Christoph Peters, den es schon vor längerer Zeit aus der niederrheinischen Provinz in die Hauptstadt zog, hat sich viel vorgenommen. Als der erfolgreiche Schriftsteller 2018 mit dem Wolfgang-Koeppen-Preis ausgezeichnet wurde, reifte in ihm der Plan, auf den literarischen Spuren des legendären Chronisten der „Bonner Republik“ zu wandeln, eines Mannes also, der sich nicht zuletzt mit seiner „Trilogie des Scheiterns“ aus den frühen 1950er Jahren selbst ein Denkmal setzte, danach aber viele Wünsche seines Verlegers Siegfried Unseld, von Lesern und Kritikern offen ließ. Peters nahm zunächst an Koeppens schonungsloser Abrechnung mit der Adenauer-Ära („Das Treibhaus“) Maß und schuf mit seinem Roman „Der Sandkasten“ ein ebenso unbarmherziges Sittengemälde des politisch-medialen Komplexes an der Spree, das die Berliner Mixtur aus Kungelei, Opportunismus und Niedertracht bloßstellte. Nun, gerade mal ein Jahr später, lässt Peters mit „Krähen im Park“ die nächste Annäherung an Koeppen folgen, dieses Mal mit dessen Buch „Tauben im Gras“ von 1951 als Hintergrund, in dem es um die gleichermaßen verkommene wie verklemmte Moral im Nachkriegs-Deutschland geht. Während Koeppen die gesellschaftlichen Zustände seiner Heimatstadt München ins Visier nahm, beschäftigt sich Peters mit den Neurosen und Beziehungsproblemen der Berliner. Rassismus war und ist hier wie dort ein Thema, auch neuerdings spielen Fluchtbewegungen eine Rolle. Bei Koeppen sind es die Vorurteile, mit denen besonders Farbige damals in Bayerns Metropole zu kämpfen hatten, bei Peters eher zeitgemäße Formen von Ressentiments – die Schwierigkeiten einer Deutschen durch ihre Liaison mit einem Türken, der fern ihrer jeweiligen Heimat ausgetragene Konflikt von Arabern und Afghanen, der sogar in einen Mord mündet. Heimatlos erscheinen viele Figuren in diesem Umfeld, nicht bloß die Zugezogenen. Von den Protagonisten des ersten Romans lässt Peters nur noch den Gesundheitsexperten Professor Rolf Bernburger alias Karl Lauterbach durch die Berliner Kulisse geistern, der sich immer noch Hoffnungen auf einen Ministerposten macht, doch die Regierungsbildung erweist sich als langwierig. Statt mit eifersüchtigen SPD-Genossen oder missgünstigen Konkurrenten anderer Parteien muss sich Bernburger mit den Irrwegen seines Sohnes befassen, der (ausgerechnet!) den Verschwörungsmythen von Corona-Leugnern auf den Leim geht. Die Berliner Kultur-Schickeria wird in den schwankenden Figuren einer in die Jahre gekommenen Netzwerkerin persifliert, in einem mit einer Influencerin zusammenlebenden Schriftsteller (man denkt sofort an Koeppen), dem es nicht gelingen will, sein nächstes Buch zu schreiben, und weiteren szenetypischen Akteuren von Mitte, Prenzlauer Berg und Charlottenburg. Peters verdichtet all dies zu den Geschehnissen eines einzigen Tages, des 9. November 2021, an dem Lockdown herrscht, aber kein Stillstand:“Es war ein schlechter Tag gewesen. Vielleicht ein guter Tag. Ein beliebiger, einmaliger Tag in einer ungezählten Folge von Tagen, seit die Erde sich um die Sonne dreht.“ Der Autor ist ein analytischer Beobachter und lebhafter Erzähler, er verfügt über Tiefsinn wie Humor und liefert das Vexierbild einer fiebrigen Gesellschaft am Vorabend jener „Zeitenwende“, die kurze Zeit später mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ausgerufen wird. Man darf gespannt sein, wie Peters seine Trilogie demnächst abschließt. Wolfgang Koeppens dritter Roman erschien 1954, Titel:“Der Tod in Rom“. Christoph Peters, Krähen im Park. Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2023. 320 Seiten. 24,00 Euro.
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