Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung, aber niemand hat das Recht auf eigene Fakten. Ich stieß vor ein paar Tagen auf der Feuilleton-Seite der „Süddeutschen Zeitung“ auf diesen alten Lehrsatz, der eigentlich selbstverständlich ist, aber in Zeiten von Corona eben nur „eigentlich“. Wobei es keine Rolle spielt, ob diese Weisheit von dem Historiker Horst Schlesinger stammt oder Bernard Mannes Baruch, einem Börsenspekulanten, zugeordnet werden oder Daniel P. Moynihan, einem New Yorker Senator. Die Regel bleibt richtig, wonach jeder seine eigene Meinung äußern darf, aber niemand berechtigt ist, seine eigenen Fakten zu schaffen. Zumindest in einem demokratischen Staat wie Deutschland sollte man darüber nicht streiten. Wer aber die Corona-Debatte verfolgt, hört doch immer wieder- wenn auch von einer Minderheit- Gegensätzliches. Gerade so, als gäbe es die Pandemie nicht. Dabei sprechen die täglichen Infektions- und Todeszahlen in Deutschland und in der ganzen Welt eine klare Sprache. Die Bedrohung ist da, Tag für Tag, sie kann jeden von uns, auch Jüngere, und an jedem Fleck der Erde erwischen. Es muss nicht jeder gleich krank oder gar schwerkrank werden und daran sterben. Aber wissenschaftlich unumstritten ist: Covid 19 ist keine Erfindung von bösen Menschen, die damit anderen nur Angst, die damit ein Geschäft machen wollen. Das Virus bedroht unser Leben. Es ist eine Naturkatastrophe, gegen die es gilt anzukämpfen.
Unvergessen sind für mich noch die ersten Diskussionen über Sinn und Unsinn von Mund-und-Nasenmasken. Dabei wurde von Anfang erklärt, dass die Maske den schützt, der einem gegenübersteht. Das Tragen der Maske verhindert, dass Aerosole, also was vom Mund ausgespuckt und von der Nase beim Nießen aussortiert wird, den Gegenüber treffen und anstecken können. Und damit ist auch klar, dass, wenn jeder eine solche Maske trägt, geschützt wird. Der eine schützt den anderen. Das hat auch was mit Solidarität zu tun. Warum das bis heute von solchen, die sich Querdenker nennen, in Zweifel gezogen wird, erschließt sich mir nicht. Gleiches kann man für die anderen Maßnahmen sagen: Wer Abstand hält, 1,5 oder zwei Meter, schützt den anderen und wenn der einem auch von der Pelle bleibt, schützt der mich. Oder nehmen wir das Beispiel Händeschütteln, bei dem Viren welcher Art auch immer übertragen werden können. Wenn wir darauf verzichten, passiert keine Infektion. Ähnlich die Sache mit dem Händewaschen. Hände nehmen den ganzen Tag irgendwo Viren auf, Schmutz, Schweiß, weil man irgendwas anfassen muss, sich festhalten will, eine Treppe hoch- oder runtergeht. Also sollte man danach, wenn man zu Hause ist oder im Büro, bei nächster Gelegenheit sich die Hände mit Seife und warmem Wasser waschen. Was ist daran so schwierig? Was soll da die Zumutung sein oder die Einschränkung von Grundrechten, Freiheiten?
Soziale Distanz kann vor Ansteckung schützen. Die Kanzlerin hat gesagt in aller Nüchternheit: Kein Kontakt ist besser als ein Kontakt. Was soll daran falsch sein? Wenn Wissenschaftler betonen, wir sollten auf soziale Kontakte verzichten, wenn deshalb ein sogenannter Lockdown verhängt wird, Kneipen dichtgemacht werden wie Kinos, Theater, Hotels, wenn die Züge der Deutschen Bahn nur noch für ein Drittel der Fahrgäste Platz anbieten, ist das doch eine verständliche Schutzmaßnahme. Der Staat nimmt Geld in die Hand, viel Geld, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, das ist eine Kraftanstrengung. Warum wird das kritisiert? Wenn Abstand gehalten werden soll beim Einkaufen, was soll daran falsch sein? Es mag etwas länger dauern bei Edeka und Rewe, in der Apotheke, na und? Jeder kriegt seine Ware und seine Medizin. Wieso kommt einer wie AfD-Fraktionschef Gauland dazu, im Bundestag von einer Corona-Diktatur zu faseln? So einen Unsinn hätte ich selbst einem wie dem nicht zugetraut. Wer glaubt denn so einen Quatsch?! Noch einmal: Es handelt sich bei Corona um eine Pandemie, eine Naturkatastrophe, die über die Welt gekommen ist, aber es ist doch keine Streitfrage, dass es sich um eine hochgradig gefährliche Virus-Erkrankung handelt. Der hoffentlich bald aus dem Weißen Haus verschwundene Donald Trump hat seine Leute mit Corona belogen, hat ihnen erzählt, dass es nicht mehr als eine Grippe sei. Er hat Corona wüten lassen, Millionen von Amerikanern wurden infiziert, Abertausende sind im Zusammenhang mit Corona gestorben. Mindestens fahrlässig nenne ich das Nichtstun dieses Präsidenten. Warum laufen ihm immer noch Tausende seiner Anhänger, die er hinters Licht geführt hat, hinterher? Habt Ihr noch immer nicht genug? Muss es noch schlimmer werden?
