Der Name Christoph Zöpel ist für mich untrennbar mit zwei wegweisenden Entscheidungen verbunden, die für industriell geprägte Stadtlandschaften Mitte der 1980er Jahre geradezu revolutionär waren: Massive Investitionen in den öffentlichen Personennahverkehr und die Erhaltung der Industriekultur oder besser: die Anerkennung alter Industrieanlagen als Kultur. In einer Zeit, als die Philosophie von der „freien Fahrt für freie Bürger“ in zunehmenden Staus, verpesteter Luft und zerschnittenen Siedlungsräumen zur Farce geraten war, lag der konsequente Ausbau von Bus- und Bahnverbindungen zwar nah, aber er hatte immer noch etwas an sich, das uns Deutschen unser liebstes Kind vergällen wollte: das Auto. Für mich als Aktivist in Sachen ökologischer Verkehrspolitik und später dann im Jahr 1986 Mitbegründer des umweltorientierten Verkehrsclubs Deutschland (VCD) war ein Politiker, der unverdrossen für eine Wende in der „autogerechten“ Verkehrspolitik eintrat, ein absoluter Hoffnungsträger. Christoph Zöpel hat die Hoffnungen nicht enttäuscht.
Mit seiner Förderung der Industriekultur verhielt es sich nicht anders. Der Zeitgeist drängte nach einer Erneuerung durch Ausradieren von Spuren. Stillgelegte Zechengebäude, Hochöfen und Gasometer galten als Zeichen des Niedergangs. Dass sie das hier und da durchaus narbige, aber auch unverkennbare Gesicht von Regionen ausmachten, sahen nur wenige. Die meisten wollten „Modernes“ – um den Preis der Aufgabe jedweden Wiedererkennungswertes. Erhalten, Erneuern und Umsteuern zugleich, nämlich „erhaltende Stadterneuerung“, mit diesem scheinbaren Widerspruch war ich also vielfach konfrontiert, als ich von der Industrie kommend über die Tätigkeit eines wissenschaftlichen Assistenten am Institut für Verkehrswissenschaft an der Uni Köln 1984 in die Staatskanzlei Nordrhein-Westfalens wechselte, die damals für das Landesentwicklungsprogramm und den Landesentwicklungsbericht zuständig war. So ergaben sich erste Berührungspunkte zunächst mit dem Ministerium für Landes- und Stadtentwicklung und nach der Landtagswahl 1985 mit dem Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr. Aus diesen ressortbezogenen Kontakten erwuchs im Laufe der Zeit auch eine persönliche Beziehung zum zuständigen Minister Christoph Zöpel. Eine Verbundenheit, für die ich bis heute dankbar bin.
Dankbar, weil der intellektuelle Austausch, oft auch die sachliche, ja auch provokative Auseinandersetzung in den über 30 Jahren, die wir uns auf der beruflichen Ebene, in der politischen Zusammenarbeit innerhalb der SPD und im persönlichen Gespräch begegnet sind, immer wieder zu neuen Einsichten und Erkenntnisse Anstoß gab.
Christoph Zöpel ein – wie er sich selbst einmal charakterisierte – „leidenschaftlicher Intellektueller, der in die Politik geraten ist“, war als Minister schon deshalb eine Ausnahmeerscheinung, weil er 1978 mit 34 Jahren unter Ministerpräsident Heinz Kühn als Minister für Bundesangelegenheiten das weitaus jüngste Kabinettmitglied war und es bis 1990 unter Johannes Rau auch blieb.
Acht Lebensjahre jünger als Christoph erschlossen sich mir einige frühere Stationen seines politischen Wirkens erst nach und nach – aus direkten Begegnungen und aus Erzählungen eines seiner langjährigen Wegbegleiters in den Achtundsechzigern, der später ebenso lange Jahre mein Chef und Vorgänger als Regierungssprecher Johannes Raus war: Wolfgang Lieb. So erfuhr ich, dass Christoph Zöpel aus der Studentenbewegung kommend, in West-Berlin politisiert, unmittelbar nach seinem Abschluss als Diplomökonom an der Ruhr-Universität seinen persönlichen „Marsch durch die Institutionen“ angetreten hatte. Von 1965 bis 1967 war er Bundesvorsitzender des Sozialdemokratischen Hochschulbundes (SHB), danach -während seiner Promotionszeit – ab 1969 Stadtverordneter seiner neuen Heimatstadt Bochum, von 1972 an 18 Jahre Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen und von 1978 bis 1990 Landesminister, danach 15 Jahre Mitglied des Deutschen Bundestags, von 1999 bis 2002 Staatsminister im Auswärtigen Amt. Auch in führenden Ämtern unserer Partei und in unzähligen Mitgliedschaften in nationalen und internationalen Organisationen bis hin zum Exekutivkomitee der Sozialistischen Internationalen hat er seine Spuren hinterlassen.
