Wir haben eine „Nobelpreisträgerin aus Berlin“, hieß es am Donnerstag im Tagesspiegel.
Tatsächlich. Wahnsinn. Die Bundeswissenschaftsministerin gratulierte. Andere folgten. Was war?
Eine junge Frau, die seit einigen Jahren in Berlin arbeitet, Emmanuelle Charpentier, hatte zusammen mit einer US-amerikanischen Kollegin den Nobelpreis für herausragende Forschung auf dem Gebiet der Chemie zugesprochen bekommen. Die beiden haben Verfahren entwickelt, durch welche es Routine wird, alltägliches Vorgehen, in die genetische Ausstattung eines/von Menschen einzugreifen, Teile zu entfernen und durch andere Teile zu ersetzen. In der Tagesschau vom Mittwoch wurde ein wenig verdusselt und drömelig von einem umstrittenen Verfahren geredet, aber das sogleich mit der Aussicht auf Erfolge in der Medizin verbunden: Krebsbekämpfung, Alzheimer.
Wir sollten einen Schritt zurücktreten, ein wenig nachdenken. Was verbindet uns in der Weltgesellschaft denn noch? Für den marxistischen Historiker Eric Hobsbawm war das 20. Jahrhundert das „Zeitalter der Extreme“, weil es nicht möglich war, dass sich die Menschen auf eine allgemeine Fortschritts- Vorstellung einigen, sondern vielmehr zuließen, dass sich die Ideologien nach Belieben auslebten. Die tröstende Vorstellung der „Humani Generis Unitas“, der Einheit des Menschengeschlechts, die wurde ins nächste Jahrhundert verschoben.
Da sind wir nun. Bürgerrechte, auf der Mitte des Zeitalters der Extreme zur Norm erhoben, zählen nur eingeschränkt. Selbst in den Demokratien der Europäischen Union wird an Bürgerrechten mit der Schere gearbeitet. Es ist unentschieden, ob wir es schaffen, die Erde auf der wir leben, zu erhalten. Folgen wir klugen Leuten wie Adam Tooze, dann stehen die Gesellschaften zudem vor ökonomisch- kulturellen Auseinandersetzungen ohne Beispiel. Es schiebt sich also einiges auf die Kippe.
Und nun wird etwas ausgezeichnet, was der Medizinethiker Robert Ranisch mit Blick auf Emmanuelle Charpentiers Arbeit so beschreibt: „…derartige Keimbahneingriffe verändern das biologische Band zwischen den Generationen“. (Robert Ranisch: Zuerst war es nur Wahnsinn. FAZ vom 8. Oktober 2020 Seite 12).
Verändern? Sie unterbrechen es. Das ist dann unabänderlich. Kein Rückgaberecht. Unsere Vorstellung von Würde ist an die Einmaligkeit der jeweiligen Existenzen geknüpft. Gilt diese Einmaligkeit dann noch, wenn solche Eingriffe Alltag sind?
Zum Jubeln und für Blumensträuße geeignet ist dieser Chemie-Nobelpreis nicht.
Bildquelle: Pixabay, Bild von Gerd Altmann(geralt), Pixabay License