Es sind nur noch knapp zwei Wochen bis zur Bundestagswahl. Die Demoskopen haben Hochkonjunktur; vor allem die Medien gieren nach immer neuen Umfrageergebnissen. Dabei liegen CDU und CSU seit Monaten weit vorn – mit 37 bis 40 % – und die SPD befindet sich seit dem Schulz-Hype im Sinkflug – von einst 30 % in Richtung 20 % oder etwas darüber. Spannend gestaltet sich das Rennen der kleineren Parteien, denn FDP, Linke und AfD pendeln jeweils um die Marke von 8 bis 10 %, während die Grünen bei 6 bis 8 % liegen. Was die Wahlberechtigten anbetrifft, die noch unentschlossen sind, welche Partei sie wählen oder ob sie überhaupt an die Wahlurnen am 24. September gehen werden, so ist mal von 25, mal von fast 40 % die Rede.
Der Traum vom Kanzleramt
Alles ist also noch offen. Lediglich sicher kann davon ausgegangen werden, dass die Union mit ihrer Wahllokomotive Angela Merkel, Platz 1 erreichen wird. Ihr Herausforderer, der laute, aber sonst recht brave Martin Schulz wird mit der SPD wieder einmal nur die zweite Position erringen. Damit wird nicht allzu viel anzufangen sein, um die Blütenträume vom Kanzleramt zu realisieren. Die Sozialdemokraten werden damit die stärkste Oppositionsfraktion stellen können; doch viele Genossen werden sich an Franz Müntefering erinnern, der einst lieber auf den weichen Bänken der Regierungskoalition als auf den harten Sitzen der Opposition Platz nahm und bemerkte: „ Opposition ist Mist“. Das jüngste Angebot von Martin Schulz an Angela Merkel, sie könne unter ihm Vizekanzlerin werden, wirkte geradezu hilflos und lächerlich. Seine frühere Option auf eine rot-rot-grüne Mehrheit ist eine Fata Morgana mit fataler Wirkung auf potenzielle Wähler gewesen und geblieben, die von der überwiegenden Mehrheit der Bürger nicht gewollt ist und die SPD mangels anderer Optionen kräftig dezimiert hat. Nach der Bundestagswahl und den letzten Landtagswahlen wird sich die Frage stellen: Quo vadis, SPD? Geht dann auch Niedersachsen am 15. Oktober verloren, wird es noch bitterer für die Genossen und vor allem auch für Martin Schulz.
Herausforderer ohne Biss
Denn das Urteil der Partei über ihren aktuellen Kanzlerkandidaten wird bei einer deutlichen Niederlage mindestens so hart ausfallen wie zuvor über Steinbrück und andere. Ohne Zweifel ist es Schulz nicht gelungen, als Herausforderer die Themen zu intonieren, die große Teile der Bevölkerung bewegen und die die Attraktivität der SPD hätten steigern können. Als Herausforderer blieb Martin Schulz mehr oder weniger in Deckung, von einer gekonnten und fundierten Offensive weit entfernt. Die Kanzlerin musste nicht einen Treffer parieren, das so heiß erwartete Duell wurde zum pas de deux, wobei Merkel den Schritt vorgab.
Die Ängste der Deutschen
Gewiss geht es den meisten Menschen in Deutschland recht gut: Die Wirtschaft wächst, die Preise sind stabil, die Arbeitsplätze zumeist sicher. Doch viele haben Sorgen und Ängste, bei denen sie von der Politik zumindest Gehör erwarten sowie auch konkrete Lösungen und Hilfen erhoffen. Die Skala der Ängste reicht von Terrorismus, den 71 % befürchten, über politischen Extremismus (62 %), Spannungen durch den Zugang von Ausländern (61 %), Schadstoffe in Nahrungsmitteln (58 %) bis hin zum Pflegefall im Alter (52 %). Die wichtigsten Themen sind Flüchtlinge, die Türkei, der US-Präsident Trump und auch die Diesel-Affäre. Das alles wurde von Martin Schulz und seinen Wahlkampfstrategen nur unzulänglich oder fast gar nicht aufgenommen. So verwundert es wohl kaum, dass 48 % der Bürger im Großen und Ganzen mit der Politik der Kanzlerin einverstanden sind – und gerade einmal 25 % nicht. Ihr vertrauen die meisten, dass sie in dieser außenpolitisch schwierigen Situation die Probleme mit Putin, Trump, Erdogan und Kim noch am besten lösen wird, denn sie genießt weltweit eine hohe Reputation.
