Als die Wiederwahl von Frank-Walter Steinmeier(66) so gut wie sicher schien, meldeten sich urplötzlich Medien, um anzumerken, dass es eigentlich Zeit für eine Frau im Schloss Bellevue in Berlin sei. Und auch der neue NRW-Ministerpräsident Wüst(CDU) trat ein wenig vorlaut auf, um auf die Dringlichkeit hinzuweisen, es müsse endlich eine Frau Bundespräsidentin werden. Wogegen grundsätzlich nichts einzuwenden wäre. Aber weder der Herr Wüst noch die Frankfurter Rundschau oder die Süddeutsche, um nur die beiden Blätter zu nennen, hatten eine weibliche Alternative zum Amtsinhaber anzubieten. Chance vertan, hielten einige Journalisten der Ampel-Regierung vor, die früh und ziemlich geschlossen für die Wiederwahl von Steinmeier plädiert hat, wie das auch die Union tat. Und sogar Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der CSU-Chef, dessen Union auf der ungeliebten Oppositionsbank Platz genommen hat, ein Mann, als Sozi-Freund nicht unbedingt ausgewiesen, bescheinigte dem Bundespräsidenten eine beinahe tadellose Amtsführung. Gut, bis sehr gut hießen die Urteile, es war nichts zu beanstanden an Steinmeier, lediglich die Sache, dass er keine Frau ist. Also titelte die SZ: „Mangels Alternative“ werde er wiedergewählt, Begeisterung hört sich anders an. Am Sonntag, 13. Februar ist es so weit.
Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gewählt, ein erlauchter Kreis von 1472 Mitgliedern, von Abgeordneten des Bundestages und der Landtage sowie von Wahlfrauen und Wahlmännern, die von den Parteien ausgesucht und zu diesem Akt in die Hauptstadt geladen werden. Die Linke hat einen eigenen Kandidaten, die Freien Wähler ebenso und die AfD auch, aber alle drei sind ohne Chancen. Frank-Walter Steinmeier, ein Sozialdemokrat, Jurist, einer, der viele Jahre einer der wichtigsten Mitarbeiter von Gerhard Schröder war, als dieser Ministerpräsident von Niedersachsen und dann Kanzler wurde. Als Schröder 2005 die Bundestagswahl knapp gegen Angela Merkel verlor, führte Schröder die SPD noch in eine Koalition mit der Union, Steinmeier wurde Außenminister im Kabinett von Merkel, später sogar Vizekanzler und Kanzlerkandidat bei der Wahl 2009. Danach wurde er Oppositonsführer. Der Mann kann Politik.
Mehrheit ist riesig
Nein, spannend wird die Wahl am Sonntag nicht, wer will, mag schätzen, wieviele Stimmen die anderen Kandidaten bekommen und wieviele auf den neuen Bundespräsidenten fallen werden. Aber entscheidend ist das nicht, die Mehrheit ist riesig. Der Bundespräsident, heißt es, wirkt durch das Wort. Darin steckt seine Macht, sein Einfluss.Das hat der Amtsinhaber in den zurückliegenden Jahren bewiesen. Zu Fragen des Antisemitismus, Rechtsextremismus, zu Europa, zum Klimawandel, Fragen der Zeit, wie imme sie heißen mögen. Und er ist gereist, wohin immer es nötig,geboten war, um die deutsche Flagge zu hissen. Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Wahlen des Bundespräsidenten waren früher oft auch Machtfagen. Schon der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, ein FDP-Mitglied, wurde Staatsoberhaupt, weil Konrad Adenauer die FDP als Koalitionspartei wollte und nicht mit der SPD von Kurt Schumacher eine Regierung bilden wollte. Der Alte aus Rhöndorf war gegen eine große Koalition. Das bedeutete aber nicht, dass der erste Bundeskanzler die Liberalen besonders geschätzt hätte, nein, aber er brauchte sie. Und als es Kritik an Heuss gab, weil dessen Bindung an die Kirche manchem Schwarzen nicht eng genug war, belehrte Adenauer die Kritiker: „Er hat eine christliche Frau, das genügt.“
Als die Amtszeit von Professor Heuss 1959 zu Ende ging, meinte Heuss. „Mir wäre Carlo als Nachfolgekandidat willkommen.“ Doch Carlo Schmid wurde es nicht, er war Sozialdemokrat und Adenauer ließ es nicht zu, dass der weit über die Grenzen seiner Partei beliebte und hochgelehrte Frankreich-Freund Carlo Staatsoberhaupt wurde. Heinrich Lübke, der Mann aus dem Sauerland, wurde stattdessen gewählt. Über ihn sind vor allem Witze in Erinnerung geblieben, wobei vergessen wird, dass Lübke erst in der zweiten Legislaturperiode als Bundespräsident zunehmend gesundheitliche Probleme bekam und Schwierigkeiten hatte, um Reden mühsam zu Ende zu bringen. Aber Lübke war Spielball parteipolitischer Interessen. Es war Herbert Wehner, der SPD-Stratege, der Lübkes Wiederwahl durchsetzte. Der Sozialdemokrat wollte auf diesem Weg eine mögliche große Koalition vorbereiten, was ihm ja 1966 gelang. Dagegen wollte Willy Brandt einen Liberalen als Präsidenten, um die FDP für ein Bündnis mit der SPD zu ködern.
