„Wir dürfen Frauen, weil sie Burka oder Niqab tragen, nicht von Bildung ausschließen“, sagte Ilka Hoffmann, die dem Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) angehört. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, hingegen begrüßte das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück, das eine 18-jährige Muslima vom Unterricht am Abendgymnasium Sophie Scholl ausgeschlossen hat, solange sie tief verschleiert zum Unterricht kommt. Das Tragen von Burka oder Niqap würde nicht zum Unterrichtsgeschehen in Deutschland passen, heißt es in dem Urteil.
Die junge Frau hatte sich im April bei der Schule angemeldet und war zunächst auch aufgenommen worden. Bis dahin ein ganz normaler Vorgang und lobenswert, wenn ein verpasster Schulabschluss auf dem „Zweiten Bildungsweg“ nachgeholt wird. Zumal: Aus ökonomischer Sicht wird Bildung als eine Investition in die Fähigkeiten der Bevölkerung angesehen, wobei der Bildungsauftrag in Deutschland bekanntlich über die Schulgesetze der jeweiligen Bundesländer geregelt wird.
Doch zurück zu diesem Fall, der überhaupt nur existiert, weil die Schülerin, die deutsche Staatsbürgerin ist, einen Niqab, also eine Vollverschleierung mit Augenschlitz trägt. Zur Feststellung ihrer Identität war sie vor Unterrichtsbeginn nur gegenüber einer weiblichen Schulmitarbeiterin bereit, ihren Schleier zu lüften. Das genügte dem Gymnasium jedoch nicht, weshalb die Unterrichtszulassung der Frau tatsächlich auch widerrufen wurde.
Die Niedersächsische Migrationsbeauftragte, Doris Schröder-Köpf (SPD), zeigte zwar Verständnis für die Haltung der Osnabrücker Schule und die Entscheidung des Gerichts, betonte aber, dass die Gesellschaft kein Interesse daran haben könne, eine Schülerin vom Erlangen der Hochschulreife abzuhalten. Ein Schulabschluss sei der Schlüssel zu Teilhabe und Emanzipation. Schröder-Köpf bringt damit das ganze Dilemma, ja die Unsicherheit zum Ausdruck, die all jene erfasst, die unabhängig von einem wie auch immer gearteten ideologischen Denkkorsett eine bestmögliche Lösung für alle Beteiligten anstreben: für verschleierte Frauen genauso wie für eine freizügige und emanzipierte Gesellschaft, in der Menschen, die Gesicht und Körper verbergen, fraglos ein Fremdkörper sind, der die Frage nach dem Ende der Toleranz stellt.
In dieser Gemengelage ist es nicht nur extrem schwierig, einen sachlich-lösungsorientierten Diskurs zu führen. Es ist tatsächlich auch eine Hilfslosigkeit spürbar, was die Frage nach dem „richtigen“ Weg heraus aus der Zwickmühle angeht. Es ist ein hoch politisches Thema, das nur auf Länderebene geregelt werden kann. Die Schulen dürfen mit der Lösung von gesellschaftlichen Themen aber nicht alleine gelassen werden.
Um etwas mehr menschliches Verständnis in derartige Problemlagen im schulischen Bereich zu bringen, müsste innerhalb unseres förderal organisierten Bildungssystems und aus ihm heraus noch viel stärker beigesteuert werden. Die Schulen sollten ihren gesamtgesellschaftlichen Auftrag auch für die Entwicklung von ethisch-moralischen Grundwerten noch viel ernster nehmen, und dafür gibt es auch Ansätze.
Wie kann Schule präventiv gegen Populismus und Extremismus wirken?
Zunächst einmal bedürfte es in Anbetracht der weiterhin steigenden Zahlen an Schülerinnen und Schülern nicht deutscher Herkunft sowohl bei der Lehrer- wie auch bei der Erzieherschaft einer noch viel intensiveren Aufklärung bzw. Schulung bezüglich dessen, was als sogenannte „Interkulturelle Kompetenz“ umschrieben wird. Was den schulischen Bereich angeht, so hat die Kultusministerkonferenz (KMK) das Thema längst als eine übergreifende Aufgabe definiert (KMK 2013), und dies entspricht auch dem gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (GeR 2001). Seither ist eine Menge geschehen. So existieren in allen Bundesländern mittlerweile entsprechende Schulungen, doch handelt es sich eben nicht um einen regulären Bestandteil der Lehrerausbildung, sondern um optionale und somit nicht verpflichtende Zusatzqualifikationen. Dies sollte sich ändern und zwar auch für Gymnasiallehrer sowie für Referenten und Dozenten in den Weiterbildungsinstitutionen, die nur allzu gerne ihren „Stoff“ durchziehen, ohne sich mit den Menschen im Klassenraum auseinanderzusetzen oder von Zeit zu Zeit fächerübergreifende Themen von gesellschaftlicher Brisanz aufzugreifen.
Leider mangelt es vielen Lehrerinnen und Lehrern auch an einer ganzheitlichen politischen Bildung im Sinne eines modern ausgelegten Studium, das sie unabhängig von den jeweiligen Lehrfächern in die Lage versetzen könnte, Planspiele zur europäischen Asylpolitik, wie sie etwa die Organisation „planpolitik GbR“ aus Berlin entwickelt hat, in den Unterricht einfließen zu lassen und kompetent zu begleiten. Dabei übernehmen die Jugendlichen unterschiedliche politische Positionen. Sie vertreten Fraktionen und Länder und arbeiten in Ausschüssen zu Außenpolitik, Menschenrechten und auch juristischen Fragen. Die Schüler müssen schließlich über Flüchtlingsquoten abstimmen, über sichere Drittstaaten entscheiden und darüber, wie die finanziellen Lasten verteilt werden. Ein Einreiseverbot für Muslime oder Obergrenzen können ebenfalls zum Thema werden. Die Schüler lernen: Es kann extrem anstrengend sein, einen demokratischen Kompromiss zu finden – und es kommt dabei nicht immer der große Wurf heraus. Sie lernen, dass an den Menschenrechten in unserer Verfassung niemand so leicht vorbeikommt, schärfen ihre Meinungen und sind anschließend oftmals eher davon überzeugt, politisch auch selbst etwas bewirken zu können, womit populistische ausschlachtbare Ohnmachtshaltungen a`la „Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen“ zurückgedrängt werden. Solche kreativen Experimente können zwar nicht alle Probleme im Klassenzimmer lösen, sind aber wichtige Bausteine, um die politische Willensbildung anzuregen, demokratische Prozesse besser verstehen- und Konflikte entschärfen zu können.
Im konkreten und fraglos sehr extremen Fall der Niqab-Trägerin von Osnabrück wäre es vom deutschen Bildungssystem sicherlich zu viel verlangt, eine eventuell familiär bedingte Entscheidung, die die betroffene Frau allem Anschein nach sogar als eigenen Willen verinnerlicht hat, nachträglich revidieren zu können. Auf allen Stufen der Bildungspyramide sollte es aber dennoch das Ziel sein, fundamentalistische Entwicklungen aller Art frühzeitig zu erkennen, nach Kräften abzufangen, und dabei die Freude am menschlich fehlbaren demokratischen Prozess anzukurbeln.
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