Christoph Zöpel kam von der Wissenschaft und er hat auch als Politiker bei allem Pragmatismus immer auch eine wissenschaftliche Neugierde behalten und mit Daten und Fakten gegen gängige Vorurteile angekämpft. Gar nicht nach der Art eines eher nach Kompromissen suchenden Politikers hat er oft die Konfrontation in der Sache gesucht. Gegen die nach dem Krieg üblich gewordene Kahlschlag-Sanierungen in den Städten und den rücksichtslosen Flächenverbrauch setzte er eine behutsame, intelligente und „erhaltende Stadterneuerungspolitik“ durch. Gegen den massiven Widerstand von Bauwirtschaft und Wohnungsbaugesellschaften kämpfte er für ein städtebauliches Denken vom Bestand her, für den Erhalt historischer Stadtkerne, für Denkmalförderung und Nachhaltigkeit.
Sätze wie „Abbrechen können wir immer noch“, „lieber kleiner als zu groß“, „Grün in die Stadt“, „mehr Raum für Fußgänger“, „Spielraum für Kinder“, „eine Straße weniger kann mehr sein als eine Straße zu viel“ sind mir bis heute im Ohr. Angesichts solcher Leitgedanken war es geradezu widersinnig, dass Christoph Zöpel in seiner Amtszeit vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss für die Gigantomanie des nach seiner Auffassung unsinnigen, ja sogar technikgrößenwahnsinnigen Bau des Aachener Universitätsklinikums geradestehen musste. Wie ein Politiker, der gegen Hochbau und inhumane bauliche Verdichtung ankämpfte, paradoxerweise in eine Sündenbockrolle gedrängt werden kann, musste er erfahren, als ihm der Kauf von rund 40.000 Wohnungen durch die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) als angeblicher Beweis für sozialdemokratische Kumpanei mit dem in Konkurs gegangenen gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen „Neue Heimat“ ausgelegt wurde. Heute weiß man, dass nicht der Kauf ein Sündenfall war, sondern die Privatisierung dieser Sozialwohnungen nach seiner Zeit als Landesminister.
Seine städtebauliche Handschrift kann man in den historischen Stadtkernen vom linken Niederrhein bis hin ins Ostwestfälische bewundern. Historische Stadtkerne, das heißt für Christoph Zöpel nicht nostalgische Idylle oder gar abgestandener Kitsch, sondern zukunftsorientierte Verankerung in der Geschichte. Zu dieser Geschichte gehört für ihn das – wohlgemerkt nicht konservative, sondern demokratische – Preußentum mit seiner Disziplin, aber auch seiner durch die Stein-Hardenbergschen Reformen grundgelegten Selbstorganisation. Die Gründung eines Preußenmuseums in seiner – nach dem ehemals preußischen Gleiwitz und heute polnischen Gliwice – zweiten Heimatstadt Minden und ein Museum, das die preußische Vergangenheit in der Rheinprovinz im Bewusstsein halten sollte, trieb Christoph Zöpel aus geschichtspolitischer Überzeugung voran. Noch weiter, nämlich 400 Jahre zurück in die Geschichte, reicht das Weserrenaissance-Museum im Schloss Brake, das gleichfalls in der Amtszeit des Denkmal-Pflegers Zöpel entstand. Dass Denkmale auch mit der Moderne verbunden werden können, hat Zöpel am Ende seiner Amtszeit in Nordrhein-Westfalen mit dem Anstoß zur „Stiftung Museum Schloss Moyland“ bewiesen, das später eine der umfänglichsten Sammlungen von Zeichnungen, Malereien und Objekte des niederrheinischen Avantgardisten Joseph Beuys beherbergen sollte.
