Unsere Gesellschaft und unsere Demokratie stehen vor vielen Herausforderungen. Nicht zuletzt der Blick in andere Länder zeigt uns, dass unsere Demokratie und deren Erhalt keine Selbstverständlichkeit ist. Für mich steht außer Frage, dass wir sie Tag für Tag verteidigen müssen. Es ist mir daher eine Herzensangelegenheit, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gerade in diesen Zeiten zu stärken, unsere Demokratie mit Leben zu füllen und sie so sattelfest für die Zukunft zu machen – als Duisburger Bundestagsabgeordnete und auch in meiner Funktion als Bundestagspräsidentin.
Damit dies gelingt, braucht unsere Demokratie ein starkes Fundament vor Ort in den Kommunen. Natürlich fallen viele wichtige Entscheidungen durch Regierungen und Parlamente in Brüssel, Berlin oder den Landeshauptstädten. Wir dürfen aber nicht aus den Augen verlieren, wo die Basis für den Erfolg oder den Misserfolg unserer Demokratie liegt: In den Gemeinden und Städten vor Ort. Damit alle politischen Ebenen gemeinsam erfolgreich für die Bürgerinnen und Bürger handeln und entscheiden können, müssen sie über die dafür notwendigen Möglichkeiten verfügen. Vor Ort braucht es Bürgerinnen und Bürger, die sich für unsere Demokratie und unser Gemeinwesen engagieren. Die überwiegende Mehrzahl von ihnen tut dies ehrenamtlich – in Parteien, in den Bezirksvertretungen oder im Rat der Stadt. Dafür danke ich jeder und jedem einzelnen von ihnen.
Damit dieses Engagement vor Ort erfolgreich sein kann und die Bürgerinnen und Bürger vor Ort von unserer Demokratie überzeugt werden können, sind auch ausreichende finanzielle Mittel nötig. Wir müssen die Kommunen und ihre Vertreterinnen und Vertreter so ausstatten, dass sie ihren Aufgaben nachkommen können. Als Duisburgerin weiß ich, was es bedeutet aus einer Kommune zu kommen, die im Zuge des Strukturwandels unter einer hohen Altschuldenlast leidet. Konkret bedeutet dies: Nicht nur wichtige Zukunftsinvestitionen werden unmöglich gemacht. Auch die Finanzierung der grundlegenden staatlichen Aufgaben, der Daseinsvorsorge, wird erschwert. Wenn diese nicht mehr gewährleistet ist, steht unsere Demokratie auf dem Spiel.
Ich bin überzeugt: Die Kommunen sind das Fundament unserer Demokratie. Wenn hier das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Staates bröckelt, bröckelt auch unsere Demokratie. Die Bürgerin und der Bürger merken dort, ob dieser Staat noch funktioniert oder nicht. Ob sie Schlange stehen müssen, weil sie ihr Auto anmelden wollen. Oder monatelang gar keinen Termin dafür bekommen. Ob ein Behördengang ewig dauert oder ihre Kinder und Enkel von baufälligen Schulen berichten – da erleben die Bürgerinnen und Bürger den Staat hautnah.
Viele finanziell angeschlagene Städte und Gemeinden, etwa an Rhein und Ruhr, aber beispielsweise auch im Saarland, werden von ihren Altschulden im wahrsten Sinne des Wortes aufgefressen – und in Zeiten steigender Zinsen wird der Mühlstein immer größer. Das zeigt sich für die Menschen dann an maroden öffentlichen Gebäuden, Straßen und Brücken, oder an überlasteten Bürgerämtern. Von alleine werden sich diese finanziell angeschlagenen Städte und Gemeinden nicht von dieser Last befreien können. Es liegt in der Verantwortung vom Bund und den Ländern, ihnen wieder die Möglichkeit zu geben, ihren Aufgaben nachzukommen und in die Zukunft – und damit auch in den künftigen Fortbestand und Erfolg unserer Demokratie – investieren zu können. Dazu braucht es endlich einen Altschuldenfonds.
Besonders das Thema Bildung macht dies überdeutlich: Hier zeigt sich an einzelnen Schülerinnen und Schülern, was es bedeutet, wenn das Geld für Investitionen in die Zukunft fehlt. Es darf nicht sein, dass schon Schülerinnen und Schüler merken, ob sie in der falschen oder der richtigen Stadt geboren sind. Wir dürfen es als Gesellschaft nicht zulassen, dass Kinder aufgrund ihres Wohnortes zu Bildungsverliererinnen und -verlierern werden. Deutschland hat die Mittel, ein Land der gerechten Chancen für alle zu sein.
Unser Anspruch muss es sein, dass Bildungsaufstieg keine Ausnahme, sondern von Schule, Staat und Gesellschaft nach Kräften gefördert wird. Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und ökonomischen Vernunft. Geschieht dies nicht, gefährdet dies nicht nur unseren Wohlstand, denn kluge Köpfe, Know-How und Kreativität sind die entscheidenden Ressourcen für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes.
Es gefährdet auch unsere Demokratie, denn Chancengerechtigkeit macht eine Gesellschaft stark und ist wichtig für das Vertrauen in das Funktionieren unserer Demokratie. Was geschieht, wenn dieses Vertrauen schon in jungen Jahren verloren geht, können wir beobachten: Der Frust der betroffenen Kinder zieht sich durch die ganze Schulzeit und führt am Ende auch zu Gewaltexzessen wie in der vergangenen Silvesternacht.
Es ist daher wichtig, dass eine Lösung der Altschuldenproblematik im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist. Noch wichtiger ist es, dass wir dieses Ziel nun auch tatsächlich umsetzen. Dafür werde auch ich mich stark machen, für gerechte Chancen für alle und für unsere Demokratie.
Zur Autorin: Bärbel Bas(54) ist seit 2021 Bundestagspräsidentin. Sie gehört dem Parlament seit 2009 an. Die Sozialdemokratin aus einer kinderreichen Familie aus dem SPD-Unterbezirk Duisburg hat eine für die SPD klassische Laufbahn absolviert. Sie schloss die Hauptschule ab, wechselte zur Berufsfachschule für Technik und machte u.a. eine Ausbildung als Bürogehilfin. Seit 1988 ist sie Mitglied der ältesten deutschen Partei. Sie ist u.a. Schirmherrin des Malteser Hospizes von St. Raphael in Duisburg, in ihrer Freizeit spielt sie gern Fußball und fährt Motorrad. Und natürlich ist sie Fan des früheren Bundesliga-Klubs MSV Duisburg. In einem Spiegel-Interview plädierte Bärbel Bas vor Monaten für mehr Umverteilung und forderte eine höhere Erbschaftssteuer und eine Vermögenssteuer. Wem der Begriff nicht gefalle, der könne stattdessen auch Luxussteuer dazu sagen. Es sei ihr inzwischen peinlich, wenn sogar Millionäre dafür plädierten, man möge ihnen doch mehr Steuern abverlangen.