über Beschaffungsmodus, Herkunft, Wirksamkeit, Vertragsbedingungen, Kosten und Verwendung von Schutzmasken haben wollten. Von Medien ausgewertet wurden solche Regierungsantworten kaum. Anderes stand im Mittelpunkt des Interesses.
So erklärte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion die Linke noch im Januar: „Nach derzeitigem Kenntnis- und Prüfungsstand werden über alle Beschaffungswege hinweg bis zum Ende des Jahres 2021 voraussichtlich mehr als 85 Prozent der beschafften Masken verkehrsfähig und damit für den Gesundheitssektor verwendbar sein.“ Nicht verkehrsfähig und nicht verwendbar – das ist die Abgrenzung der Bundesregierung von der Masse der Schutzmasken. Was ist mit dem Rest, der Differenz zu 100 Prozent?
Rechnet man vom Stand Dezember 2020 ausgehend: 5,7 Milliarden Masken geordert, vier Milliarden geliefert. Bei 85 Prozent als verkehrsfähig und verwendbar erklärten bleiben 600 Millionen Masken übrig, die nicht ausgeliefert und an Mann oder Frau gebracht werden dürften. Da kommt locker eine Milliarde zusammen.
Was aber bereits ausgeliefert wurde, löste auch folgendes aus: „Im Klinikum Ludwigshafen in Rheinland-Pfalz ist mit mangelhaften Filtermasken gearbeitet worden. Das zeigen Untersuchungen im Auftrag des ARD-Politikmagazins Report Mainz. Die Masken sollten Mitarbeiter und Patienten eigentlich vor Ansteckungen mit dem Corona Virus schützen und wurden nach Angaben der Klinik auch in den COVID-19- und Intensivstationen eingesetzt. Es handelt sich dabei laut Aufdruck um eine so genannte KN95-Maske aus China, deren Schutzstandard mit FFP2-Masken vergleichbar sein sollte. Report Mainz hat jeweils eine dieser Filtermasken, die von einer Pflegekraft des Klinikums zur Verfügung gestellt wurden, von einem Sachverständigen für Schutzausrüstung und einem Labor der DEKRA untersuchen lassen. Das Ergebnis: Es fehlten nötige Filterfunktionen der Maske, laut Laboruntersuchung würde sie 42,8 Prozent der Viren passieren lassen. Erlaubt sind maximal sechs Prozent.“ Einzelfälle?
Am 1. Dezember 2020 wies der Freistaat Sachsen per Pressemitteilung daraufhin, dass man „fünf Millionen Schutzmasken für Pflegeeinrichtungen und medizinische Einrichtungen zur Verfügung stelle….Sachsen verfügt aus der Erstbeschaffung im April 2020 über Reserven an entsprechende Masken, die zum Schutz von Risikogruppen beschafft wurden. Mit der Verteilung erfüllen die Masken nun genau diesen Zweck.“
Und dann ergänzt der Freistaat: „Sachsen verfügt über Vorräte an Schutzmasken, die dem Standard KN95 entsprechen. Diese Masken wurden nach chinesischem Standard geprüft und sind hinsichtlich der Filterleistung bei den für die Corona-Verbreitung relevanten Aerosolen wirksam.“
Exakt um diesen Standard geht es im Maskenstreit. Sie sind Standard der chinesischen Regierung. Sie entsprechen nicht der vollen Wirksamkeit der FFP 2 –Masken. Unter dem riesigen Bestand an Schutzmasken aus den „Erstbeschaffungen“, wie es in der Pressemitteilung Sachsens hieß, sind die KN95er in Massen vorhanden, außerdem Fälschungen und deutlich mindere Qualität. Was bedeutet: Schutzmasken – vorsichtig geschrieben – zweifelhafter Wirksamkeit waren abgegeben worden, auch an Einrichtungen für Behinderte. Auch nicht Neues an den „Lagerfeuern“.
Der Tagesspiegel zitierte im Februar 2021 den Fachmann der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Tobias Bleyer: „Da hier keine kontinuierliche Überwachung der Produktionsqualität durch den Hersteller vorgeschrieben ist, besteht das Risiko, dass schlecht produzierte, nicht ausreichend filternde Masken in den Handel gelangten.“
In Berlin waren Masken zweifelhafter Qualität in Krankenhäusern und Bezirksämtern aufgetaucht. Das Blatt zur Erklärung: „Als während der ersten Pandemiewelle medizinische Masken Mangelware waren, wollte der Gesetzgeber schnellen Nachschub ermöglichen und vereinfachte das Prüfverfahren, mit denen sogenannte Corona-Virus-Pandemie-Atemschutzmasken („CPA“) oder Pandemie-Atemschutzmasken zugelassen wurden. Diese wurden in Deutschland vereinfacht geprüft, zumindest die Funktion der wichtigsten Teile: die Filterleistung, die „Leckage“, also das Austreten ungefilterter Luft, und der Sitz am Gesicht.“
Im Bundesgesundheitsministerium wurde während der vergangenen Monate nach Möglichkeiten gesucht, den riesigen Bestand an Masken aus den Goldgräber-Wochen der Beschaffung irgendwie loszuwerden. Und selbstverständlich wurde überlegt, solche Masken an Behindertenverbände, an die Kommunen für Obdachlose und an Menschen abzugeben, die von der Grundsicherung leben. Es ging um eine Kampagne, an deren Ende die Verwendung hunderter Millionen Masken stehen sollte.
Das BMAS kam während der als endlos und schwierig geschilderten Verhandlungen mit Spahns Ministerium ins Spiel, weil es für den Arbeitsschutz zuständig ist. Die zuständige Abteilung 3 mit der unmittelbar zuständigen Unterabteilung ist „DNA“ des Ministeriums. Der Arbeitsschutz in Deutschland ist gut bis sehr gut, seine Hüter und Hüterinnen beinhart, wenn es um das Einhalten von Regeln und Gesetzen geht. Diese Abteilung wollten Spahns Vertreter dafür gewinnen, einer nicht den geltenden Regeln entsprechenden – vorsichtig formuliert „Produktbeschreibung“ zuzustimmen, die von den bisherigen Zertifizierungen abwich. So etwas hat Grenzen. Das klappte nicht. Die ironisch „Schraubenköpfe“ genannten Hüter der Arbeitssicherheit machten da nicht mit.
Und so wanderte der Schriftverkehr zwischen BMAS und BMG zum Magazin der Spiegel, der den Streit der Abteilungen und die angedachte Verwendung lustvoll publizierte. Wer hätte bei solchem Material nein gesagt!
Die Geschichte trägt in sich einen sehr zynischen Aspekt. Behindertenverbände klagen seit langem darüber, dass ihre Anliegen und Forderungen gegenüber Spahns Ministerium während der Corona-Pandemie immer wieder und wieder öffentlich eingeklagt werden mussten, bevor sie Berücksichtigung fanden. Immer wieder. Der Blog der Republik hat darüber vergangenes Jahr berichtet. Und heute noch herrscht Zorn.
Am 3. Juni protestierten die Verbände der behinderten Menschen in Deutschland dagegen, dass die „Finanzierung der Begleitung von Menschen mit Behinderung im Krankenhaus nicht geregelt“ (sei). Es sei eine Katastrophe, dass dieser Mangel in der Versorgung von Menschen mit Behinderung im Krankenhaus nach wie vor bestehe: „Der Missstand ist seit vielen Jahren bekannt und hat sich nicht zuletzt in der Corona-Pandemie und den damit einher gegangenen vermehrten Krankenhausaufenthalten verschärft“. Es gehe um Menschen, die auf Unterstützung angewiesen seien und die von einer vertrauten Person im Krankenhaus begleitet würden. Dies habe im „Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung“ (GVWG) von Minister Spahn, das nun auf den Weg gebracht sei, eingefügt werden können. Auch über diesen Aspekt wird an den „Berliner Lagerfeuern“ seit Jahren geredet, den Gesundheitsminister hat die Klage aber nicht erweichen können.
Bildquelle: Pixabay, Bild von Markus Winkler, Pixabay License