Zunehmend ärgerlich war die Fahrlässigkeit, die Berlin im Umgang mit Europa an den Tag legte. Dass es dennoch in Brüssel auf der Mammutsitzung der Regierungschefs der 19-Euro-Staaten zu einer Einigung reichte, wäre ohne die Haltung des französischen Staatspräsidenten nicht erreichbar gewesen. Schade, dass der deutsch-französische Motor gerade in dieser Krise zu stottern begann. Sigmar Gabriel hätte hier klare Haltung zeigen müssen, aber wieder einmal war ER mal so und auch so zu hören. Wie heißt es dagegen im Parteiprogramm der SPD: Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Frau Merkel beklagte vor allem Vertrauensverlust gegenüber Griechenland, ein Vorwurf, den sie dem britischen Premier nicht machen wird, wenn der in einem Referendum die auf den gemeinsamen Markt reduzierte EU fordern wird und dies als notwendige Reform, statt als Rückfall in den Nationalstaat, frei von Brüssler Bevormundung verkaufen will.
Vor allem der deutsche Finanzminister hat wie kein anderer beleidigt auf griechischen Überlebenswillen reagiert. Er bot nur so etwas wie Sterbehilfe an, von der Griechenland nichts wissen wollte. Was immer an Ressentiments gegen Europa in den letzten Jahren von den nationalen Regierungen zu hören war, nichts kann einen Vergleich mit dem aushalten, was da als Krisenmanagement der Finanzminister den Griechen angeboten wurde.
Dazu die Innenminister der EU, die sich zu keiner solidarischen Haltung verstehen können, um dem Flüchtlingselend zu begegnen, das die Welt erschüttert. 50 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht. Die UN-Flüchtlingskommission warnt vor Seuchengefahren und Hungersnöten in den Elendslagern, die im nahen und fernen Osten an den Grenzen der von Bürgerkriegen heimgesuchten Länder errichtet wurden. In Griechenland allein leben 50 000 Flüchtlinge, die in Lagern vegetieren und in der Krise des Landes nicht ausreichend versorgt werden können. Das gilt für Lebensmittel wie für die gesundheitliche Versorgung. Ein Armutszeugnis, dass die Mitgliedsländer nicht einmal in dieser Frage zu einer humanen Geste bereit sind, und wenigstens 40 000 dieser Flüchtlinge gerecht verteilt aufzunehmen.
Griechenlands Wirtschaftskrise ist ohne Marshallplan zur wirtschaftlichen Gesundung des Landes kaum zu bewältigen. Ob dafür die rund 13 Milliarden Euro reichen, die aus einem Fonds bereit gestellt werden sollen, wird sich schnell zeigen. Das kleinste Mitgliedsland der EU, mit gerade einmal neun Millionen Einwohnern, war in einer dramatischen, zu Teilen auch selbstverschuldeten Staatskrise und drohte unterzugehen. Korruption und eine überbordende, aber völlig ineffiziente Bürokratie tragen dazu bei. In den Hauptstädten der europäischen Mitgliedsländer zeigte sich dazu nur geringe Bereitschaft, so etwas wie Solidarität mit einem Mitglied zu zeigen, das vor allem auch wegen der weltweit in die Krise geratene Finanzmärkte besonders gebeutelt ist. Es gibt in Europa kein Land, das in ähnlicher Weise von den Reichen des Landes ausgeplündert wurde, das ihnen vor allem als Steueroase dient, die nicht nur den Reedern Steuerfreiheit zusichert. Diesen Oligarchen kündigte Alexis Tsipras nach der Nachtsitzung in Brüssel den Kampf an.
Reformen sind dringend, die Griechenland wirklich gesunden lassen. Hoffentlich unterlassen es vor allem deutsche Politiker, Griechenland in diesem noch vor dem Land liegenden schmerzhaften Prozess weiter von oben herab zu behandeln. Lieblingsvokabel mancher deutscher Politiker sind die „Hausaufgaben“, die die Griechen endlich machen müssten. So spricht der deutsche Oberlehrer, und lässt erkennen, wie lästig ihm ein Land ist, in dem die Menschen anders ticken als es von uns Deutschen gern behauptet wird. Und nur ganz nebenbei: wem wäre erinnerlich, dass die Vorgänger von Tsipras, nicht nur aber vor allem Konservative Politiker, in ähnlicher Weise aufgerufen worden wären, endlich zu handeln und die viele Jahre kunstvoll gestaltete, jedenfalls geschönte Bilanz über Soll und Haben im Staatshaushalt endlich mit der Wirklichkeit abzugleichen. Dazu hatte Premier Tsipras bislang wenig Gelegenheit. Ob er dazu fähig ist, wird sich zeigen, wenn er Gelegenheit hat, das Amt auszufüllen, in das er vor fünf Monaten gewählt worden ist.
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