Ein Stück Machtwechsel
Die Wahl von Gustav Heinemann 1969 interpretierte der Essener SPD-Politiker selber als „ein Stück Machtwechsel“. Und es war ein Machtwechsel unter der Regie von Willy Brandt. Er setzte den CDU-Regierungspartner Kurt-Georg Kiesinger von der Kandidatur Heinemanns in Kenntnis. Wissend, dass Heinemann früher Mitglied der CDU war und wegen Adenauers Politik der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik die Partei verlassen hatte. Heinemann gehörte dem ersten Kabinett von Adenauer an. Und war für die CDU ein rotes Tuch. Brandt wusste, dass er sich auf die Unterstützung führender Liberaler verlassen konnte. Heinemann wurde im dritten Wahlgang mit sechs Stimmen Mehrheit gewählt. Sein Gegenkandidat hieß Gerhard Schröder, der CDU-Mann war Verteidigungsminister. Die Wahl war hochspannend, auch weil die rechtsnationale NPD Stimmen in der Bundesversammlung hatte, die ausschlaggebend hätten sein können. Umstritten war damals der Ort der Wahl, West-Berlin. Die Stadt war geteilt, die Sowjets protestierten gegen die Wahl in der Stadt, deren Ostteil ja Hauptstadt der DDR war. Sie flogen mit Flugzeugen über den Reichstag, um einen reibungslosen Ablauf der Veranstaltung zu stören. Stichwort Machtwechsel: Im selben Jahr wurde Brandt Kanzler einer sozialliberalen Koalition. Walter Scheel wurde Außenminister, es folgte die Politik der Entspannung, der Aussöhnung mit dem Osten Europas.
Der nächste Bundespräsident wurde Walter Scheel. Das hatte sich der FDP-Politiker vom Nachfolger von Brandt, Helmut Schmidt, zusichern lassen, zumal Heinemann auf eine zweite Amtszeit verzichtete. Möglicherweise ahnte er, dass die Kräfte nachließen, Heinemann verstarb zwei Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem höchsten Amt. Pikant an der Personalie Scheel war zudem, dass dieser die FDP-Riege an seinem Krankenbett antanzen ließ, um ihnen klarzumachen, dass er, nur er Präsident werde.
1979 deutere sich ein weiterer Machtwechsel an. Die Union war zurück zur Nummer eins im Lande. Helmut Kohl und Franz-Josef Strauß setzten gegen Widerstände die Wahl von Karl Carstens durch. Der „wandernde“ Präsident erwies sich als gar nicht so bequem. So gab der Verfassungsrechtler Carstens erst dann grünes Licht für die Neuwahl des Bundestages 1983, wie Kohl es wollte, nachdem SPD-Chef Willy Brandt ihn darum gebeten hatte. Brandt wollte eine Verfassungskrise verhindern.
Der geborene Präsident
Es folgte der Bundespräsident Richard von Weizsäcker, den man später ob seiner Ausstrahlung, seiner Auftritte, seiner Rede am 8. Mai 1985 aus Anlass des 40. Jahrestages des Kriegsendes, den geborenen Präsidenten nannte. Weizsäcker gelang der Einzug in die Villa Hammerschmidt gegen den Willen von Kohl und Strauß. Vor allem Kohl wollte die Kandidatur des damaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin unterlaufen, zumal Weizsäcker in Berlin gesagt hatte, dass er in Berlin bleiben wolle. Kohl wollte lieber den Niedersachsen Ernst Albrecht zum Bundespräsidenten wählen lassen. Weizsäckers Sprecher Friedbert Pflüger, heute ein Professor, hat dies einst kommentiert: „Weizsäcker war es leid, von Kohl als Schachfigur nach Belieben verwendet zu werden. Hätte er das mit sich machen lassen,hätte er seine Selbstachtung verloren.“ Die Rede Weizsäckers am 8. Mai verschaffte ihm in aller Welt höchste Anerkennung.