Zumindest die Wissenschaft sollte man anerkennen
In Deutschland gibt es einige Tausende Anhänger der sogenannten Querdenker-Bewegung, auch in Bonn und Umgebung sind sie zu Hause. Der Bonner „Generalanzeiger“ hat sie vor kurzem zu Wort kommen lassen. Das Gespräch mit der Bonner Gruppe „Querdenken 228“ hatte später in der Zeitung den Titel: „Grundgesetz muss Gültigkeit behalten“. Wer bitte schön hat versucht, die Gültigkeit der deutschen Verfassung in Zweifel zu ziehen? Zwei Vertreter der Gruppe wurden mit der Meinung zitiert, sie fänden nicht, dass die Würde des Menschen, persönliche Freiheitsrechte, Freizügigkeit und die Versammlungsfreiheit unter den derzeitigen Umständen noch gewahrt seien. Man fasst sich an den Kopf. Die Corona-Krankheit erkennen sie zwar an, nicht aber die von der Politik getroffenen Maßnahmen. Darunter die Maskenpflicht, wobei sie einräumten, dass sie bei ihren Veranstaltungen sehr wohl auf das Tragen von Masken wie dem Einhalten des Mindestabstands gesorgt hätten. Auch distanzierten sie sich von Rechtsextremisten. Immerhin. Allerdings sehen sie die anstehenden Massenimpfungen „kritisch.“ Der Artikel in der Bonner Zeitung verschweigt nicht, dass der Ursprung der Querdenken-Bewegung in Stuttgart liegt und dort den Namen „Querdenken 711“ trägt. Diese Gruppe wird inzwischen vom Verfassungsschutz beobachtet, weil gewichtige Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen vorlägen. So sehe der Verfassungsschutz ideologische Überschneidungen mit „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern.“
Es ist nicht leicht, sich mit Leuten, die sich „Querdenker“, nennen, vernünftig zu unterhalten oder sich zu streiten. Wie soll das gehen, wenn sie nicht einmal das Tragen der Maske akzeptieren? Das hat nichts damit zu tun, dass die Gesellschaft gespalten sei. Dazu ist die Gruppe der Corona-Demonstranten dann doch zu klein. Auch wenn man die Impfgegner dazu rechnet, bleiben sie eine Minderheit, die sich gegen die da oben wendet, gegen die Elite oder die, die sie dafür halten. Dazu zählen sie wohl auch die Wissenschaft, die Forschungsinstitute, die ja einen nicht zu unterschätzenden internationalen Ruf haben. Dazu zählt gewiss das RKI, um das uns Nachbarn beneiden. Wie auch immer, beschäftigen müssen wir uns mit ihnen, zumindest mit denen, die für Argumente noch zugänglich sind. Deshalb wäre es ratsam, bei der bald einsetzenden Massenimpfung umsichtig vorzugehen und die Vorgehensweise immer wieder zu erklären. Man muss den Menschen sagen, warum der erste Schritt der erste sein muss. Sie müssen es verstehen können. Und wenn es Schwachstellen gibt, müssen sie als solche erkannt und beseitigt werden. Die Bürgerinnen und Bürger müssen Vertrauen finden in dem, was die Politik beschließt und wie sie es umsetzen lässt. Es müssen Kontrollen stattfinden, sichtbar für Jedermann.
Ein ganzes Land zu impfen , ist eine Herkules-Aufgabe, die dazu da ist, Millionen Menschen vor der Krankheit, vor der man zu Recht Angst hat, zu schützen. Zunächst Risiko-Gruppen zu impfen, erscheint sinnvoll, also die Alten in den Heimen, die Pflegebedürftigen, alle die, die besonders gefährdet sind im Falle einer Ansteckung. Dass die Gesundheitsberufe, die Pfleger, Krankenschwestern und Arzte darunter sein müssen, dürfte natürlich sein. Dass sich nunmehr viele Verbände zu Wort melden und ihre Ansprüche anmelden, war zu erwarten, muss aber nicht weiter erschrecken. Allerdings sollten sie der Frage nachgehen, die der Gesundheits-Experte der SZ aufgeworfen hat: Wenn es stimmt, dass Infektionen nicht in Heimen entstehen, sondern von außen hereingetragen werden, dann müsste zunächst dort, vor den Heimen, ein Schutzschirm aufgebaut werden. Diejenigen, die die Heime betreten, müssten als erste geimpft werden.
Fragen, die in aller Ruhe und ohne Hysterie diskutiert werden sollten. Es ist nicht die Zeit für Verschwörungstheoretiker und auch nicht für solche, die sich Querdenker nennen. Wir brauchen eine konstruktive Diskussion. Die Kanzlerin macht es seit Monaten vor, die Ministerpräsidenten sollten es ähnlich halten. Es geht nicht um rechts oder links, es geht um mehr: Um die Gesundheit von Millionen Menschen.
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