SPD-Angebot: Keine Alternative
Was Martin Schulz auch immer den Wählern angeboten hat, war weitgehend widersprüchlich, nicht einfach zu begreifen oder gar unausgegoren. Das gilt für seine Konzepte in der Steuerpolitik ebenso wie für die Rente, für seine Forderung nach gerechten und fairen Löhnen sowie nach mehr sozialer Gerechtigkeit. Beim Thema Bildung haben die SPD-geführten Länder in der Praxis ohnehin nicht so geglänzt, dass der Kanzlerkandidat darauf verweisen konnte. Vielmehr wurden seine Genossen in den Bundesländern vor allem wegen des krassen Versagens in der Schulpolitik und bei der Inneren Sicherheit abgewählt. Schade um den Mann aus Würselen, der aufgebrochen ist, um nach dem Bürgermeisteramt die Kanzlerposition zu besetzen.
Schwierige Mehrheitsbildung
Für Angela Merkel wird es nach dem 24. September auch schwieriger. Denn noch ist völlig offen, mit welchen Partnern sie eine Koalitionsmehrheit erreichen könnte. Allein mit der FDP dürfte es nicht ausreichen. Um solide zu regieren, wird auf der Bundesebene eine Mehrheit von mindestens 10 bis 15 Mandaten erforderlich sein. Gewiss, die Grünen wollen mitregieren, aber eben nicht partout. Zudem sind sie immer noch arg gespalten – hier die Realos, da die Fundis. Die CSU ist im Prinzip gegen ein Bündnis mit den Grünen – insbesondere schon mit Blick auf die Landtagswahl im nächsten Jahr im Freistaat Bayern. Ob am Ende der Vorrat an Gemeinsamkeiten dieser 4 Parteien ausreichen wird, um eine verlässliche Koalition zu schmieden, das steht noch in den Sternen. Auf jeden Fall werden die Verhandlungen schwierig und langwierig. Vor der Niedersachsen-Wahl dürften sich wohl kaum klare Formationen auf der Bundesebene ergeben.
Als jüngst die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion noch einmal in Berlin tagte, versprühte ihr Vorsitzender Volker Kauder „große Zuversicht für den Endspurt“, mahnte jedoch zugleich „angesichts der knappen Umfrageergebnisse“ zu einem intensiven Wahlkampf, „damit Angela Merkel als Bundeskanzlerin auch die nächste Bundesregierung anführen kann.“ Der Absturz der Union unter die 40 %-Marke bei den aktuellen Umfragen zeigt in der Tat, dass noch alles im Fluss ist und sich bis zum Wahltag noch die eine oder andere Verschiebung im Wählerpotenzial ergeben kann. Eine ganz böse Überraschung kann nicht völlig ausgeschlossen werden, denn das Wählerpotenzial der rechtsradikalen AfD ist größer, als es bislang eingeschätzt wurde. Die Rattenfänger um Gauland sind mit ihren Hetzparolen und lauten Angriffen auf Angela Merkel unterwegs. Dass sie damit im politischen Spektrum von rechts bis links, insbesondere bei Poujadisten in der Mitte, ankommen, mag von den meisten Bürgern als ärgerlich und abstoßend empfunden werden, ist jedoch leider die Realität. Der Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag macht den Wahl-Cocktail wahrlich bitter.
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