Willy Brandts Forderung aus dem Jahr 1961 nach einem „blauen Himmel über der Ruhr“ blieb für ihn keine Vision, sondern politischer Auftrag, den er mit geradezu preußischer Disziplin, langem Atem, ergebnisorientiert und effizient anging. Der Strukturwandel der „Agglomeration Ruhr“, wie er das „Ruhrgebiet“ bis heute nennt, hin zu einer „ruhrbanen Kulturlandschaft“ ist von ihm in einem Verständnis von Raumordnung als „Instrument der Gesellschaftsreform“ vorangetrieben worden. Mit der von Christoph Zöpel schon in den 80er Jahren initiierten und später von Karl Ganser geleiteten „Internationalen Bauausstellung Emscher Park“ (IBA) wurden industriekulturelle und landschaftliche Infrastrukturprojekte, bedeutende Orte der Naherholung und der Kultur geschaffen, so etwa die Jahrhunderthalle in Bochum, der Gasometer in Oberhausen oder der Landschaftspark Nord in Duisburg. Die IBA hat weit über das nördliche Revier hinaus internationale Anerkennung gefunden und war ein tragender Grundstein dafür, dass „RUHR.2010“ zur Kulturhauptstadt Europas wurde. Noch lange nach seinem Ausscheiden aus seinen Ministerämtern, kämpft er nach wie vor mit Zahlen und Statistiken als „Zivilbürger“ gegen den Kleinmut und gegen nostalgische Mythen einer Montanregion und für die „Weltstadt Ruhr“, die für ihn von Bonn bis Hamm reicht und die er allzu gern nur noch „Ruhr“ nennen möchte und er leidet daran, dass die „Agglomeration Ruhr“ mit ihren metropolitanen Funktionen, als eine der vielfältigsten und dichtesten Kultur- und Wissenschaftslandschaften ihre Chancen nicht ergreift oder aber, dass der „größten Stadt Deutschlands“ ihr Aufstieg vorenthalten wird.
Als Regierungssprecher habe ich Christoph Zöpel einige Male im Kabinett erlebt, wie er mit intellektuell zugespitzten Positionen, kleines Karo verachtend, ungeduldig und leidenschaftlich für seine Stadtentwicklungs-, Wohnungsbau-, Verkehrs- oder Denkmalschutzpolitik gekämpft hat. Ministerpräsident Rau hatte es in seinen Kabinetten nicht immer leicht mit Zöpels Positionen, aber er wusste um die Wichtigkeit unterschiedlicher Meinungen gerade in einer Regierung mit absoluter Mehrheit. Ich kann mich jedoch selbst bei heftigsten verkehrspolitischen Angriffen nicht daran erinnern, dass Johannes Rau ihm nicht Rückendeckung geboten und ihn bei mancher Kritik nach innen nicht öffentlich verteidigt hätte. Je größer sein Abstand zur nordrhein-westfälischen Politik mit seinem Weggang nach Berlin wurde, desto mehr rühmte Christoph Zöpel die Regierungskunst und die „zivile Humanität“ von Johannes Rau.“
Christoph Zöpels Zeit als Staatsminister im Auswärtigen Amt unter Außenminister Joschka Fischer bedeutete keine Abkehr von seinem Interesse an Siedlungsräumen samt ihren Herausforderungen und Perspektiven. Für ihn war das Lokale und Regionale immer gleichzeitig auch das Internationale, ja das Globale. Das hat er in seinem Magnum Opus „Politik mit 9 Milliarden Menschen in einer Weltgesellschaft“ dargelegt, wo er angesichts der Globalisierung und des Weltbevölkerungszuwachses nach einem notwendigen und möglichen Weg hin zu einem globalen Regieren suchte.
Deshalb überrascht es nicht, dass er nach seiner Amtszeit mit 63 Jahren die Chance erhielt, wissenschaftliche Raumplanung und ihren internationalen Kontext zu bündeln. Er nahm eine Professur an der „School of Architecture and Built Einvironment“ an der German Jordanian University (GJU) in Amman an. Das eröffnete ihm nach eigener Aussage eine nichteuropäische Sicht auf die Entwicklung der Welt und ihrer Städte. Zugleich spannt er den – gefühlt – noch viel größeren Bogen zwischen dem Rheinland und Westfalen. Er ist Vorsitzender des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz und zugleich Honorarprofessor an der Fakultät für Raumplanung der Technischen Universität Dortmund. Mehr Beleg für seine integrative Kraft und für Zukunftsvision ist kaum vorstellbar. Christoph Zöpel ist eine große Persönlichkeit Nordrhein-Westfalens und weit darüber hinaus!
Erstveröffentlicht in: Wolfgang Roters/Horst Gräf/Hellmut Wollmann (Hg.): Zukunft denken und verantworten. Herausforderungen für Politik, Wissenschaft und Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Springer VS, Heidelberg 2020, 808 S., 69,99 €.
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