Roman Herzog wurde der nächste Bundespräsident, weil Kohl den SPD-Bewerber Johannes Rau unbedingt verhindern wollte. Dieses Spiel mit der Macht und Personen hätte Kohl fast verloren, weil sein erster ausgesuchter Kandidat, Steffen Heilmann, ein Jurist aus Sachsen, von vielen Christdemokraten abgelehnt wurde. Kohls Wahl fiel dann auf Herzog, der zuvor Präsident des Bundesverfassungsgerichts war und davor auch zu einem der Kohl-Kabinette in Rheinland-Pfalz gehört hatte. Neben Rau trat Hildegard Hamm-Brücher an, die Grande Dame von der FDP, die aber nicht die Unterstützung der Liberalen hatte. Hätte die FDP Hamm-Brücher gewählt oder gar Rau, Kohls Regierung wäre geplatzt.
Lafontaine setzte Rau durch
Johannes Rau konnte sich seinen Lebenstraum erst 1999 erfüllen- nach der Wahl von Schröder zum Kanzler. SPD und die Grünen hatten die Mehrheit in der Bundesversammlung. Rau hatte die Zusage des damaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine. Der Saarländer, im 1. Kabinett von Schröder kurzzeitig Finanzminister, setzte die Wahl des Wuppertaler Sozialdemokraten und langjährigen Ministerpräsidenten von NRW durch. Auf Rau, der 2006 starb, folgte die Wahl von Horst Köhler, was eine Überraschung war und wohl auf die FDP und Guido Westerwelle zurückging. Köhler war ein ausgewiesener Finanz-Fachmann, aber kein Politiker der ersten Reihe. Mit Köhler wurde damals auch eine mögliche Kandidatur von Wolfgang Schäuble um das höchste Amt im Staat verhindert. Hieß es. Köhler warf mitten in seiner 2.Legislaturperiode die Brocken hin, wohl aus Verärgerung darüber, dass Politiker der Regierung nicht hinter ihm standen.
Christian Wulff, sein Nachfolger, verzichtete auf das Amt freiwillig, getrieben von Vorwürfen, Vorurteilen, halbgaren Geschichten um was auch immer. Sein Nachfolger Joachim Gauck war ein Überraschungs-Kandidat, der Mann aus dem Osten, ein evangelischer Pfarrer zu DDR-Zeiten und Kirchenfunktionär, Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, ein Parteiloser. Zwei Jahre vorher war er Christian Wulff unterlegen gewesen. Es war eine Machtfrage für Angela Merkel, die Wulff als Bundespräsidenten durchsetzte, auch, so wurde vermutet, um ihn als Konkurrenten um die Führung der CDU und die Kanzlerschaft loszuwerden.
Ausdruck der Machtverhältnisse
Die Bundespräsidentenwahl war stets Ausdruck der Machtverhältnisse im Staat, sie war eine Machtfrage, die die stärkste Partei entschied. Dass Frank-Walter Steinmeier vor Jahr und Tag Kandidat für das höchste Amt wurde, verdankte er einem Coup seines Parteifreundes Sigmar Gabriel, der als SPD-Vorsitzender die Kanzlerin Merkel einst, vor 2017, mit dem Vorschlag auf kaltem Fuß erwischte: Frank-Walter Steinmeier werde für die SPD um das höchste Amt kandidieren.Zu der Zeit war die Union die stärkste Fraktion, Merkel konnte Gabriel nicht parieren und akzeptierte, weil sie nicht wollte oder keinen eigenen Kandidaten vorzeigen konnte.
Unions-Kreise, die Merkel kritisch gegenüberstanden, waren konsterniert. Ich erinnere mich an eine Äußerung, die nicht die Ausnahme war bei den Christdemokraten: „Wir haben Hundertausende von Mitgliedern und keinen eigenen Präsidenten-Kandidaten“. So war es und so ist es zumindest bis zum Sonntag. Dabei verweigern auch dieses Unions-Kreise dem Sozialdemokraten Steinmeier, dessen SPD-Mitgliedschaft während der Amtszeit ruht, nicht ihren Respekt. Weil er ein guter Präsident ist, ein sehr guter sogar, der für Stabilität sorgt in unruhigen Zeiten, für Verlässlichkeit, der an Solidarität in der Gesellschaft erinnert, Gemeinsinn fordert, dagegen redet, dass dieses Land gespalten sei, was die Feinde dieser Republik behaupten. Es gibt Risse im Land, die zu kitten sind, Ungerechtigkeiten, die auszugleichen sind. Aber wir sind ein Land. Und dafür steht dieser Bundespräsident.
Bildquelle: Dguendel, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons