Irgendwann einmal, ich war so sechzehn oder siebzehn, hat mir meine Mutter eine Geschichte erzählt, die sie bis an ihr Lebensende bedrückte. Es war die Geschichte von dem Ehepaar, das wenige hundert Meter weiter wohnte, freundliche Leute, die man beim Bäcker oder im Milchladen 1944 traf, und das regelmäßig. Und auf einmal waren sie weg.
Damals, 1944. Ein Nachbar hatte mitbekommen, daß sie BBC London gehört hatten. Sie hatten das Radio, also den Volksempfänger, eine Spur zu laut gelassen. Und dieser Nachbar ist dann zu einem anderen Nachbarn, der für diese Straßen in Essen- Kray Blockwart war, gelaufen und hat ihm das erzählt.Der wiederum ist damit hin zur Gestapo, das Ehepaar war einen Tag später weg, man machte sich sogar die Mühe, es nach Berlin zu bringen, wo es vor den Volksgerichtshof kam und zwei Tage später wurden beide nacheinander geköpft.
Meine Mutter war damals 18.“Das, was ich mir am meisten vorwerfe, Axel, ist, daß ich das damals für richtig gehalten habe. Ich war im BDM, hatte dort eine tolle Zeit und war vernarrt in den Führer.“ Das sagte sie zu mir.“Ich habe die Denunzianten hinterher noch gegrüßt, nach dem Krieg waren sie ja auch staatserhaltende Demokraten.“ Sagte sie weiter.“Ich schäme mich mein Leben lang dafür, das alles nicht bemerkt zu haben.“
Warum ich das erzähle? Es wird jetzt gerne der Begriff „denunzieren“ mißbraucht, wenn jemand in Zeiten der Pandemie weitergibt, wenn sich Menschen in größerer Zahl versammeln und dadurch zu Infektionszentren für alle, die sich vernünftig verhalten, werden.Das ist eine Absurdität und Frechheit ohnegleichen.Die Denunzierten damals bezahlten mit ihrem Leben.Heute tun das eventuell die, die sowas nicht melden.Im schlimmsten Fall.
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